Das Wirken
des Heiligen Geistes ist – wie alles Handeln der Personen der Dreieinigkeit
–sehr vielfältig. Dabei wird Gott, dem Vater, traditionell die Schöpfung
zugeordnet, dem Sohn die Erlösung und dem Geist die Heiligung.
Die Heiligung des Christen ist tatsächlich so etwas wie die Hauptarbeit des
Geistes. Vor allem hilft er den Gläubigen in der Jüngerschaft die Ausrichtung
auf Jesus Christus festzuhalten. James I. Packer formuliert treffend: „Der
Heilige Geist verherrlicht Jesus für uns, indem er uns überzeugt, dass alles,
was Jesus in seiner Herrlichkeit ist und besitzt, wirklich und wahrhaftig für
uns ist…“ Ziel des Wirken des Geistes ist, „dass der Sohn erkannt, geliebt,
geehrt und gepriesen wird und Vorrang hat in allen Dingen“ (Keep in Step
With the Spirit).
Das gesamte christliche Leben ist aus Gnade, und daraus folgt, dass das
vorrangige Ergebnis des Wirkens des Geistes in der Heiligung die Dankbarkeit
für die durch Christus erworbene Erlösung ist. Das Gesamtziel der Heiligung ist
somit durch und durch positiv: dem Erlöser immer ähnlicher werden, immer
größere Dankbarkeit für die Rettung.
Gott ist Licht, weshalb Christen ebenfalls zum Leben im Licht berufen sind (J
Joh 1,7). Daher wird auch das Wirken des Geistes in der Heiligung gut mit dem
Erleuchten umschrieben. Er erleuchtet das Wort, so dass wir seine Bedeutung
verstehen; er nimmt den Schleier von den Augen, so dass wir Christus sehen und
erkennen. Er offenbart Wahrheit und die Herrlichkeit Christi. Darüber hinaus
deckt der Geist aber auch Sünde auf, offenbart sie.
Dieses Aufdecken steht natürlich am Beginn des christlichen Lebens. Alle
Menschen erfahren Sünde. Die Frage ist nur, wie wir über sie denken. Erfahrung
von Sünde kann das Herz verhärten; eine gewisse Sündenerkenntnis ist auch
Ungläubigen möglich (Ex 9,27; Mt 27,3). Die volle und tiefe Erkenntnis der
eigenen Sündhaftigkeit ist ein übernatürliches Wirken des Geistes.
In der Rede an die Jünger vor seinem Tod im Johannes-Evangelium dreht sich viel
um die Beziehung der Personen der Trinität untereinander und ihr Wirken. An
fünf Stellen geht es auch um den Heiligen Geist (Joh 14,16–17.26; 15,26–27;
16,4b–11.12–15). Jesus in 16,8–11:
„Und wenn er [der Geist] kommt, wird er der Welt zeigen, dass sie im Unrecht
ist; er wird den Menschen die Augen öffnen für die Sünde, für die Gerechtigkeit
und für das Gericht. Er wird ihnen zeigen, worin ihre Sünde besteht: darin,
dass sie nicht an mich glauben. Er wird ihnen zeigen, worin sich Gottes
Gerechtigkeit erweist: darin, dass ich zum Vater gehe, wenn ich euch verlasse
und ihr mich nicht mehr seht. Und was das Gericht betrifft, wird er ihnen
zeigen, dass der Herrscher dieser Welt verurteilt ist.“ (NGÜ)
Natürlich ist das Kommen des Geistes im Neuen Bund grundsätzlich eine positive
Sache (deswegen ja auch der durch und durch positive Name parakletos –
Tröster, Helfer, Beistand). Hier wird aber auch deutlich, dass sein Wirken
sowohl ganz zu Beginn des Weges zum persönlichen Glauben als auch in der
Jüngerschaft in gewisser Weise negativ ist, nämlich aufdeckend, entblößend. In
dreifacher Weise überführt er, überzeugt von Sünden:
„für die Sünde“: Unglaube ist der Kern der Sünde; Jesus wird nicht
anerkannt als der, der er ist. Auch wenn der Christ einmal mit dem Glauben
begonnen hat, ringt der Gläubige im ganzen Leben mit zu kleinem oder mangelndem
Glauben.
„für die Gerechtigkeit“: der Mensch hält sich selbst für gerecht, doch
„alle unsre Gerechtigkeit ist wie ein beflecktes Kleid“ (Jes 64,5). Gott ist
dagegen völlig gerecht und gut. Dass Jesus zum Vater gehen wird, beweist seine
Einheit mit ihm und seine Gerechtigkeit.
„für das Gericht“: das Gericht über Jesus stand unmittelbar bevor; doch
durch seinen Tod am Kreuz siegte Satan nicht, sondern dieser wurde besiegt. Der
von den Menschen Gerichtete ist nun der Richter der Welt (Joh 5,22.27). Der
Heilige Geist wirkt im Menschen so, dass er seine Schuld vor dem Richter
erkennt (s. vor allem Röm 2,1–10).
Der Geist öffnet also die Augen. Er lässt den Menschen erkennen, dass er vor
Gott gesündigt hat. Dies steht am Beginn des christlichen Lebens und setzt
sich in der gesamten Jüngerschaft, im Prozess der Heiligung, fort. David, der
ja ein Gläubiger war, nach seinem Mord an Uriah: „An dir allein habe ich
gesündigt“ (Ps 51,6). Diese Erkenntnis ist natürlich nicht angenehm. Und nach
der von Gott nicht gewollten Volkszählung: „Dann aber schlug David das
Gewissen,… und er sagte zum Herrn: Ich habe schwer gesündigt, weil ich das
getan habe. Doch vergib deinem Knecht seine Schuld.“ (2 Sam 24,10) Es war der
Heilige Geist, der in beiden Fällen das Gewissen des Königs anschlagen ließ.
Es gibt eine selbstmitleidige Traurigkeit, aber auch „gottgewollte Traurigkeit“
(2 Kor 7,10). Die vom Geist gewirkte innere Unruhe oder Verunsicherung ist auch
Ergebnis der Pfingstpredigt der Apostel: „Als sie das hörten, traf es sie
mitten ins Herz und sie sagten zu Petrus und den übrigen Aposteln: Was sollen
wir tun, Brüder?“ (Apg 2,37)
Bei diesem Wirken nutzt der Geist vor allem das Gesetz der Hl. Schrift (z.B.
Röm 3,20). So auch der Heidelberger Katechismus, Fr. 3: „Woher erkennst
du dein Elend? Aus dem Gesetz Gottes.“ Autor Zacharias Ursinus zeigt auch in
Fr. 115 gut, dass der Geist auch weiterhin in der Jüngerschaft das Gesetz und
dessen Predigt benutzt. „Warum lässt uns Gott denn die zehn Gebote so
eindringlich predigen, wenn sie doch in diesem Leben niemand halten kann?“ Der
Katechismus antwortet:
„Erstens sollen wir unser ganzes Leben lang unsere sündige Art je länger, je
mehr erkennen und umso begieriger Vergebung der Sünden und Gerechtigkeit in
Christus suchen. Zweitens sollen wir unaufhörlich uns bemühen und Gott um die
Gnade des Heiligen Geistes bitten, dass wir je länger, je mehr zum Ebenbild
Gottes erneuert werden, bis wir nach diesem Leben das Ziel der
Vollkommenheit erreichen.“
Das zweimalige „je länger, je mehr“ zeigt, dass es hier um die Heiligung des
Christen geht. Der im Glauben wachsende Christ erkennt durch das Gesetz seine
sündige Art immer besser. Auch für Christen bleibt das Gesetz Gottes das
Hauptwerkzeug des Geistes, um diese Erkenntnis zu schaffen.
Die Art und Weise des Prozesses der Heiligung darf also nicht in falscher Weise
verschönert und idealisiert werden. Der Heilige Geist führt Christen vor allem
in innere Auseinandersetzungen, ja einen unerbittlichen Kampf hinein. Die Sünde
herrscht zwar nicht mehr, aber sie wirkt nach wie vor. In diesem
Kampf gegen die gefallene Natur könnten Christen nicht bestehen ohne die Kraft
des Geistes. Daher wird im Katechismus ja auch die Bitte um den Geist genannt.
Diesen Zusammenhang von Positivem und Negativem hatte auch schon Martin Luther
in seinen „Thesen zur Heidelberger Disputation“ (1518) klar dargestellt: „Das
Gesetz schafft Furcht und Zorn, die Gnade Hoffnung und Erbarmen. Durch das
Gesetz nämlich erhält man Sündenerkenntnis, durch Erkenntnis der Sünde aber
erlangt man Demut, und durch die Demut Gnade. So führt Gottes fremdes Werk (opus
alienum dei) schließlich sein eigentliches Werk (opus proprium)
herbei, indem er den Menschen zum Sünder macht, um ihn gerecht zu machen.“ (16)
Auch in der lutherischen Konkordienformel von 1577 wird im Artikel VI
betont, dass die Erneuerung des Menschen, der zum Glauben gefunden hat, noch
nicht vollkommen ist, sondern „nur angefangen“ hat. Deshalb stehen „die
Gläubigen mit dem Geist ihres Gemüts in einem stetigen Kampf wider das Fleisch,
das ist wider die verderbte Natur und Art…“. Um dieses „alten Adams willen“ ist
es nötig, dass auch den Christen „das Gesetz des Herrn immer vorleuchte“. Das
Gesetz bleibt „bei den Bußfertigen und Unbußfertigen, bei wiedergeborenen und
nicht wiedergeborenen Menschen ein einziges Gesetz, nämlich der unwandelbare
Wille Gottes“.
Es besteht aber ein wichtiger Unterschied: Der Ungläubige befolgt den Geboten
nur „aus Zwang und unwillig“, der Gläubige aber „ohne Zwang mit willigem Geist“
(s. auch Westminster-Bekenntnis, Kap. 9,4–5). Es ist eben der Heilige
Geist, der den Menschen willig macht, seine Schuld einzugestehen und zu
gehorchen. Von Holger Lahayne
http://lahayne.lt/2019/04/15/der-geist-uberfuhrt-von-sunden/