Warten auf Godot

Zum Weltbild des absurden Theaters
Als Beispiel für das Weltbild des absurden Theaters wollen wir das Werk Samuel Beckens «Warten auf Godot» betrachten.
Inhalt
«Warten auf Godot» spielt auf einer Landstraße in der Nähe eines Baumes. Hier warten zwei Personen, Wladimir und Estragon, auf Godot, der jedoch im Stück selbst nie auftritt. Während des Wartens unterhalten sich die beiden, um die Langeweile zu vertreiben. Auch ihr Zusammentreffen mit Pozzo und seinem Diener Lucky ändert nichts an ihrer Situation. Ein junger Bote vertröstet sie aber mehrfach auf den nächsten Tag, ohne daß etwas geschieht. Bis zum Ende des Stückes wagen Wladimir und Estragon weder wegzugehen, noch den mehrfach geplanten Selbstmord auszuführen.
Grundbegriffe
Der eigentliche Sinn der Existenz der beiden Helden ist das Warten auf Godot. Doch dadurch, daß Godot nie auftaucht, wird dieser Sinn absurd und sinnlos. Wenn sie trotzdem bleiben, liege das daran, daß sie die Hoffnung nicht aufgegeben haben, doch noch Godot zu treffen. Durch das Treffen würde sich ihr Leben verändern, ihre Situation würde sich bessern, auch wenn Wladimir behauptet, eigentlich keinen Anspruch auf Besserung zu haben. Wenn sie Besserung erhoffen, muß ihr gegenwärtiger Zustand dementsprechend schlecht sein. Da sie außer dem Warten auch keinen Sinn und Zweck haben und dazu nichts Ablenkendes passiert, ist alles sinnlos, langweilig. Um sich dessen nicht bewußt zu werden, müssen sich die Personen unterhalten. Die Sprache hat also eine völlig neue Funktion. Sie hält die Redenden zwar zusammen, schafft aber erst recht die Isolation des Individuums, indem sie nur noch dazu dient, die fehlende Handlung und Aktivität zu ersetzen. Da die Hoffnung nie erfüllt wird, das Warten also sinnlos ist, dies die Handlungspersonen jedoch nicht wissen, können wir drei Zentralbegriffe des Absurden heraus1ösen Hoffnungslosigkeit, Sinnlosigkeit und Ungewißheit.
Reaktionsmöglichkeiten
Auf diesen Zustand reagieren wir mit Lachen, obwohl wir eigentlich weinen müßten. Wie jedoch können die unmittelbar, betroffenen Personen auf diesen Zustand reagieren?
Sie könnten weiter warten. Dann sind sie Passivisten, also gleichgültig und abgestumpft, oder keine Nihilisten, sondern Optimisten, was hier schon mit Religion zu verbinden wäre. Sie könnten aber auch fortgehen und etwas anderes tun. Dem Zustand wäre außerdem durch Selbstmord zu entgehen. Ungewiß sind jedoch alle Reaktionen, Das Warten aus religiösem Optimismus wird im Gespräch Wladimirs und Estragons als nicht sicher hingestellt. Erlöst wurde nämlich nur einer von zwei Schächern, und das, so behauptet Wladimir, wird auch nur von einem der vier Evangelisten bestätigt. (Die Wahrscheinlichkeit erlöst zu werden, wäre also weniger als 1:8 = 12,5 %).
Weggehen birgt den Risikofaktor in sich, an nächster Stelle eine ähnliche oder unbekannte Situation vorzufinden. Und sogar Selbstmord wirft eine Frage auf, die nicht zu beantworten ist, nämlich ob da mit die Flucht wirklich geglückt ist, oder ob womöglich mit dem Tod doch nicht alles vorbei ist.
Die Person «Godots»
Hoffnungslosigkeit und Hoffnung, Sinnlosigkeit und Sinn, Ungewißheit und Gewißheit hängen ganz alleine von Godot ab. «Über seinen Namen ist viel gerätselt worden; man kann in ihm «God finden, das englische Wort für Gott, und «ot», die französische Verkleinerung. Godot wäre demnach ein «Gottchen», eine Art Ersatz – Gott. Beckett freilich, 1967 in Berlin nach dem Namen Godot befragt, gab die Auskunft, er habe in Südfrankreich einmal bei einer Familie Godot gewohnt. Auf der Bühne ist Godot ein unbestimmbares Wesen: etwas Mächtiges, Jenseitiges, Unerreichbares, von dem sich Wladimir und durch ihn auch in gewisser ‘Weise Estragon abhängig fühlen» (Zitiert nach: Georg Hensel, Sarnuel Beckett, Friedrichs Klassiker Nr. 92, Velbert bei Hannover 1968-1, S. 28/29). In dieser Abhängigkeit können sie bleiben oder nicht, ohne dabei die Frage nach der Existenz Godots beantworten zu müssen.
Camus zur Fraqe: Sinnlos = wertlos?
Augenscheinlich zeigen alle Werke des absurden Theaters, wie das Dasein des Menschen doch ohne Sinn ist. Ein sinnloses Leben muß jedoch nicht automatisch wertlos und ohne Glück sein. Hören wir dazu Albert Camus in «Der Mythos von Sisyphos»: «Ich verlasse Sisyphos am Fuße des Berges! Seine Last findet man immer wieder. Nur lehrt Sisyphos uns die größere Treue, die die Götter leugnet und die Steine wälzt. Auch er findet, daß alles gut ist. Dieses Universum, das nun keinen Herrn mehr kennt, kommt ihm weder unfruchtbar noch wertlos vor. Jedes Gran dieses Steines, jeder Splitter dieses durchnächtigten Berges bedeutet allein für ihn eine ganze Welt. Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen» (zitiert nach: Albert Camus, Der Mythos von Sisyphos, «Ein Versuch über das Absurdes, Rowohlt Hamburg 1959-1, S. 101).
Gegner und Befürworter
Es mag viele Menschen geben, die auf ähnliche Weise glücklich sind. Wir werden sie ebenso unter den Gegnern des absurden Chaos finden, da der Kampf gegen Gipfel ja nach und innerhalb einer bestimmten Ordnung verläuft, wie Anhänger einer alter Ordnung (so Angehörige bürgerlicher Schichten) und auch unter Verfechtern neuer Ordnungen, wie es links- und rechtsextreme Gruppen tun. Da sich außerdem die Theaterform auf keiner unserer politischen Skalen einordnen läßt, wird der Kreis der Zuschauer, die das absurde Theater positiv aufnehmen, immer enger. Das ist auch deswegen nicht erstaunlich, da ja dem «Ich». auf der Bühne, dem Abbild des Autorbewußtseins, jeglicher Bezugs rahmen fehlt, der bei. allen vorher gehenden Theaterformen vorhanden war. So werden sich nur wenige an eine Gesellschaft mit Bezügen gewöhnte Menschen mit einem so «absurden Ich» identifizieren. Trotzdem meine ich, sollte man die Fragen nach Sinn und Ordnung des Lebens, die dieses Theater auf- wirft, auch bei anderen Anschauungen nicht einfach übergehen. Ich glaube sogar, sie mir stellen zu müssen, obwohl ich an Stelle Godots als Sinngebendes den Gott der Bibel betrachte und laut Albert Camus der Glaube und die Existenz eines Gottes die Verneinung des Absurden ist. Von daher liegt für mich aber auch die Frage nahe, ob nicht der Sinn des Lebens erst durch die «Verleugnung der Götter. abhanden kommt, so wie ja auch Sisyphos den Sinn seiner Strafe verliert, in dem er die existenten Götter verneint.
factum Februar 1986 Prof. Dr. mult. Thomas Schirrmacher http://www.factum-magazin.de/wFactum_de/

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