Stell dir vor, du gehst spazieren. Plötzlich kommt eine Frau angerannt, die voller Angst in einer Seitenstraße verschwindet. Kurz darauf stürzt ein aggressiver Mann auf dich zu. Er hat ein Messer in der Hand und will wissen, ob du die Frau gesehen hast. Sagst du die Wahrheit? Nehmen wir noch ein anderes Beispiel: Eine Oma aus der Nachbarschaft liegt nach einer schweren Operation im Krankenhaus. Als du sie besuchen kommst, fragt sie dich, wie es ihrem geliebten Kanarienvogel geht. Dir wird heiß und kalt: Du hast mitbekommen, dass er heute Morgen tot in seinem Käfig lag. Die Krankenschwester hat dir eingeschärft, dass die Oma sich auf keinen Fall aufregen darf. Sie ist nach der Operation noch viel zu schwach. Sagst du ihr trotzdem was Sache ist und riskierst einen Herzstillstand? Oder weichst du der Frage aus und redest dich irgendwie raus? Gott gibt im Alten Testament die einfache Anweisung: »Ihr sollt nicht stehlen, nicht lügen und einander nicht betrügen!« (3. Mose 19,11).
Was verstehen wir unter Lüge oder Täuschung?
Zuerst müssen wir klären, was eine Lüge ist. In unserer Kultur versteht man unter einer Lüge eine schriftliche oder mündliche Aussage, die sachlich nicht korrekt ist. Eine falsche Aussage, die man aus Versehen macht, ist noch keine Lüge, sondern ein Irrtum. Lügen werden bewusst mit der Absicht geäußert, andere Menschen in die Irre zu führen. Es gibt verschiedene Gründe für Lügen: Oft will der Lügner einen Vorteil erlangen und nimmt dafür Nachteile oder Verletzungen der Mitmenschen in Kauf. Oder man will eigene Fehler vertuschen, um Kritik oder Strafe zu entgehen. Notlügen werden in Situationen gebraucht, in denen man es für ungeschickt oder sogar gefährlich hält, die Wahrheit zu sagen. Es gibt sogenannte Höflichkeitslügen, die man äußert, um einen anderen nicht zu verletzen: Man wünscht sich schon nach dem ersten Bissen, man könnte den Rest unter dem Tisch verschwinden lassen. Trotzdem bedankt man sich bei der Gastgeberin für das leckere Essen. Eine Täuschung unterscheidet sich von einer Lüge dadurch, dass man einen anderen nicht mit Worten, sondern durch Handlungen oder Verschweigen von Tatsachen in die Irre führt – zum Beispiel, wenn man vorgibt zu schlafen, um andere zu belauschen. Von den meisten Menschen wird Lügen zwar theoretisch als unmoralisch angesehen. Im Alltagsleben, besonders vor Gericht, wird Lügen aber immer öfter als vertretbar angesehen, wenn man dadurch einen Erfolg erreicht.
Was nennt die Bibel eine Lüge?
In der Bibel beinhaltet der Begriff »Lüge« noch mehr als nur die Wortlüge. Mit den Worten »Lüge« und »Lügen« werden verschiedene Worte aus dem Hebräischen und Griechischen im Deutschen wiedergegeben. Diese Worte umfassen unwahre Aussagen, nicht gehaltene Versprechen, Verleugnung einer Person oder eines Sachverhaltes, falsche Aussagen über Andere und Untreue einem anderen Menschen oder Gott gegenüber. Ein falscher Eid fällt ebenso unter das Urteil »Lüge« wie der Götzendienst des Volkes Israel, wodurch es Gott die Treue gebrochen hat. Gegenteile der Lüge sind Wahrheit, Gerechtigkeit, Recht, Treue und Beständigkeit. Häufig gebraucht wird der Begriff Lüge in der Bibel für falsche Aussagen über einen anderen Menschen vor Gericht. Diese Bedeutung verbirgt sich auch hinter dem Gebot, das Luther mit »Du sollst nicht lügen« übersetzt hat.
Was denkt Gott über Lügen?
Grundsätzlich verabscheut Gott Lüge und Unwahrheit. Er ist die Wahrheit in Person. Das heißt, Gott ist wahrhaftig, gerecht und treu. Alles, was er sagt und tut, ist wahr: »Gott ist kein Mensch, der lügt. Er ist nicht wie einer von uns, der seine Versprechen bald wieder bereut. Was er sagt, das tut er, und was er ankündigt, das führt er aus.« (4. Mose 23,19). Mehrmals in der Bibel betont Gott, dass er Lüge und alles, was damit zusammenhängt, hasst. Als Ursprung der Lüge nennt die Bibel den Teufel. Sie sagt: »Sein ganzes Wesen ist Lüge, er ist der Lügner schlechthin – ja, der Vater jeder Lüge.« (Johannes 8,44). Er will mit der Wahrheit nichts zu tun haben und ist ihr schlimmster Feind. Ziel des Teufels ist es, Gottes Wahrheit zu verdrehen und Gottes Schöpfung zu zerstören. Wer lügt, lässt zu, dass der Teufel in diesem Moment über ihn bestimmt. Deshalb geht es bei der Frage um Wahrheit und Lüge nicht nur um oberflächliche Kleinigkeiten, sondern es steckt viel mehr dahinter. Gott weiß, welchen Schaden der Teufel durch Lügen anrichten kann. Deshalb warnt er so eindringlich vor der Lüge. Von Geburt an ist der Mensch nicht vertrauenswürdig, urteilt die Bibel. Jeder Mensch ist ein Lügner: wir verhalten uns untreu, ungerecht und leugnen Gott. Wir lieben die Lüge, weil der Teufel noch für eine gewisse Zeit die Macht auf der Erde hat und die Menschen unter seiner Herrschaft hat. Gott möchte aber, dass wir als seine Nachfolger ebenso wahrhaftig leben wie er – wir sollen genauso heilig sein wie er selbst. Deshalb werden wir aufgefordert, alle Angewohnheiten unseres sündigen Lebens wie alte Kleider abzulegen. Dazu gehört auch die Lüge. Vor allem fordert Gott uns in der Bibel auf, nichts Unwahres über unsere Mitmenschen zu verbreiten. Jakobus schreibt in seinem Brief: »Redet nicht schlecht übereinander, liebe Brüder und Schwestern! Denn wer jemandem Schlechtes nachsagt oder ihn verurteilt, der verstößt gegen Gottes Gesetz. Anstatt es zu befolgen, spielt er sich als Richter auf.« (Jakobus 4,11) Das Schlimme an Lügen ist, dass sie Beziehungen zerstören. Jemand hat einmal einen guten Vergleich gebraucht: Wer eine Lüge ausgibt, der ist ein Falschmünzer. Die Münze kommt in Umlauf und wird als Wertmittel gebraucht. Jedes Mal, wenn die Lügenmünze aus einer Hand gegeben wird, kommt ein falscher Wert in Umlauf, der nicht zurückgerufen werden kann. Genau das ist im Interesse des Teufels. Gottes Wunsch ist aber, dass unsere Beziehungen heil sind und funktionieren. Deshalb ist es gut für uns, Gottes Regeln im Bezug auf Ehrlichkeit zu befolgen. Wie für alle anderen Sünden gilt auch für die Lüge, dass Gott uns vergibt, wenn wir ihn darum bitten. Das sehen wir an Petrus, dem Jesus vergeben hat, dass er ihn verleugnet und damit gelogen hat. Trotzdem müssen wir die Konsequenzen tragen. Nicht umsonst gibt es das Sprichwort: »Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, auch wenn er dann die Wahrheit spricht.« Im Fall von Petrus wurde die Beziehung wieder repariert. Oft ist es aber sehr schwierig oder sogar unmöglich, durch eine Lüge enttäuschtes Vertrauen wieder herzustellen.
Lügenfallen im Alltag
Grundsätzlich gilt: Gott möchte, dass wir die Wahrheit sagen. In der Bibel steht nirgends, dass wir das Recht haben, Notlügen in gewöhnlichen Alltagssituationen zu gebrauchen. Das sind Lügen, die Gott mit gutem Grund hasst, weil sie so viel kaputt machen können. Lüge erzeugt immer eine Stimmung des Misstrauens und belastet Beziehungen. Rede dich aus unangenehmen Situationen und Fehlern nicht raus, sondern steh zu dem, was du getan hast. Benutze keine Ausreden, wenn du jemanden nicht sehen willst. Oft ist es schwierig, die Wahrheit zu sagen. Man braucht dazu viel Mut und Fingerspitzengefühl. Ehrlich zu sein heißt nicht, sich lieblos und rücksichtslos zu verhalten. Wenn du die Wahrheit liebevoll und nicht verletzend äußerst, ist das auf Dauer besser für eine Beziehung als eine Lüge, die es im Augenblick scheinbar leichter macht. Bleib bei der Steuererklärung, BAFöG und GEZ ehrlich, auch wenn dann manches teurer wird. Auch dann die Wahrheit zu sagen, wenn es Nachteile mit sich bringt, ist eine ganz praktische Art, Gott dein Vertrauen zu zeigen und ihn zu ehren. Insgesamt müssen wir Lüge und Wahrheit aber nicht strenger als die Bibel selbst definieren. Viele Scherze, Höflichkeit, Stilfiguren und so weiter kann man nicht als Lüge bezeichnen, auch wenn sie nicht hundertprozentig die Wirklichkeit widerspiegeln. Sie sind sprachliche Ausdrucksmöglichkeiten, die zu unserer Kultur gehören. Scherzhafte Aussagen sind nur dann gefährlich, wenn sie in einem Umfeld gemacht werden, wo der andere die Ironie nicht versteht.
Gibt es Situationen, in denen Lügen erlaubt ist?
Obwohl Gott Lügen verabscheut, gibt es eine Situation, in der die Bibel Notlügen rechtfertigt, und zwar dann, wenn Menschen in Lebensgefahr sind. In diesem Fall spricht man von einer Pflichtenkollision: Gott verbietet das Lügen, aber genauso das Töten. Eine Möglichkeit ist, in einer solchen Situation einen Teil der Wahrheit zu verschweigen oder eine mehrdeutige Antwort zu geben. Aber auch damit täuscht man bewusst sein Gegenüber. Man kann die Antwort verweigern oder eine Gegenfrage stellen. Damit macht man sich aber schnell verdächtig. Oft sind diese Ausflüchte nicht möglich und werden meiner Meinung nach von Gott auch nicht verlangt. Rahab hat gelogen, um das Leben der israelitischen Spione zu retten und wird deshalb im Neuen Testament zu den Glaubenshelden gezählt. Die hebräischen Hebammen retteten die Babys ihres Volkes, obwohl der ägyptische Pharao befohlen hatte, alle Neugeborenen zu töten. Als der Pharao nachfragte, belogen sie ihn. Diese Lüge wird in der biblischen Erzählung nicht ausdrücklich gut geheißen, aber wir lesen, dass Gott die Hebammen für ihr Tun segnete. Ähnlich hat Corrie ten Boom gehandelt, die im Zweiten Weltkrieg Juden in ihrem Haus vor den Deutschen versteckte. Als sie von einem Offizier nach dem Versteck der Juden befragt wurde, belog sie ihn und rettete damit einigen Menschen das Leben. Wenn es um Leben oder Tod geht, ist es wichtiger das Leben zu retten als nicht zu lügen. Deshalb darf im äußersten Notfall eine Lüge Leben retten. Ähnlich ist es mit Situationen, in denen die Wahrheit eine Person zu Tode erschrecken könnte – zum Beispiel die Oma im Krankenhaus, deren Kanarienvogel gestorben ist. Hier kann man nicht immer die harte Wahrheit sagen. Man muss den Einzelfall beobachten und abwägen, ob es richtig ist, ehrlich zu sein, oder ob durch die Lüge ein größerer Schaden angerichtet wird. Prinzipiell sollte aber immer unser Ziel sein, den Menschen die Wahrheit in Liebe beizubringen.
Botschafter der Wahrheit sein
Wir leben in einer sündigen Welt, in der Lüge und Betrug alltäglich sind. Gott wünscht sich, dass wir als seine Botschafter seine Wahrheit in das Leben der Menschen bringen. Ehrlich zu sein ist ein Ausdruck der Liebe gegenüber unseren Mitmenschen. Wahrhaftig leben befreit, es ist ein Leben in Gottes Gegenwart und ermöglicht gute und tiefe Beziehungen. Und wenn wir ehrlich sind, ist das doch genau das, was wir uns wünschen. Zugegeben, es ist nicht immer einfach, die Wahrheit zu sagen und zu leben. Aber wenn es dein Wunsch ist, Gott durch Ehrlichkeit zu ehren, kannst du dich darauf verlassen, dass Gott dir in jeder Situation genügend Mut und Fingerspitzengefühl zur Wahrheit schenkt. Nach einem gekürzten Artikel von Rahel Ecker in der Zeitschrift Dennoch.