Was mich mit Atheisten verbindet

Vor einigen Monaten sorgte unser Artikel über gemeinsame Überzeugungen von Atheisten und ‘progressiven’ Christen für hitzige Diskussionen. Einige Leser empfanden den Ansatz der Autorin unfair gegenüber diesen Christen. Deshalb nehme ich mich heute selber in die Pflicht, denn auch ich habe einige gemeinsame Überzeugungen mit Atheisten. Here you go: Drei Dinge, die mich als überzeugter Christ mit Atheisten verbindet!

Ich steige ein bisschen philosophisch ein. Mich verbindet mit Atheisten ein ähnliches Verständnis von Realität und Rationalität. Atheisten und auch ich sind überzeugt, dass die Wirklichkeit ein zusammenhängendes und widerspruchfreies Ganzes ist, welches dem menschlichen Verstand und Geist zugänglich ist. Über den Grund warum dies der Fall ist, sind Atheisten und ich uns keinen Milimeter einig. Aber dass es so ist, davon sind wir gemeinsam überzeugt.

Mit diesem Verständnis stehen Atheisten und ich im Widerspruch zu postmodernen Überzeugungen, welche eine radikale Abkehr von der Rationalität der Moderne suchen. Die Postmoderne geht davon aus, dass die Wirklichkeit kein widerspruchsloses Ganzes ist, und dass der menschliche Verstand deshalb widersprüchliche Aussagen gleichzeitig für wahr halten kann.

Du magst beim Lesen solcher Aussagen den Kopf schütteln. “Was?” denkst du, “logischerweise ist die Wirklichkeit ein zusammenhängendes Ganzes, welches Sinn macht und welches wir mit unserem Verstand erkennen und erforschen können!” Wenn du so denkst, zeigst du damit nur, wie modern du tickst. Die Welt kennt Weltanschauungen, welche diesbezüglich völlig anders funktionieren. Östliche Religionen zum Beispiel, sehen die ‘Wirklichkeit’ oft als eine Art Traum des Göttlichen, welcher keine zusammenhängende Logik hat. Eine solche Weltanschauung sieht die ‘Wirklichkeit’ nicht als etwas, das wir in der Art, wie die westliche Wissenschaft es tut, erforschen können.

Auch wenn ich den Ton seiner Publikationen oft schwierig finde, so bin ich mit dieser Aussage vom aktuell wohl bekanntesten Atheisten Richard Dawkins einig:

Zeige mir einen kulturellen Relativist auf dreissigtausend Fuss Höhe und ich zeige dir einen Heuchler. Flugzeuge, die nach wissenschaftlichen Prinzipien gebaut sind, funktionieren. Sie bleiben stabil in der Luft und bringen dich an das Ziel deiner Wahl… Wenn du zu einem Kongress von Anthropologen oder Literaturkritikern fliegst, ist der Grund, warum du es vermutlich sicher an den Kongress schaffst — der Grund warum dein Flug nicht in einem Acker endet — dass viele Ingenieure der westlichen Welt ihre mathematischen Gleichungen richtig berechnet haben. Dawkins, River out of Eden, Kindle Position 435, eigene Übersetzung

Mit anderen Worten: Wissenschaft gibt uns Zugang zur Wirklichkeit, was uns wiederum ermöglicht, Dinge wie Flugzeuge, Mobiltelefone, Beatmungsgeräte und Kühlschränke zu bauen, die in dieser Wirklichkeit auch funktionieren. Ich könnte über viele Punkte reden, in denen ich als Christ völlig andere Überzeugungen habe als meine atheistischen Freunde. Aber hier gibt es eine klare geteilte Überzeugung: Die Wirklichkeit ist ein zusammenhängendes und widerspruchfreies Ganzes, und ist für uns Menschen mental zugänglich.

Interessanterweise führte genau diese gemeinsame Überzeugung dazu, dass einer der prominentesten atheistischen Philosophen der letzten Jahrzehnte, Antony Flew, gegen Ende seines Lebens vom Atheist zum Theist wurde. Mit anderen Worten glaubte er vorher nicht an die Existenz Gottes, nachher schon:

Mein Abschied vom Atheismus wurde nicht von neuen Phänomenen oder Argumenten ausgelöst.… (sondern war) die Auswirkung meiner fortlaufenden Analyse der Beweise in der Natur. Als ich schlussendlich die Existenz Gottes erkannt habe, war es nicht ein Wechsel von einem Paradigma in ein anderes, weil mein Paradigma dasselbe bleibt…: “Wir müssen den Beweisen dorthin folgen, wohin sie führen” There is a God, Seite 89, eigene Übersetzung

Spannend! Für Flew bedeutet der Wechsel von Atheismus zu Theismus keinen Paradigmenwechsel! Der Grund liegt in der Überzeugung, die ich hier als gemeinsame Überzeugung darstelle, nämlich: Die Wirklichkeit liefert Hinweise oder Beweise, weil sie ein zusammenhängendes und widerspruchfreies Ganzes ist, welches dem menschlichen Verstand und Geist zugänglich ist. Wir können also den Beweisen folgen, wohin sie führen, vielleicht sogar in den Glauben an die Existenz Gottes.

Für mich als Christ ist klar, dass es hier nicht nur um ‚kalte‘ Rationalität geht, in der wir bloss eine intellektuelle Erkenntnis der Existenz Gottes finden. Die Beweise führen zur Überzeugung, dass Gott existiert als eine Person, der unser Herz mit seiner Liebe entfachen will und sich unglaublicherweise nach Beziehung mit uns sehnt! (Römer 5:5; Lukas 24:32) Doch damit wir uns dieser zutiefst faszinierenden Einsicht und ergreifenden Erfahrung mit Zuversicht hingeben können, brauchen wir Vertrauen, dass unser Verstand Zugang hat zur Wirklichkeit. Atheisten und ich teilen diesbezüglich eine gemeinsame Grundhaltung, welche zu drei Überzeugungen führt, die ich mit Atheisten gemeinsam habe.

Überzeugung 1: Wir dürfen mutige Fragen stellen und zufriedenstellende Antworten erwarten

Atheisten glauben die Antwort auf eine der grössten Fragen der Menschheit zu kennen: Gibt es einen personalen Schöpfer-Gott? Atheisten sind sich sicher dass er nicht existiert. Es braucht heute Mut, solche Fragen zu stellen, geschweige denn es zu wagen, sie zu beantworten. Auch wenn ich mit der Antwort der Atheisten nicht einverstanden bin, teile ich ihre Meinung, dass wir den Mut haben dürfen, die grossen Fragen über die Wirklichkeit zu stellen und Antworten zu finden, die zufriedenstellend genug sind, dass wir Frieden oder sogar Gewissheit in unserem Denken finden können.

Albert Mohler weist auf diese gemeinsame Überzeugung von Atheisten und Christen wie mir hin:

Der Neue Atheismus ist fest verbunden mit dessen eigenem Konzept von wissenschaftlicher Erkenntnis. Es ist gewissermassen ein Gegenentwurf zum postmodernen Geist. Die Neuen Atheisten sind keine Relativisten. Sie glauben nicht, dass alle Wahrheit nur das Produkt sozialer Konstruktion ist. Im Gegenteil würdigen die Neuen Atheisten die Frage nach der Wahrheit, auch wenn sie der Wahrheit widersprechen, die am zentralsten zum Christentum gehört: Die Existenz des selbstoffenbarenden Gottes. Mohler, Atheism Remix, Seite 87, eigene Übersetzung

Das progressive Lager der Christenheit, welches eher von postmodernen Denkvoraussetzungen geprägt ist, teilt diese Zuversicht nicht. Aus meiner Sicht: Leider! Kürzlich trank ich mit einem meiner progressiven Freunde ein Bier. Ich fragte ihn, ob wir seiner Meinung nach wissen können, ob Gott existiert oder nicht. Er musste nicht lange nachdenken, sondern antwortete sofort und mit klarer Überzeugung: “Nein! Metaphysische Fragen können wir nicht beantworten! Wenn es um das Wesen der Welt und um Gott geht, müssen wir agnostisch ungewiss bleiben”. Seine Gewissheit ist, dass wir über derart grundlegende Fragen keine Gewissheit haben können. Ich kann mich spontan an mehrere online-Diskussionen der letzten Monate erinnern, in denen Christen eine ähnliche Haltung zum Ausdruck brachten. Sie sehen das Christentum — um es in den Worten eines anderen Freundes zu sagen — höchstens als eine Ahnung von dem, was es nicht gibt.

Mir ist klar, dass unser menschlicher Verstand keine absolute Erkenntnis haben kann. Den Grund dafür sehe ich in unserem Geschöpf-Sein und in der Auswirkung des Sündenfalls auf unser Denken. Allein der Schöpfer hat absolutes Wissen. Diese Tatsache bedeutet aber nicht, dass wir nur unsicheres Wissen haben können, denn unser Schöpfer hat uns echten mentalen Zugang zur Wirklichkeit gegeben. Darum freue ich mich, zusammen mit meinen atheistischen Freunden, mutig die Fragen nach der letzten Wirklichkeit zu stellen und Antworten zu erwarten.

Überzeugung 2: Halbherzige Softreligion lässt uns im Stich

Der inzwischen verstorbene aber sehr bekannte Atheist Christopher Hitchens zeigt uns seine Aversion gegen Religion, die nur noch beansprucht, therapeutisch zu sein und den Bezug zur Wirklichkeit schon gar nicht mehr herzustellen versucht:

Der Schulmeister, der die täglichen Andachten und Gebete leitete und die Bibel in der Hand hielt… gab uns eines Abends ein ernstes Referat: “Ihr mögt zu diesem Zeitpunkt eures Lebens keinen Sinn in diesem Glauben sehen. Aber eines Tages, wenn ihr geliebte Menschen verliert, werdet ihr es”. Wieder fuhr ein Stich der Empörung und des Unglaubens durch mich. Warum? Weil er mehr oder weniger deutlich gesagt hat: Es ist nicht nötig, dass die Religion wahr ist, solange sie uns tröstet wenn wir es nötig haben. Hitchens, God is Not Great, Seite 6, eigene Übersetzung

Auch wenn Hitchens seinen Schulmeister vielleicht falsch verstanden haben könnte, so sehen wir an seiner Aussage dennoch seine Abscheu vor einer Religion, die keinen Anspruch auf Wahrheit erhebt. Sein Beispiel zeigt uns, was die Auswirkungen sein können, wenn jemand so etwas als Christentum verkauft. Zuhörer die (verständlicherweise!) Interesse an der Wirklichkeit haben, wenden sich ab.

Christlicher Glaube der sich fast nur noch über Ungewissheiten definiert, ist vielen Menschen suspekt. Es gibt Zeiten des Fragens, Phasen der Zweifel. Ich kenne sie nur zu gut aus eigener Erfahrung. Doch die Lösung ist nicht, dass wir den Anspruch aufgeben, Antworten finden zu können. Einem ehrlichen Zweifler gibt es Hoffnung zu hören, dass es vielleicht Licht am Ende des Tunnels gibt. Jeder Zweifler muss seinen eigenen Weg finden und wir können ihn auf diesem Weg begleiten. Aber dem Zweifler suggerieren, auf ihn würden letztlich nur Aussagen warten die keinen Bezug zur Wirklichkeit haben, empfinde ich als brutal.

Ich mag den Ton von Hitchens so wenig wie den von Dawkins. Doch ich empfehle, seine Verachtung von Softreligion ernst zu nehmen. Ich bin mit ihm einig: Religion, die sich nicht durch ein klares Bekenntnis zur Wirklichkeit verletzlich macht, ist eine therapeutische Softreligion, die uns im entscheidenden Moment im Stich lässt. Sie lässt im Stich eben gerade weil sie keinen Wirklichkeits-Bezug schafft. Aufgrund meiner seelsorgerischen Erfahrung denke ich: Wenn es hart auf hart geht, wollen die Menschen hören und wissen, was Wirklichkeit ist. Deshalb meine ich, dass manche christliche Bewegungen, die fast nur noch Fragen stellen ohne Antworten geben zu wollen, ihre zuhörenden Menschen im entscheidenden Moment im Stich lassen.

Überzeugung 3: Religion braucht Kritik

Die Kritik der Atheismus-Protagonisten an der Religion ist unerbittlich, unnachgiebig und geht bis in die Grundfesten der kritisierten Religionen. Für Dawkins ist zum Beispiel klar, dass der Gott der Bibel ein ‘psychotischer Übeltäter’ ist (Der Gotteswahn, Seite 55). Dieser Ansatz ist fester Bestandteil seines Denkens und wird in seinen Veröffentlichungen mantramässig wiederholt.

Atheisten wissen, dass Religion kritisiert werden muss. Ich bin mit ihnen einverstanden. Inwiefern sie dies in Bezug auf ihre eigene Religion tun, muss ich nicht wissen. Die Frage, die ich mir stellen muss, ist, ob ich Kritik an meiner eigenen Glaubenslehre und Praxis zulasse. Der christliche Glaube baut auf dem jüdischen Glauben auf, der fest eingebaute Selbstkritik-Mechanismen hatte: Die Propheten. Die alttestamentlichen Propheten übten mitunter derart scharfe Kritik an der Glaubenslehre und Praxis im eigenen Volk, dass die Herren Dawkins und Hitchens daneben verblassen.

Warum ist diese Kritik nötig? Aus christlicher Sicht liegt das Hauptproblem im Wesen des Menschen, welches der Tendenz unterworfen ist, sich selbst zum Gott zu machen. Wir sehen den mysteriösen aber realen Anfang dieser Tendenz in der Bibel in Genesis 3. Damit ist die ständige Versuchung aller Menschen vorgegeben, Gott für die eigenen Zwecke missbrauchen zu wollen. Dies kann im persönlichen Leben stattfinden, in kirchlichen Strukturen, wie auch in politischer Tyrannei. Das Problem der Religion liegt also im Wesen des Menschen selbst. Hempelmann bringt es auf den Punkt:

Das tiefste Problem besteht… nicht darin, dass es Religion gibt, sondern dass es den Machtmenschen gibt, der sich ständig religiös verhält. Hempelmann, Der Neue Atheismus, Seite 83

Jeder ist ein Stück Machtmensch. Wir müssen deshalb Kritik von Aussen an unserem persönlichen Denken und Handeln zulassen. Aber wir müssen auch Kritik an der eigenen Glaubensgemeinschaft annehmen und üben. Damit folgen wir lediglich dem Vorbild der ersten Christen und dem Auftrag, den Christus uns gegeben hat, wie der Artikel von Jürgen Neidhart aufzeigt, und Johannes Hartl wie auch Markus Till beispielhaft vormachen.

Wie geht es weiter?

Alister MacGrath denkt, dass der Atheismus es nicht geschafft hat, die Imagination und das Herz der heutigen Menschen zu erobern. Er schreibt:

Die Sonne hat angefangen, sich über einem weiteren Imperium zu neigen (dem Atheismus, meine Anmerkung). Es ist im Moment völlig unklar, was die Zukunft des Atheismus ist und was den Atheismus ersetzen wird. MacGrath, The Twilight of Atheismus, Kindle Position 99

Der Atheismus kämpft bezüglich Popularität mit ähnlichen Problemen, wie das klassische Christentum, weil beide bestimmte Ansätze vertreten, die jenen der Postmoderne diametral entgegengesetzt sind. Einige davon erwähne ich in diesem Artikel. Rationalität wird als kalt, unmenschlich und (man staune über diese Aussage) irreführend empfunden.

Wir haben als Christen Hausaufgaben: Wie stellen wir einen guten Bezug zu postmodern geprägten Menschen her? Was ist nötig? Was ist wahr und langfristig hilfreich? Aus meiner Sicht sollten die vorgeschlagenen Lösungen nicht der insgeheime Kniefall vor den relativistischen Lösungsvorschlägen der Postmoderne sein, weil diese letztlich alles unterwandern was uns zu Menschen macht. Die Postmoderne hat richtigerweise das Problem von Macht und dessen Missbrauch aufgezeigt, doch die vorgeschlagenen Lösungen bringen uns meiner Meinung nach nicht weiter. In den Artikeln, die wir in den nächsten Wochen veröffentlichen, möchten wir einige Ansätze vorstellen, die hoffnungsvoller scheinen.
https://danieloption.ch/zweifel/was-mich-mit-atheisten-verbindet/?fbclid=IwAR1ad8iB-NGQwltBQXHPtBrBqXJJTpIUxKPm3a_17EvfFKINDxyNcR9FhnQ
Paul Bruderer
Jahrgang 1972, als Kind von Missionaren in Afrika aufgewachsen, 1998 Gründungsmitglied der erwecklichen ‹Godi›-Jugendarbeit in Frauenfeld. Seit 2001 Pastor in der Chrischona Gemeinde Frauenfeld. Paul lebt mit seiner Familie in Frauenfeld, Schweiz.

Wie zuverlässig ist die Jesusüberlieferung?

Tübingen (IDEA) – Die synoptischen Evangelien bieten eine zuverlässige Überlieferung der Worte und Taten Jesu. Diese Ansicht vertrat Rainer Riesner (Gomaringen bei Tübingen), emeritierter Professor für Neues Testament, am 6. Juni bei einem Studientag der Evangelisch-Theologischen Fakultät in Tübingen.
Zum Hintergrund: Als synoptische Evangelien werden die Berichte der drei Evangelisten Matthäus, Markus und Lukas bezeichnet, weil sie eine ähnliche Struktur aufweisen – im Gegensatz zum Johannesevangelium. Sie lassen sich deshalb gut nebeneinanderstellen und vergleichen. Eine solche Zusammenstellung heißt „Synopse“ (Zusammenschau).
Ähnlich wie bei einer guten Predigt habe Jesus während längerer Reden kurze Merksätze hervorgehoben, so Riesner. „Der Schülerkreis Jesu konnte sich dessen öfter wiederholte Lehrsummarien und Gleichnisse besonders einprägen und brachte bei der galiläischen Mission eine erste bewusste Tradierung in Gang“, so Riesner weiter. Da Jesus als Messias auftrat, seien seine Worte als relevant eingestuft und später aufgeschrieben worden. „Und sie sind auch dann relevant, wenn man sie vielleicht nicht versteht.”
Leider gebe es auch heute noch Theologieprofessoren, die in Jesus einen „gescheiterten jüdischen Reformpropheten“ sehen und seine Auferstehung als „freie christliche Interpretation“ betrachten. Riesner dazu: „Das Osterlicht hat die Jünger und Anhängerinnen Jesu im Blick auf seine Worte und Taten klarsichtiger gemacht, aber nicht geblendet.“
Schröter: Evangelien beinhalten Inszenierung
Jens Schröter, Professor für Exegese und Theologie des Neuen Testaments an der Humboldt Universität zu Berlin, betonte hingegen, dass die historischen Situationen der Jesusüberlieferungen meist nicht rekonstruierbar seien. Jedes Jesuswort sei durch seinen literarischen Zusammenhang geformt worden, „sodass wir uns in der mündlichen Überlieferung davon frei machen müssen, von einem Original und dessen ständiger Wiederholung zu sprechen“.
Stattdessen hob Schröter die Bedeutung der frühchristlichen Erinnerungskultur hervor: „Weil Vergangenheit bedeutsam ist, deshalb wird sie in der Gegenwart inszeniert.“ Dabei stehe der Begriff „Inszenierung“ nicht für eine Abwertung, sondern für die Vergegenwärtigung eines Glaubensinhalts. Das werde etwa am Abendmahl deutlich: „Die Abendmahlsworte gehen meines Erachtens nicht auf Jesus selber zurück, sondern sind eine früh entstandene Zusammenfassung der Bedeutung dieses Mahles.”
Tilly: Gott handelt in der Geschichte
Zum Hintergrund erklärte der Professor für Neues Testament und Antikes Judentum an der Universität Tübingen, Michael Tilly, dass während der Aufklärung erstmals zwischen dem „Menschen Jesus aus Nazareth“ und „dem Christus der christlichen Tradition“ unterschieden wurde. Leider habe die darauf folgende „Suche nach dem historischen Jesus“ neben theologischen Erkenntnissen auch tragische Fehlannahmen über Jesus hervorgebracht. Die heutige Forschung müsse deshalb dafür sensibilisiert werden, „dass das Offenbarungshandeln Gottes in Jesus Christus als geschichtliches Handeln zu betrachten ist und somit auch in der Geschichte wahrgenommen werden kann“.
https://www.idea.de/artikel/wie-zuverlaessig-ist-die-jesusueberlieferung?fbclid=IwAR32T_tWw2CWX44CaYjaLLjjn2ay9AqVnL1AAXbfeKZAbWQADQ1VTSu9rTQ

Wissenschaftler kritisieren Genderpraxis

Trotz heftiger Kritik treiben viele Redaktionen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks die Förderung der sogenannten gendergerechten Sprache voran. Nun haben 700 Sprachwissenschaftler einen kritischen Aufruf unterzeichnet. In einem Brief, der an sämtliche Fernsehräte verschickt wurde, weisen sie darauf hin, dass die Sender bisher nicht zu den formulierten Argumenten gegen das Gendern Stellung genommen haben.

In dem Aufruf heißt es: 

Seit 2020 hat die Verwendung der sogenannten gendergerechten Sprache im öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) in erheblichem Maße zugenommen. Ausgangspunkt dieser Sprachpraxis ist die Bewertung des generischen Maskulinums als diskriminierende Sprachform, die wir als Sprachwissenschaftler und Philologen zurückweisen. Wir fordern eine kritische Neubewertung des Sprachgebrauchs im ÖRR auf sprachwissenschaftlicher Grundlage.

Die Sprachverwendung des ÖRR ist Vorbild und Maßstab für Millionen von Zuschauern, Zuhörern und Lesern. Daraus erwächst für die Sender die Verpflichtung, sich in Texten und Formulierungen an geltenden Sprachnormen zu orientieren und mit dem Kulturgut Sprache regelkonform, verantwortungsbewusst und ideologiefrei umzugehen. Mehr als drei Viertel der Medienkonsumenten bevorzugen Umfragen zufolge den etablierten Sprachgebrauch – der ÖRR sollte den Wunsch der Mehrheit respektieren. Mehr: www.linguistik-vs-gendern.de.
https://theoblog.de/wissenschaftler-kritisieren-genderpraxis/39546/

Worauf sind wir stolz?

Auf Twitter kämpfen gerade der „#Pridemoth“ und der „#Stolzmonat“ um die Diskurshoheit. Sollen wir stolz sein auf unsere sexuelle oder nationale Identität? Paulus hat noch einen besseren Vorschlag: „Wir … sind stolz auf das, was Christus Jesus für uns getan hat.“ (Phil. 3,3) In Christus sind wir eine neue Kreatur. Bei ihm finden wir unsere wahre Identität. Markus Till

„Du sollst dir kein Bildnis machen“

Das „Bilderverbot“ (2Mo 20,4-6) ist neben dem Sabbatgebot das ausführlichste Gebot im Dekalog. Dies unterstreicht seine Wichtigkeit. Es präzisiert was es bedeutet, neben dem einen HERRN keine anderen Götter zu haben.
Kein Gottesbild machen
Ein ganz grundsätzliches Verbot: „Nicht mache für dich ein Bild“. Gott untersagt dem Mensch, dass er ihn zum Zweck der Anbetung abbildet. Hier ist zunächst an eine Götterstatue, ein plastisches Bild gedacht, wie z.B. das goldene Kalb (vgl. 2Mo 32,1-6). Aber dieses Wort gilt natürlich auch für alle ideellen Bilder, die sich der Mensch von Gott macht. Präzisierend wird hinzugefügt: „weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist“. Für ein plastisches Bild wählt der Mensch immer etwas, das ihm aus dem Bereich der Schöpfung vor Augen ist (Gestirne, Tiere, etc.). Viele Religionen der damaligen Zeit waren durch solche figürlichen Darstellungen geprägt. Doch wie Gott aussieht, weiß der Mensch nicht. Jede Darstellung greift daher zu kurz.
DAS EIGENE WERK NICHT ANBETEN
Zum grundsätzlichen Verbot des Machens von Bildern tritt ein weiteres grundsätzliches Verbot: „Bete sie nicht an und diene ihnen nicht!“. in der Anbetung liegt natürlich der eigentliche Grund des Machens. es gehört zum Wesen der Religion, dass Gott die ihm zustehende Verehrung im Gottesdienst erfährt und als Gott angebetet wird.
Wenn aber der Mensch das von ihm gemachte Bild – sei es plastisch oder ideell – anbetet, betet er nicht mehr ein Gegenüber an, dass sich ihm offenbart, sondern seinen eigenen „Wunsch-Gott“ und damit letztlich sich selbst.
DIE FOLGEN NEGATIV
Gott macht keinen Hehl daraus, dass die Herstellung und Verehrung eigener Gottesbilder Konsequenzen hat. eingeleitet wird diese Ankündigung mit dem Hinweis auf die Gottesbeziehung „ich, der HERR, dein Gott“. Wer sich ein eigenes Bild macht, verlässt diese Gottesbeziehung. Gott aber ist ein „eifernder Gott“. Der Begriff „eifernd“ begegnet an anderen Stellen, wenn ein Ehepartner den anderen betrügt oder verlässt. Gott hat Israel erwählt und befreit und einen Bund mit ihm geschlossen. er nimmt einen Bruch nicht gleichgültig hin, sondern sucht Sünde heim und reagiert – wie, das wird nicht konkret genannt.
Wer ist betroffen? „Väter und Kinder bis ins vierte Glied“. Diese Formulierung löst viele Missverständnisse aus.
Deshalb einige erklärende Worte.
– Das Wort meint die lebenden Generationen. Wenn in einer Hausgemeinschaft, in der die Generationen zusammenleben, der Vater, der Älteste sündigt und bestraft wird, dann hat dies Auswirkungen auf alle, die in dieser Hausgemeinschaft leben.
– Die Frage an die Folgegenerationen ist, ob sie den Weg des Vaters gehen oder nicht. Die Schlusswendung „die mich hassen“ bezieht sich auf alle Generationen, nicht nur auf die Väter.
– Der Begriff „heimsuchen“ meint nicht nur die Strafe, sondern zuvor auch die Prüfung. Gott prüft jeden einzelnen, wie er sich zu ihm verhält. Die Kinder können sich auch von den Sünden der Väter distanzieren.
– es ist deutlich zu unterscheiden zwischen der individuellen Schuld und der Folge von Schuld. im Blick auf Schuld ist jeder persönlich für seine Sünde verantwortlich. Die Folge von Schuld kann aber auch Unschuldige treffen.
DIE FOLGEN POSITIV
Ungleich größer ist Gottes erbarmen, das nicht nur drei oder vier Generationen im Blick hat, sondern Tausenden gilt. Was kennzeichnet diejenigen, die in dieser umfassenden Weise Gottes erbarmen erfahren? „Sie lieben Gott und halten seine Gebote“. ein interessanter Doppelaspekt. An erster Stelle steht die Liebe. Die Liebe richtet sich auf das Gegenüber und nimmt dieses an, ohne dazu eigene Bilder zu produzieren. Und diese Liebe orientiert sich an Gottes Willen, wie er sich in seinem Gebot ausdrückt. Bei Jesus finden wir einen ganz ähnlichen Zusammenhang: „Liebt ihr mich, so werdet ihr meine Gebote halten.“ (Joh 14,15). DR. HARTMUT SCHMiD
https://lgv.org/fileadmin/LGV-Verband/Medien/10gebote/10_Gebote_-_02_Kein_Bildnis_machen.pdf

10 ARTEN ZU LIEBEN

1. Höre zu, ohne zu unterbrechen (Sprüche 18)
2. Rede, ohne anzuklagen. (Jakobus 1,19)
3. Gib, ohne zurückzuhalten. (Sprüche 21,26)
4. Bete ohne Unterlass. (Kolosser 1,9)
5. Antworte, ohne zu streiten. (Sprüche 17,1)
6. Teile, ohne zu betrügen. (Epheser 4,15)
7. Genieße, ohne zu meckern. (Philipper 2,14)
8. Vertraue, ohne zu wanken. (1. Korinther 13,7)
9. Vergib, ohne zu bestrafen. (Kolosser 3,13)
10. Versprich, ohne dein Versprechen zu vergessen. (Sprüche 13,12) GB

Hitlers Philosohie

„Hitlers Philosophie hatte eine dürftige wissenschaftliche Grundlage und sprengte deren Rahmen. Die Vorstellung von einer evolutionären Hierarchie der Rassen ist wissenschaftlich nicht haltbar. Dennoch wurde Hitlers Glaube an eine Rassenhierarchie sowohl von deutschen als auch von ausländischen Wissenschaftlern der damaligen Zeit unterstützt. Das sollte uns eine Warnung sein, was alles passieren kann, wenn Menschen Religion durch Naturwissenschaft ersetzen wollen und davon ausgehen, dass dadurch einer bessere Welt entstehen wird. Die Wissenschaft ist nicht dazu da, um uns Moral zu geben. Sie kann uns helfen, chemische Waffen oder Medikamente für eine Chemotherapie zu entwickeln, aber sie kann uns nicht sagen, ob und wann wir diese einsetzen sollen.“ So schreibt es Rebecca McLaughlin im überaus empfehlenswerten Buch „Kreuzverhör“.

Sei nicht so verurteilend!

Wer Prinzipien hat, anhand derer er andere Menschen und ihr Verhalten beurteilt, macht sich schnell unbeliebt in unseren hochsensiblen und politisch korrekten Zeiten. Gerne wird dabei auf die Bergpredigt verwiesen. Jesus sagt in Matthäus 7,1: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet.“
Ein Blick auf den Kontext der Bergpredigt kann dabei helfen, den Vers besser zu interpretieren. Im selben Abschnitt kommt Jesus zum Beispiel selbst zu einem Urteil: „Ihr sollt das Heilige nicht den Hunden geben und eure Perlen sollt ihr nicht vor die Säue werfen.“ Hier klassifiziert Jesus bestimmte Personen als Hunde und Säue. Ist das nicht Richten? Ist das nicht ein Urteil? Ein paar Verse weiter warnt Jesus außerdem vor falschen Propheten. Jesus hat also sehr wohl Urteile gefällt und fordert seine Jünger dazu auf, ebenfalls zu urteilen.
Was hat Jesus gemeint? Es scheint mir eine Warnung vor harschem, unbarmherzigem, verfrühtem Urteilen zu sein. So sagt er es auch an anderer Stelle: „Geht aber hin und lernt, was das heißt: „Ich habe Wohlgefallen an Barmherzigkeit und nicht am Opfer.“ (Matthäus 9,13). Aus dem Grund heißt es in dem Vers aus der Bergpredigt auch weiter: “ Denn nach welchem Recht ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden; und mit welchem Maß ihr messt, wird euch zugemessen werden.“ https://derconrad.wordpress.com/2019/07/09/sei-nicht-so-verurteilend/

Gesunde Lehre

Drei Prinzipien, an denen „gesunde Lehre“ zu erkennen ist.
Fünfmal schreibt Paulus in seinen Briefen an Timotheus und Titus von gesunder Lehre. Seine Mitarbeiter sollten eine gesunde biblische Lehre unter zum Teil schwierigen Menschen vertreten. Er ermutigt sie, dabei nach folgenden Prinzipien vorzugehen:
Gesunde Lehre gründet sich auf dem Fundament der Schrift. Ihr Ausgangspunkt ist nicht die eigene Überzeugung, sondern ausschließlich die Schrift. Nur wer seine Denkgewohnheiten immer wieder an der Bibel schärft, wird das Wort „in gerader Richtung schneiden“ (2Tim 2,15). Das Fundament unserer Theologie ist die Heilige Schrift, nicht Ideologie, Psychologie oder Philosophie. Auch neue oder ungewohnte Gedanken prüfen wir an der Schrift!
Gesunde Lehre folgt der Ausgewogenheit der Schrift, vermeidet also sektiererische Einseitigkeiten, Überspitzungen, Übertreibungen. Die Einseitigkeit kann so weit gehen, dass jemand es nicht mehr ertragen kann, wenn eine bestimmte Bibelstelle vorgelesen wird. Gesunde Lehre betont nicht nur eine Seite (die alle anderen angeblich vernachlässigt hätten), sondern predigt den ganzen Ratschluss Gottes (Apg 20,27).
Gesunde Lehre richtet sich nach den Maßstäben der Schrift, gerade auch in Bezug auf das persönliche Verhalten. Das betont der Apostel besonders. Der gesunden Lehre steht nämlich nicht eine falsche Lehre, sondern eine Liste von Sünden gegenüber (1Tim 1,9f). Wie ungesund muss die Lehre sein, die ein krankes Verhalten hervorruft – siehe oben.

Wortstudie parakaleo – ermahnen, trösten

„Na, na, na, das macht man aber nicht …“ – das ist das, was mir als erstes zum Thema parakaleo, „ermahnen“, einfällt. Ich ermahne euch aber, Brüder, so lautet das bei Paulus – und die Brüder zucken zusammen und hoffen, dass der Anpfiff nicht zu stark ausfällt. Aber halt! Paulus hat für diese Art von Ermahnen ein anderes Wort, noutheteo. Dieser Begriff enthält eine gewissen Schärfe, weshalb er auch gerne mit „zurechtweisen“ übersetzt wird. Er kommt im NT acht mal vor (Apg 20,31; Rom 15,14; 1 Kor 4,14; Kol 1,28; 3,16; 1 Thess 5,12.14; 2 Thess 3,15). Der Begriff parakaleo kommt wesentlich häufiger vor, nämlich 105 mal. Im Gegensatz zu noutheteo spielt er also eine weitaus wichtigere Rolle im Gemeindeleben des NT.
Am häufigsten erscheint er in der Apostelgeschichte und im zweiten Korintherbrief. In diesem Brief ist viel von Trost und von Trösten die Rede, und so wird auch parakaleo oft in dieser Bedeutung gebraucht: „trösten“. So kommt er auch in den Evangelien vor. Menschen, die einen Todesfall erleben (Mt 2,18; 5,4) oder sehr viel leiden mussten (Luk 16,25), brauchen Trost. Noch häufiger gebrauchen die Evangelisten parakaleo im Sinne von „bitten“. Dabei geht es meist um ziemlich schwerwiegende Anliegen, die mit großer Dringlichkeit vorgetragen werden. Der Hauptmann bittet um Hilfe für seinen kranken Knecht (Mt 8,5), die Dämonen bitten Jesus, in die Schweine fahren zu dürfen (Mt 8,31). In der Bedeutung von „bitten“ findet sich parakaleo auch häufig in der Apostelgeschichte gebraucht (z.B. Apg 13,42). „Trösten“ und „bitten“ sind damit zwei der wesentlichen Bedeutungen dieses Begriffs.
Angesichts dieser beiden Übersetzungsmöglichkeit klingt es tatsächlich seltsam, dass parakaleo eine unangenehme, ermahnende Funktion hat. Außerdem ist noch nicht geklärt, welcher Unterschied zwischen parakaleo und noutheteo besteht. Was hat „bitten“ und „trösten“ mit „ermahnen“ zu tun?
Das „trösten“ war für Menschen in einer sehr bedrängenden Situation bestimmt. Diese Menschen haben große Not und brauchen den Trost nicht im Sinne eines Trostpflasters, sondern als Hilfe, eine untragbare Not doch noch zu ertragen. Das „bitten“ wurde von Menschen ausgesprochen, die in Not waren. Die Größe der Not ist sicherlich unterschiedlich, aber fast immer wird deutlich, dass hinter den Bitten eine sehr große Dringlichkeit steht. Wenn also parakaleo gebraucht wird, dann handelt es sich um eine Zuwendung zu einem Menschen in Not oder um einen Notruf. Dem entspricht auch die Herkunft dieses Wortes, das wörtlich „herbeirufen“ bedeutet und in der Antike gebraucht wurde, um die Götter zum Opfer zu rufen.
Eine dritte Bedeutung im NT ergibt sich, wenn man „trösten“ und „bitten“ verbindet: „ermuntern“! Ermuntern bedeutet ja, jemandem Mut zu etwas machen. Man stärkt ihn durch Worte und hilft ihm, negative Gefühle zu überwinden. Insofern hat das „Mut machen“ Ähnlichkeit mit dem Trösten. Ermuntern bedeutet allerdings auch, jemanden zu etwas auffordern. Insofern klingt auch die Bitte in diesem Wort mit an.
Wenn biblische Autoren ihren Hörern Mut machen, etwas zu tun, dann lässt sich parakaleo am besten mit „ermuntern“ übersetzen.
Ein Beispiel: Die Elberfelder Bibelübersetzung übersetzt 1. Thess 2,10-12 mit:
„Ihr seid Zeugen und Gott, wie heilig und gerecht und untadelig wir gegen euch, die Glaubenden, waren; wie ihr ja wisst, dass wir euch, jeden einzelnen von euch, wie ein Vater seine Kinder ermahnt und getröstet und beschworen haben, des Gottes würdig zu wandeln, der euch zu seinem Reich und seiner Herrlichkeit beruft.“
Im Zusammenhang mit „trösten“ und dem Ausdruck dringlicher Bitte durch „beschworen“ macht es sehr viel Sinn, parakaleo mit „ermuntern“ zu übersetzen. Auf diese Art und Weise sagen alle drei Begriffe das Gleiche: Paulus hat alle Überzeugungskraft aufgebracht und die Thessalonicher sehr ernsthaft gebeten, sogar angefleht, nicht einfach die Berufung Gottes einzustecken und dann alles so laufen zu lassen wie bisher, sondern jetzt auch zu überlegen, wie diese Berufung sich im Leben darstellen kann.
Ein weiteres Beispiel zeigt sehr deutlich, dass „ermahnen“ keinen harten, arroganten Zug hat, sondern sehr deutlich mit Höflichkeit und Respekt vor dem anderen verbunden ist:
1 Tim 5,1:
„Einen älteren (Mann) fahre nicht hart an, sondern ermahne ihn als einen Vater, jüngere als Brüder.“ Statt einer harten und unbarmherzigen Schelte fordert Paulus einen Ton, der den Älteren als Respektsperson stehen lässt. Und auch den Jüngeren gegenüber duldet Paulus keine Überheblichkeit – sie sollen als „Brüder“ ermahnt werden.
Es wird deutlich, dass man möglicherweise an einer Reihe von Stellen, wo bisher mit „ermahnen“ übersetzt wurde, besser mit „ermuntern“ übersetzen könnte. Wichtiger noch als die Frage, welches deutsche Wort dem griechischen parakaleo am Besten entspricht, ist die Frage, welche Haltung im Leben diesem Wort am Besten entspricht.
Wenn „ermahnen“ vor allem vom Bitten und Trösten her kommt, dann muss sich das auch im praktischen Gemeindealltag so erweisen. Unser „Kritisieren“ oder „zur Rede stellen“ oder „jemandem dem Kopf waschen“ darf nicht von „deutschen“ Vorstellungen gefüllt werden, sondern muss biblischen Vorstellungen entsprechen. Wer käme schon auf die Idee, wie ein Vater seine Kinder (1. Thess 2, 10-12) seinen Bruder oder einer Schwester auf einen Fehler oder eine Sünde aufmerksam zu machen. In der Praxis klingt es doch oft eher so, wie ein Chef seinem Angestellten oder wie ein Lehrer seinem Schüler etwas sagt. Der Blickwinkel, den parakaleo vorgibt, ist deshalb eine wichtige Selbstkorrektur: was bewegt, ist erstens die Not des anderen, zweitens die Not, die durch das Verhalten des anderen entstehen kann. Was als Beweggrund nicht akzeptabel ist, ist der eigene Zorn, die persönliche Unzufriedenheit, die Abneigung gegen den anderen, der persönliche Geschmack, der Kampf um die Interessen einer Gruppe, der Kampf um Traditionen.
Ermuntern ist eine wichtige Aufgabe in der Gemeinde. Immer wieder fordert Paulus dazu auf oder praktiziert es selbst. Offensichtlich ist auch in der Gemeinde des ersten Jahrhunderts das Leben eines Christen kein Automatismus, der Besitz des Heiligen Geistes keine Garantie dafür, dass ab jetzt alles richtig läuft. Gott hat es so bestimmt, dass wir uns nicht autonom nach dem Motto „ich und mein Gott“ entwickeln, sondern auch vom Trost, vom guten Zureden, vom Ermuntern und Ermahnen unserer Mitstreiter im Glauben abhängen.
Andererseits scheint dieses Ermuntern oft nicht recht zu gelingen, Menschen fühlen sich beleidigt, Beziehungen werden belastet, Gefühle werden verletzt. Vielleicht ist das ein Ausdruck dafür, dass wir es viel zu wenig üben, dem anderen etwas in Liebe und echter Zuwendung zu ihm zu sagen. Wenn wir es dann, selten genug, trotzdem tun, geht es schief und entmutigt uns noch mehr, es weiter zu praktizieren.
So hoffe ich, dass dieser Artikel und diese Ausgabe uns ermuntern, darüber nachzudenken, wie wir ein konstruktives „Ermuntern“ entwickeln und pflegen können, wie wir eine „Ermunterungskultur“ in der Gemeinde aufbauen können. Wenn eine solche Kultur besteht, dann wird auch der Einzelne es nicht mehr als Unglück empfinden, wenn er „ermuntert“ wird. Die Fähigkeit, sich etwas sagen zu lassen, steigt, wenn das „Ermuntern“ eine Praxis ist, die ständig und mit allen Gemeindegliedern praktiziert wird. „Ermuntern“ darf kein „Abmahnen“ sein, sondern muss als wichtiges Werkzeug zur Förderung des Glaubens gebraucht und verstanden werden.
1. Thess 5,11: (Neue Genfer Übersetzung)
„Deshalb macht euch gegenseitig Mut und helft einander ‚im Glauben‘ weiter, wie ihr es ja auch jetzt schon tut.“
[ 1 ]    Ulrich Neuenhausen ist Dozent an der » Bibelschule Wiedenest«.
https://www.efg-hohenstaufenstr.de/downloads/bibel/parakaleo.html