Der Gottesdienst und die Musik im alten Israel unterschieden sich sehr von heutigen Formen, Gottesdienst zu feiern. Für Christen in einer protestantischen Tradition steht immer und richtigerweise das Wort Gottes und die Predigt im Zentrum. Neben dem Wort spielte schon in der Reformation die Musik eine wichtige Rolle. Sie hat ihre Entdeckung des Evangeliums auch durch die Lieder verbreitet, wie auch die nachfolgenden Erneuerungs- oder Erweckungsbewegungen sehr von den Liedern getragen wurde. Heute gehört die Musik für die meisten selbstverständlich zu einem Gottesdienst. Sie hat die Aufgabe, das Hören des Wortes zu erleichtern und das verkündigte Wort im Lied zu verstärken. Ein Musikstück eröffnet und beendet meist die gottesdienstliche Feier, das gemeinsame Singen wird von Instrumenten unterstützt, musikalische Einlagen begleiten Zeiten der Meditation oder die Austeilung des Abendmahls. Seit etwa 2 50 Jahren gehört auch die Blechblasmusik zum gewohnten Programm kirchlicher und gottesdienstlicher Feiern, vor allem bei besonderen Anlässen und an Festtagen. Liest man auf diesem Hintergrund die Erwähnung von Trompeten in alttestamentlichen Texten, dann ist man geneigt, sie von der Erfahrung der heutigen Posaunenchormusik her zu verstehen. Dies kann die biblischen Aussagen jedoch verzerren. Die folgenden Anmerkungen zur alttestamentlichen Tempelmusik und speziell zur Funktion der Trompeten soll helfen, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede besser zu verstehen.
1. Opfergottesdienste
Gottesdienste im alten Israel hatten andere Akzente. Ganz genau wissen wir nicht, wie sie ausgesehen haben. Aber soviel ist sicher, es waren Gottesdienst für alle Sinne. Im ihrem Zentrum standen die Opfer, sie bildeten den eigentlichen Kern, um den sich alle anderen Elemente gruppierten. Im Gottesdienst rief man Gott an, das war mit einem Opfer verbunden. Die elementare Form eines Opfers sah etwa so aus: eine Familie suchte ein Tier aus der Herde aus, einen Ziegenbock, ein Schaf. Es mussten männliche Tiere sein, die weiblichen behielt man in der Herde für die Milch und für weitere Lämmer. Wenn das Tier so bestimmt war, wusste jeder, dass es das entscheidende Opfertier war. Dann trat man an das Heiligtum – die Stiftshütte, später den Tempel. Dies war der Ort, Gott zu begegnen. Die Stiftshütte hieß Zelt der „Begegnung“, es war der Ort, wo Gottes Adresse auf der Erde war. Hier war die Nabelschnur, die die unsichtbare Welt mit der sichtbaren verband (Hes. 3 8:12 ). Da traf die Heiligkeit Gottes auf die unheilige Welt der Menschen. Diese Spannung zu überbrücken, hatten die Opfer eine sühnende Funktion. Im Heiligtum nahm der Priester das Tier entgegen. Der opfernde Familienvater stemmte seine Hände auf das Tier und identifizierte sich damit. Er schlachtete es, spricht wohl dabei eine Art Glaubensbekenntnis. Das Tier wird geschächtet, d. h., das Blut soll weitgehend ausfließen. Etwas von dem Blut wird dann an den Altar gestrichen, je nach Art des Opfers an die Seiten oder an die Ecken des Altars. Bei ganz großen Opfern wurde auch etwas ins Heiligtum gesprengt, nur am großen Versöhnungstag wurde etwas im Allerheiligsten auf die Bundeslade gesprengt. Ein Blutritus gehörte fast zu jedem Opfer. Man kann Gott nicht nahen, ohne sein Leben zu gefährden. Das Blut, das in die Gegenwart Gottes gebracht wurde, drückt den Gegensatz von Tod und Leben aus und hat eine sühnende Funktion. Dann nimmt der Priester einen Teil des Opfertieres, vor allem das Fett, und opfert es auf dem Altar. Der Rauch steigt auf. Eine Portion des Fleisches von dem geschlachteten Tier steht dem Priester zu, der Rest wird anschließend von der ganzen Familie verzehrt. Die meisten privaten Opfer waren mit einer gemeinschaftlichen Opfermahlzeit verbunden, oft begleitet von Getreideopfer (Brot) und Trankopfer (Wasser, Wein). Das alttestamentliche Opfer war ein richtiges Sättigungsmahl, bei dem gelegentlich auch zu viel Wein getrunken wurde (1. Sam. 1 :13 ). Durch das Schlachten und Ausnehmen der Tiere und das Verbrennen des Fettes kam es auch zu unangenehmen Gerüchen. Dies wurde im Inneren des Heiligtums durch die Rauchopfer gemildert. Ausgesuchte Baumharze, eine spezielle Mischung wurden als Weihrauch im Heiligtum verbrannt – eine Art Parfum in der Wohnung Gottes, das die Gerüche verdrängte, die mit dem Schlachten verbunden waren. Auch Fliegen und Mücken wurden abgehalten, die sich bei jeder Form von Mist und Abfällen sammeln. Rauch desinfizierte gleichzeitig. Die Wohnung Gottes sollte besonders sein.
2. Die Musik im Opfergottesdienst
Das Opfer war der Kern des israelitischen Gottesdienstes. Natürlich gehörten dann dazu liturgische Elemente wie Bekenntnisse, Gebete, Zusagen und Segen durch den Priester. Die Lesung der Schrift war jedoch kaum regelmäßiger Bestandteil der Opferliturgie. Sie sollte alle sieben Jahre erfolgen, öffentlich und vor der ganzen Gemeinde, junge und alte, Frauen und Männer anlässlich des Laubhüttenfestes im Sabbatjahr (5. Mose 31 :9-13). Es war dann die Aufgabe der Priester und Leviten, die Tora zu erklären. Wie dies geschah, ob auch in Form von Predigten, wie wir das gewohnt sind, ist unsicher. Erst aus der Zeit nach dem Exil, in der Zeit von Esra und Nehemia haben wir die Beschreibung eines Gottesdienstes, in dem die Schrift ausführlich erklärt wurde. Dies geschah in kleineren Gruppen, in denen man auch Fragen stellen konnte (Neh. 8). Musik war in der elementaren sinaitischen Gottesdienstordung nicht vorgesehen, außer dem Blasen von Trompeten bei Opferhandlungen oder des Schophars bei besonderen Anlässen. Es gehört zu den liturgischen Neuerungen der frühen Königszeit, dass zu den großen und offiziellen Gottesdiensten auch Musikinstrumente und Chöre und Lieder gehörten (1. Chr. 2 5; 2 . Chr. 7:2; 2 9:25, Esra 3:10; Neh. 12 :24). Bei Festtagen waren die Gottesdienste dann musikalisch besonders ausgestaltet und feierlich. Dass auch in der vorköniglichen Zeit Psalmen und Musik nicht unbekannt waren, darf dabei vorausgesetzt werden. Erwähnt sind sie vor allem bei besonderen Siegesfeiern, aber auch als Reigen bei Festen am Heiligtum (2. Mose 15:20-21 ; Ri. 5:1; Ri. 21 :21 ). Für die Tempelmusik der israelitischen Königszeit lag die Verantwortung in der Regel nicht bei den Priestern, sondern bei den Leviten, die dazu von dem König als dem Tempelherrn bestimmt worden waren. Sie spielten ihre Instrumente und sangen ihre Lieder. Im regelmäßigen Opfergottesdienst dauerte das Schlachten eine gewissen Zeit, man brauchte viel Wasser für die Zubereitung der Opfer. Dazwischen gab es Zeiten, die durch das Singen und Musizieren gefüllt waren. Wie diese Musik geklungen hat, ist heute nicht mehr bekannt. Es ist anzunehmen, dass es der arabischen oder asiatischen Musik ähnlicher war als unserer westlichen Musiktradition.
2.1. Die Instrumente
Unter den benutzten Instrumenten war das wichtigste wohl die Leier. Traditionell hat sich die Bezeichnung „Harfe“ eingebürgert, dies ist jedoch kaum richtig. Harfen sind in dem geographischen Raum Israels archäologisch nicht belegt. Das Instrument Davids, das sehr verbreitet war, war deshalb wohl eine Form der Leier. Ein eckiger Rahmen, der teilweise einen Hohlkörper umfasste, war mit mehreren Saiten bespannt, die Anzahl konnte variieren. Die Leier wurde als Soloinstrument gespielt, aber vor allem auch zur Begleitung von Liedern. Die kleinere Leier wurde meist mit der Hand gespielt. Für die größere Leier nutzte man eine Art Plektrum aus Holz. Beide Formen der Leier standen im Zentrum der gottesdienstlichen Musik, in deutschen Bibeln etwas missverständlich oft als Harfe und Zither bezeichnet. Daneben standen Rhythmusinstrumente. Sehr verbreitet war eine Art Tamburin bestehend aus einem meist runden Rahmen, der mit einer Ziegenhaut bespannt war, und mit der Hand geschlagen wurde. Diese Handtrommeln wurden sehr oft von Frauengruppen gespielt, aber auch von Männern. Ihr Spiel war oft verbunden mit rhythmischen Bewegungen, Reigen und Tanz. Ebenfalls verbreitet waren verschiedene Arten von Rasseln. Diese Rasseln gab es in ganz unterschiedlichen Formen, manche ähnelten Kastagnetten, Systren und Zimbeln. Letztere sind kleinere oder mittlere Metallbecken, die entweder leise und horizontal gegeneinandergeschlagen wurden oder senkrecht und dann sehr laut schallten (Klangdusche). Heutige Hörgewohnheiten sind durch Verkehrs- und Maschinenlärm, durch Lautsprecherboxen gegenüber denen in alter Zeit sehr verroht. Wer nur menschliche Stimmen und tierische Laute kennt und auf das Rauschen des Windes, das Zirpen der Insekten, das Singen der Vögel und das Plätschern von Wassers lauscht, für den wirkten solchen Instrumente recht laut. Ihr Lärmen bereitete Freude. Außerdem wurde das „Tempelorchester“ abgerundet durch eine Art Flöte (vgl. Ps. 150). Diese war nicht aus Metall, sondern wohl aus Rohr, nach vielen Abbildungen und archäologischen Funden ist mit hoher Wahrscheinlichkeit dabei an eine Doppelflöte zu denken.
2.2. Die Funktion der Musik
Diese Instrumente werden in Zusammenhang mit dem Gottesdienst genannt, sie finden aber auch bei ausgelassenen Festen im Volk Erwähnung. Jedoch hat die Musik – wie nahezu in allen Kulturen der Welt – gerade im gottesdienstlichen Gebrauch einen starken Bezug zur Spiritualität. Das gilt auch für Israel. Die Einführung des Königtums in Israel steht von Anfang an in Verbindung mit der Musik. Nach dem Samuelbuch sind es die musizierenden Propheten, unter deren Einfluss der gesalbte König Saul Veränderung erfährt: „Und der Geist Jhwhs wird über dich kommen, und du wirst dich mit ihnen ‚prophetisch gebärden’ und wirst in einen anderen Menschen umgewandelt werden“ (1. Sam. 1 0:6.9). Es ist in der Begegnung mit den Musikanten, den in ihrem Tun versenkten, ihre Instrumente spielenden und betenden Propheten, dass Saul mit dem Geist Gottes erfüllt wird und sein Herz erneuert wird. Das Instrumentenspiel der Propheten ist offensichtlich als mehr als eine Form der ästhetischen Klangerzeugung verstanden. Es war eine mehr oder weniger eigenständige Gestalt des Betens und der geistlichen Wirkweise. Die musizierenden Männer sind in ihrem betenden Spiel so vertieft, dass sie „sich prophetisch gebärden“. Das deutet eine Verhaltensweise an, die von außen beobachtet werden konnte, eine Art der Verzückung oder Versenkung. Saul erlebt in bei der ihre Instrumente spielenden Gruppe selber eine Art Verzückung, so dass der Eindruck entstand, er selber sei ein Prophet (1. Sam. 10:5-13 ). Ähnlich ist prophetische Versenkung und Instrumentenspiel bei dem Propheten Elisa verbunden. Als er als Prophet Jhwhs um Auskunft über die Aussichten eine Krieges gebeten wird, lässt er dazu speziell einen Instrumentenspieler kommen, damit er diese Auskunft erteilen kann. Bei dessen Musik „kam die Hand Jhwhs“ über ihn und er sagt den Ausgang des Kampfes voraus (2. Kg. 3 :14-15). Dass eine solche prophetische Versenkung mittels Musik bei der Mehrheit der anderen Ereignisse, bei denen Propheten um Auskunft gebeten wurden, nicht erwähnt ist, zeigt, dass es dazu der Musik offensichtlich nicht notwendig bedurfte. Jedoch ist der Zusammenhang von prophetischer Versenkung und Musik in diesem Fall nicht zu übersehen. Die Musik Davids, auf den die Einführung der levitischen Tempelmusik zurückgeführt ist, ist wohl aus derselben Tradition heraus zu verstehen. Davids Musik ist erstmalig erwähnt im Anschluss an seine Salbung durch den Propheten Samuel (1. Sam. 1 6:16-23 ). Von David wird berichtet, dass er die Leier so wirkmächtig spielte, dass der „böse Geist von Jhwh“, der Saul quält, regelmäßig weicht. Wie das Spielen der Prophetengruppe zielt auch Davids Instrumentenspiel nicht nur auf ästhetisches Hören, sondern auf Wirkung, die die Person ganzheitlich beeinflusst. Wenn man dieses als Musiktherapie bezeichnen will, dann ist dies zu schwach. Es bliebe stecken in der zwischenmenschlichen psychologischen Ebene. David spielt hier jedoch eher wie einer der Propheten, denen Saul vorher begegnet war. Die Musik des Laierspiels ruft in Saul nicht nur die Erinnerung an die Begegnung mit den Propheten bei seiner Salbung wach, sie stimmt ihn auch auf Gott ein. Während die rhetorische Frage, ob Saul auch unter den Propheten sei, vom Leser wie selbstverständlich verneint wird, erscheint David in seinem Instrumentenspiel qualitativ als eines Geistes mit den Propheten, unter deren Einfluss Saul seine Veränderung erfahren hatte. Davids Musik steht in Paralle zu der der Propheten. Im nachexilischen Chronikbuch finden sich ausführliche Beschreibungen der verschiedenen Instrumentalisten- und Sängergruppen, die regelmäßig ihren Dienst im Tempelgottesdienst versahen. Sigmund Mowinckel hat in seinen Psalmenstudien festgehalten, das auch dabei häufig Psalmengesang und Prophetie in einer engen Beziehung zueinander stehen: „Wie nun die soeben angeführten Stellen aus der Chronik zeigen, sind es eben die Sänger, die zugleich als Propheten bezeichnet werden. Das beruht auf einem sehr alten Zusammenhang beider Berufe… Die Prophetinnen Mirjam und Debora sind auch Sängerinnen und Dichterinnen (2. Mose 15:20; Ri. 5:1); wie der Prophet ‚mit geschlossenen Augen’ (4. Mose 23:3), die in Wirklichkeit die einzig ‚offenen’ (4. Mose 24:4) sind, ferne Dinge schaut und mit seinen geöffneten Ohren geheime göttliche Stimmen hört (1. Sam 9:15; Jes. 22:14), so hört der Dichter den Hymnus des Himmels, der ‚ohne Rede und ohne Worte und (für menschliche Ohren) nicht hörbar’ ist (Ps. 19:2-5); wie der Prophet durch Musik inspiriert wird (1. Sa. 10:5f,10ff; 2. Kg. 3:15), so auch der Dichter (Ps. 49:2-5); sein Ohr wird empfänglich, so daß er die geheime von der Gottheit stammende Weisheit … empfangen und der Menschheit mitteilen kann“. Die Musik im Gottesdienst Israels hat genau diese Funktion. Es ist eine Form des Betens. Sie gilt primär Gott und sie nimmt den Gottesdienstbesucher, die teilnehmende Gemeinde mit in die Gegenwart Gottes und in die Anbetung.
3. Die Rolle der Signalinstrumente
In der Bibel werden zwei Instrumente erwähnt, die oft leider falsch als „Posaunen“ bezeichnet werden. Das eine, hebräisch šöpär oder yöbël, ist aus einem Tierhorn von einem Widder oder Steinbock. Das andere Instrument ist aus Metall gezogen, nur diese Hácöcrâ ist ein echtes Blechblasinstrument. Beides sind Signalinstrumente, die z. B. im Krieg oder in einem Lager geblasen werden konnten, um z. B. zum Aufbruch aufzurufen. Daneben haben sie auch je eine wichtige kultische und liturgische Funktion.
3.1. Das Widderhorn oder Schofar
Das Schofar oder Widderhorn wird zum Klingen gebracht wie bei einer Trompete durch das Zusammenpressen der Lippen. Es hat etwa zwei bis drei Naturtöne und wurde je nach Anlass unterschiedlich geblasen. In der Überlieferung finden drei Arten Erwähnung:
(a) ein lang gezogener Einzelton,
(b) kürzere Töne aufeinanderfolgend, u. U. auch kürzere und längere abwechselnd, um unterschiedliche Signale ausdrücken zu können und
(c) das Geschmetter, bei dem es vor allem auf Lautstärke ankam und bei dem sicher auch verschiedene Naturtöne nacheinander hervorgebracht wurden. Das Schofar war das verbreiteste Signalinstrument, das in vielen profanen Zusammenhängen Verwendung fand. Wird es jedoch als Teil einer Liturgie geblasen, dann hat sein Klang wie das Instrumentenspiel der erwähnten Prophetengruppen mehr als nur eine ästhetische oder funktionale Bedeutung. Die Ersterwähnung prägt auch hier das Verständnis. Sie steht im Zusammenhang mit dem Bundeschluss Israels am Sinai (2. Mose 1 9:13.16 .19; 20:18). Der Zugang zum Berg des Bundesschlusses ist jedem Lebewesen bei Todesstrafe untersagt. Dies endet bei dem Erklingen des Schophartones. Es wird in dem Text dann die Theophanie Jhwhs beschrieben mit Donner, Blitz und dunkler Wolke, wie in fast allen Theophaniebeschreibungen, dann jedoch besonders betont bei diesem Bundesschluss der lang gezogene Klang des Schophars. Der Schopharton gehört zu den Elementen, die die Ankunft Gottes begleiten. Er ist ein Teil der Theophanie und kommt direkt aus der Gegenwart Gottes. Das Volk naht sich darauf unter der Leitung des Mose dem Berg und während Mose mit Gott redet nimmt der Ton an Lautstärke zu. Mit dieser Ursprungserfahrung in der Sinaitheophanie vergegenwärtigt der Klang des Schophars im gottesdienstlichen Kontext mehr als jedes andere Instrument die Sphäre Gottes. Er verbindet gewissermaßen die liturgisch feiernde Gemeinde mit der kosmischen Welt Gottes. Wenn die Tempelmusik eine gewisse Nähe zur prophetischen Versenkung und Spiritualität hat, dann gilt das noch stärker und ganz besonders für das Widderhorn. Mehr noch als die anderen Instrumente dringt es in die Gegenwart Gottes vor und verbindet als Klang, der beim Bundesschluss aus der Gegenwart Gottes kam, die gottesdienstlich feiernde Gemeinde mit dem bildlos und unsichtbar in seinem Heiligtum gegenwärtigen Gott. Das Schofar wird bei dem Großen Versöhnungstag geblasen und zeigt damit die Gegenwart Gottes an (3. Mose 2 5:9). Vor allem Widderhörner waren bei dem Einsturz der Mauern Jerichos beteiligt (Jos. 6:5). In der Geschichte von Jericho gibt es sieben Tage lang schweigende Prozessionen mit Priestern und der Bundeslade. Am siebten Tag wird die Stadt siebenmal umschritten. Das Blasen des Schofarhorns drückt aus, dass die Prozession jetzt mit Gott selbst verbunden ist und das unsichtbare Heer Gottes jetzt an dem Kampf beteiligt ist. Dieses unsichtbar kämpfende Heer Jhwhs war ausdrücklich kurz vorher erwähnt worden (Jos. 5:14). Wie in der Sinaitheophanie verbindet der Klang des Schophars Diesseits und Jenseits mit dem Ergebnis, dass die Mauern Jerichos zum Einsturz gebracht werden. Ähnlich wird in der Prophetengeschichte von Elisa und der Belagerung Samarias durch das Heer der Aramäer auf die unsichtbar streitenden Heer hingewiesen (2. Könige 6 :15-17). Für derselben Zeitraum ist im Chronikbuch von einem Krieg Josaphats gegen die Moabiter die Rede, bei dem die Levitenchöre der Kehatiter und der Korahiten mit lautstarkem Lob die militärische Aktion anführen. Bei der siegreichen Rückkehr sind ihre Instrumente erwähnt: große und kleine Leier und die Kriegstrompeten, die Hácöcrôt. Der Vorrang der musizierenden levitischen Gruppen bei der Kriegsführung hat in der Geschichte zum Ergebnis, dass der „Schrecken Gottes“ auf alle Länder fiel, die hörten, „dass Jhwh mit den Feinden Israels gekämpft hatte“ (2. Chronik 2 0:19.28-29).
3.2. Die metallene Trompete
Hier war bereits von den metallenen Trompeten, den Hácöcrôt die Rede. Ihre Bedeutung und Herstellung findet im Rahmen der sinaitischen Gesetze besondere Erwähnung (4. Mose 1 0:1-10). Anlässlich des Aufbruchs vom Sinai sollen zwei Trompeten von Silberblech gemacht werden. Es waren einfache, gezogene Röhren ohne Ventile oder irgendwelche Krümmungen, eine Elle lang, d. h. etwa 40 – 6 0 cm. Vorne besaßen sie einen Schalltrichter, das Aussehen ähnelte einer sehr einfachen Fanfare, jedoch ganz ohne Krümmungen. Diese beiden Instrumente sollten als Signalinstrumente dienen. Unterschiedliche Signale werden vereinbart: wurden (a) beide Instrumente lang anhaltend geblasen, sollte sich das ganze Volk im Lager an der Stiftshüte zu versammeln, wurde (b) nur eine Trompete gespielt, galt dies nur den Ältesten und Sippenverantwortlichen; wurden (c) die Instrumente laut geschmettert mit Intervallen und verschiedene Naturtönen, dann bedeutete das Signal Aufbruch des ganzen Lagers. Die Herstellung der Trompeten steht am Ende des Aufenthalts Israels am Gottesberg, dessen Anfang in 2 . Mose 1 9 mit der Theophanie und dem Klang des Schophars beschrieben ist. Beide Der Abschnitt von 2 . Mose 1 9 bis 4. Mose 1 0 mit den unterschiedlichen Geschichten und den verschiedenen Gesetzen ist literarisch verbunden durch den gemeinsamen geographischen Ort und die Zeit des Aufenthalts am Berg der Gottesoffenbarung. Stand die Erwähnung des Schophartons bei der Ankunft im Zusammenhang mit der Theophanie, so werden die Silbertrompeten jetzt hergestellt, um den Aufbruch vom Sinai anzuzeigen. In der späteren Überlieferung wird der Zusammenhang dadurch hergestellt, dass auch für die Sinaiepiphanie von einem Trompetenklang gesprochen wird, damit die beiden Instrumente auf einer Ebene verstanden werden (Ps. 47:6; Hebr. 12 :19). Anders als das Schofar, dass von jedem Israeliten benutzt werden konnte, ist die Silbertrompete ausdrücklich als ein priesterliches Instrument bestimmt. Während die Musik des Tempelorchesters sonst generell die Aufgabe der Leviten war, ist die Hácöcrâ das einzige ausschließlich den Priestern vorbehaltene Instrument. Ihre Funktion entspricht der des Schofar, eher noch stärker verbindet es das Volk mit der Gegenwart Gottes. Der Trompete eignete eine größere Nähe zu dem Heiligen, das nur den Priestern zugänglich ist. Wie das Schofar so verbindet auch der Trompetenklang das irdische Gottesvolk mit der Gegenwart Gottes. Das Blasen der Trompeten beim Aufbruch vom Sinai galt den Menschen. Aber auch Gott zog in seiner Wolke, der Wolken- und Feuersäule mit seinem Volk weiter (4. Mose 1 4:14). Ausdrücklich wird der Gebrauch der Trompeten zu diesem Zweck im Krieg erwähnt: „Und wenn ihr in eurem Land in den Kampf zieht gegen den Feind, der euch bedrängt, dann sollt ihr mit den Trompeten das Lärmsignal geben; und es wird an euch gedacht werden vor Jhwh, eurem Gott, und ihr werdet gerettet werden vor euren Feinden.“ (4. Mose 1 0:9). Der erste Einsatz im Krieg nach dem Aufbruch vom Berg der Gottesoffenbarung am Sinai wird in 4.Mose 31:6 berichtet, in Zusammenhang mit dem Krieg gegen die Midianiter: „Und Mose sandte sie, tausend von jedem Stamm, zum Heeresdienst aus, sie und Pinhas, den Sohn des Priesters Eleasar, zum Heeresdienst; und die heiligen Geräte, die Trompeten zum Schmettern, waren in seiner Hand.“ Anschließend wird beschrieben, dass der Kampf für die Israeliten siegreich verlief. Dass Trompeten die Hilfe Jhwhs im Krieg vergegenwärtigen, wird bei einem Konflikt des Königs des Nordreichs Israel, Jerobeam I., mit dem König von Juda und Jerusalem, Abia, deutlich. Wir lesen, wie der König von Jerusalem die Angreifer aus dem Nordreich Israels warnt: „Siehe, Gott ist mit uns, an unserer Spitze. Bei uns sind seine Priester und die Trompeten, um gegen euch zu schmettern. Söhne Israel, kämpft nicht gegen Jhwh, den Gott eurer Väter! Denn es wird euch nicht gelingen.“ (2. Chronik 1 3:12 ). Der Gedanke ist, dass, wenn die Priester die Trompeten gegen Israel schmettern, Jhwh gegen das Nordreich kämpfen wird. Gegen die Kriegstrompeten, die ähnlich wie der Schofarklang bei Jerichos Eroberung, Jhwhs Mitstreiten anzeigen, hat dann Jerobeam kaum eine Chance. Die folgenden Verse berichten, dass Jerobeam sich nicht warnen ließ und eine Niederlage einstecken musste (vgl. Jes. 2 7:13). In ähnlicher Weise kündigt der Prophet Hosea seinem Volk Gericht an, Gott wird eingreifen und den Sieg behalten: „Stoßt ins Schofar zu Gibea, in die Trompete zu Rama! Erhebt Kriegsgeschrei in Bet-Awen: Der Feind ist hinter dir her, Benjamin!“ (Hos. 5:8, vgl. 8:1; Jer. 4:5.19.21).
3.3. Die gottesdienstliche Trompete
Neben dem Gebrauch im Krieg sollen die silbernen Trompeten, die beim Aufbruch vom Gottesberg am Sinai hergestellt werden sollten, auch bei fröhlichen Festen und Neumondfeiern, bei Dankopfern und Brandopfern eingesetzt werden mit dem Ziel, „damit sie euch bei eurem Gott in Erinnerung bringen. Ich bin der Jhwh, euer Gott.“ (4. Mose 1 0:10). Der Ton der Trompete, vom Priester geblasen, begleitete die Opferhandlung. Es stieg der Rauch des Opfers auf und das Blut wurde in die Gegenwart Gottes getragen. Das Zeremoniell wurde akkustisch begleitet durch den Trompetenton. Er zeigte die Verbindung mit der unsichtbaren Gegenwart Gottes an und begleitete die mit dem Opfer verbundenen Gebete. Der Gebrauch der Trompeten bei Festen findet sich auch in der Tempelzeit (Ps. 81:4). Die Prozessionen, die bei Feierlichkeiten in der Königszeit in Jerusalem durchgeführt wurden, werden in etwa ähnlich verlaufen sein, wie die im Nehemiabuch (12 :31-42) beschriebene bei der Einweihung der Stadtmauer. Dabei umschreiten zwei ähnlich aufgebaute Prozessionszüge die ganze Stadt. Zu dem Zug gehören auch die Trompeter: Dankchor (Verse 31.38) Prominenter Leiter (Verse 32.40) Hälfte der politischen Leiter (Verse 32.40) Sieben Priester mit Trompeten (Verse 33- 35a.41) Gottesdienstleiter (Verse 35.42) Acht levitische Musiker (Verse 36.42) Die levitischen Musiker und die priesterlichen Trompetenbläser sind separat neben den Chören aufgeführt. Bei der Überführung der Bundeslade nach Jerusalem durch David ist eine große Prozession erwähnt mit allen Instrumenten, die in einer Art Lärmorchester zusammenwirkten: „Und David und ganz Israel tanzten vor Gott mit aller Kraft: mit Liedern und großen und kleinen Leiern, mit Tamburinen und mit Zimbeln und mit Trompeten.“ „Und ganz Israel brachte die Lade des Bundes Jhwhs hinauf mit Jauchzen und mit Schofarschall, mit Trompeten, mit Zimbeln, musizierend mit kleinen und großen Leiern“ (1. Chronik 13:8; 15:28). Ähnlich ist es bei der Einweihung des Tempels durch Salomo zu lesen. Das Gebäude ist fertiggestellt, die Bundeslade wird in einer Prozession in den neuen Tempel gebracht. Alle Verantwortlichen des Volkes, Älteste und Minister sind beteiligt. Der König leitet die Prozession. Die Lade wird ins Allerheiligste gestellt und dann kommt der Höhepunkt, indem Gott selbst den Ort „als seine Wohnung bezieht“: „Und als die Leviten, die Sänger waren, sie alle, nämlich Asaf, Heman, Jedutun, ihre Söhne und ihre Brüder, in Byssus gekleidet, mit Zimbeln und mit großen und kleinen Leiern an der Ostseite des Altars standen und bei ihnen etwa 120 Priester, die auf Trompeten trompeteten, – und es geschah, als die Trompeter und die Sänger wie ein Mann waren, um eine Stimme hören zu lassen, Jhwh zu loben und zu preisen, und als sie die Stimme erhoben mit Trompeten und Zimbeln und Musikinstrumenten beim Lob Jhwhs: Denn er ist gütig, denn seine Gnade währt ewig! – da wurde das Haus, das Haus Jhwhs mit einer Wolke erfüllt. Und die Priester konnten wegen der Wolke nicht hinzutreten, um den Dienst zu verrichten. Denn die Herrlichkeit Jhwhs erfüllte das Haus Gottes“ (2. Chronik 5:12 -14). Bei der Weihe des salomonischen Tempel ist von 12 0 Trompetern die Rede. Zusammen mit den anderen Instrumenten und Chören schmettern und musizieren sie „wie ein Mann“, d. h. es ist an ein großes Lärmorchester zu denken. Unter dem Klang der Instrumente wird der Tempel von der Wolke der Gegenwart Jhwhs ausgefüllt – wie bei der Sinaitheophanie der Berg der Gottesoffenbarung, verbunden mit dem Ton des Schofars. Erst nachdem das geschehen ist, folgt das Weihegebet. Es wird vom König gesprochen, nicht einem Priester, genauso wie der Segen Jhwhs von dem neu geweihten Tempel aus durch den König auf das Volk gelegt. Bei einer großen Reformation unter dem König Asa in Zusammenarbeit mit dem Propheten Asarja kommt es zu einer feierlichen Bundeserneuerung. Und wieder sind die Trompeten mit dabei. Die eigentliche Formel der Bundeserneuerung wird durch Trompetenklang begleitet: „Und sie schworen Jhwh mit lauter Stimme und mit Jauchzen und unter Trompeten- und Schofarschall“ (2. Chronik 1 5:12-14; ähnlich unter Hiskia: 2. Chronik 29:26-28).
4. Nachgedanken
Die Bedeutung der Instrumente, besonders der Trompeten, ist deutlich mehr als eine ästhetische Ausgestaltung von Feiern. Im Neuen Testament wird an die alttestamentliche Funktion der Trompeten angeknüpft, wenn von dem „Klang der Posaune“ in der Gegenwart Gottes (Hebr. 12 :19; Offb. 1 :10; 4:1; 1 . Thess. 4:16 ) oder von „Posauenengeln“ als Gerichtsansage und Gerichtsvollzug (Offb. 8:1-2) oder von der „letzten Posaune“ (Matth. 2 4:31; 1 . Kor. 1 5:52) die Rede ist. Die dahinter stehende Funktion steht in der Tradition der hier genannten Rolle der Schofarhörner und Trompeten im Krieg oder als Festzeitanzeige. Die Funktion der Musik in heutigen Gottesdiensten, das dürfte deutlich geworden sein, ist anders als in alttestamentlicher Zeit. Es gibt keine direkte Übertragung. Trotzdem kann der Gang durch den alttestamentlichen Gebrauch der Musik anregen, ihre Bedeutung auch für den heutigen Gottesdienst neu ernst zu nehmen. Der erste Hörer der gottesdienstlichen Musik ist nach wie vor wie in alttestamentlicher Zeit auch heute Gott. Und auch wir wollen durch den Dienst der Musik hinführen zu einer Begegnung mit Gott. Prof. Dr. Herbert Klement