Der andere Bonhoeffer: Die Herausforderung des Modernismus.

Es war höchste Zeit, dieses Buch zu schreiben! Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) gilt im evangelikalen Lager zwar als Lieferant für fromme Spruchkarten, seine Theologie wird jedoch kaum beachtet und eher beargwöhnt, scheint er doch ein Kirchenvater der Linken zu sein. Mit solchen Vorurteilen und Fehlinterpretationen räumt der Theologieprofessor Georg Huntemann gründlich auf, indem er Bonhoeffer radikal anders versteht. Dabei Stülpt er dem Theologen des Kirchenkampfes eben nicht einfach ein neues Verständnis über, sondern analysiert sorgfältig sein Werk. So kommt Huntemann von den Quellen her zu einem authentischen Bonhoeffer-Verständnis, das viele nötigen wird, ihre Meinung zu ändern; zumal Evangelikale, für die er dieses Buch geschrieben hat. Engagiert und zupackend im Stil entfernt er den »dunklen Schatten des Nachkriegsmodernismus«, den man über Bonhoeffer gelegt hatte, und stellt ihn überzeugend als Ordnungs- und Verantwortungsethiker dar. Aspektreich wird sein theologisches Werk analysiert, wobei Huntemann gerade auch die befremdlichen Aussagen („Ohnmacht Gottes«, »religionsloses Christentum«, »Mündigkeit ohne die Arbeitshypothese Gott“) eingehend behandelt und bei aller Sympathie für Bonhoeffer nicht blind wird für dessen Schwächen. Aufregend wird das Buch, weil Huntemann es nicht bei der Darstellung der Theologie Bonhoeffers beläßt, sondern die erforderlichen Konsequenzen zieht, nicht nur theologisch, sondern vor allem geistesgeschichtlich und gegenwartskritisch. Die herausfordernde Analyse der Situation des modernen Menschen und der Kirche mittels Bonhoeffers Werk – das ist der Kern des Buches. Es versteht dessen Leben und Denken als radikale Verneinung der Ideologie durch die Christologie und wird gerade dadurch aktuell. Scharf, aber nie ungerechtfertigt werden Fehlentwicklungen von Pietismus und Kirche markiert, wobei Huntemann deutliche Worte nicht scheut: »Die Verweltlichung der Volkskirche, die ungefragt in der Vergeudung von Wort und Sakrament die billige Gnade über die Welt ausgießt, verdeckt mit religiösem Fassadenchristentum den Atheismus des Abendlandes- (S. 178). Die Konzentration auf Bonhoeffer wird dadurch zu einer Anklage gegen den heutigen Weg der Volkskirche, die weder Lehrzucht noch Kirchenzucht kennt. Huntemanns Fazit ist eindeutig: »Die gegenwärtigen Herausforderungen der christlichen Kirche durch Feminismus, durch den Kritizismus und durch die Perversion können nur durch einen Kirchenkampf, der noch aussteht, beantwortet werden. (S. 293). »Dabei ist zu bedenken, daß eine Kirche der Zukunft nur als bekennende Kirche unter dem Wort möglich, denkbar und verheißungsvoll ist« (S. 292). Diese Darstellung der Theologie Bonhoeffers, der am 9. April 1945 im KZ Flossenbürg als Märtyrer der Kirche Jesu Christi hingerichtet worden ist, wird in ihrer Prägnanz manchen Leser aufschrecken. Es ist zu hoffen, daß es für den Protestantismus ein heilsamer Schrecken sein wird.
Georg Huntemann. Der andere Bonhoeffer: Die Herausforderung des Modernismus. Brockhaus Verlag: Wuppertal. 1989. 318 S. geb.
Lutz E. von Padberg, D-Everswinkel Bibel und Gemeinde 1/ 90

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