Spiritualität

spirituelle Kargheit

Bei aller – wie ich finde – wichtigen Rede, des Neuüberdenkens und Wiederentdeckens spiritueller Praktiken, sollten wir immer Bedenken, dass es sich hierbei nur um Hilfen handeln kann, den Weg zu gehen und dass diese nicht mit dem Weg selbst verwechselt werden dürfen. Folgendes Zitat, das ich heute morgen gelesen habe, verdeutlicht dies – wie ich finde – recht gut:

„Im Neuen Testament finden sich viele Bezüge und Parallelen zu der für das zeitgenössische Judentum typischen Enthaltsamkeit in gottesdienstlicher Hinsicht und zur jüdischen Spiritualität des Worts. Das Streben nach der Verbindung mit dem Göttlichen, das in der paganen Spiritualität auftauchen kann und das später für das Christentum und insbesondere für die christliche Mystik so wichtig wird, erscheint nur in zurückhaltender und gebrochener Form. Die Evangelien zeigen eher, dass Jesus nicht nur den Rahmen des jüdischen Gottesdienstes am Tempel und die Gestalt der Synagogenversammlung nicht angetastet oder grundlegende Veränderungen derselben eingefordert hat, sondern dass er der Jüngergruppe, die er um sich gesammelt hat, eher noch Zurückhaltung auferlegte in Bezug auf Praktiken, denen normalerweise eine spirituelle Kraft zugebilligt wurde. So hielt er seine Jünger nicht zum Fasten an und führte sie auch nicht in ein umfassendes Gebetsleben ein, sondern lehrte sie ein so knappes Gebet wie das „Vaterunser“. Das Leben der Jünger mit Jesus zeichnete sich in dieser Hinsicht durch eine gewisse spirituelle Kargheit aus.

Hingegen wird in den Evangelien, insbesondere im Markusevangelium eine ganz andere Form von Spiritualität entfaltet: Die Spiritualität der Nachfolge Jesu. Dieser spirituelle Weg ist aber gerade nicht ein innerer Weg der Seele, der über viele Stufen zur Schau Gottes führt, sondern er ist zuerst einmal nichts anderes als ein ganz irdischer, leiblicher Weg, der im alltäglichen Rahmen statt findet. Die Jünger haben zwar wenigstens zeitweise ihre Familien und ihre Verdienstmöglichkeiten verlassen, aber werden von Jesus nicht in der Abgeschiedenheit eines Klosters oder der Wüste durch Meditationstechniken auf einen höheren geistigen Weg geführt, sondern sie leben inmitten des gesellschaftlichen Rahmens, werden zusammen mit Jesus zu Gastmählern eingeladen, wandern von Dorf zu Dorf, hören, wie er lehrt, und sehen charismatische Wundertaten, die er vollbringt. Doch in der Summe dieser Erzählungen eröffnet sich eine ureigene Spiritualität, die nicht jenseits, sondern inmitten der elementaren Lebensvollzüge geschieht.“

Aus Wich, Peter 2002: Unverständnis, Schrecken, Auferstehung und fragende Nachfolge. Das Neue Testament als spiritueller Wegweiser. In: Pauly, Stephan (Hrsg.): Spiritualität in unserer Zeit. http://pickaboo.typepad.com/pickaboo/2006/04/spirituelle_kar.html#comments

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