Jesus Christus spricht: Ihr urteilt, wie Menschen urteilen, ich urteile über keinen. Johannes 8,15
Sind Sie der Meinung, sich ein gutes Urteil über andere Menschen bilden zu können? Zu wissen, ob man „die Hand für den anderen ins Feuer legen kann“? Mir fällt das schwer. Ich täuschte mich schon so oft in Menschen. Es gibt Menschen, denen ich voll vertraut habe, für die ich „meine Hand ins Feuer“ gelegt hätte, aber bitter enttäuscht wurde. Andererseits gab es Menschen, denen ich überhaupt nichts zugetraut hatte, aber sie überraschten mich mit ihrer Güte, Treue und Menschlichkeit.
Wenn es auch lebenswichtig ist, zu überlegen, wie viel Vertrauen man einem anderen Menschen entgegenbringt, so sollte man auf ein letztgültiges Urteil bewusst verzichten. Denn menschliches Urteil ist meistens falsch.
Für mich ist der kostbarste, freundlichste, ehrlichste, treueste und edelste Mensch, der jemals je gelebt hat, Jesus Christus. Und wie haben seine Zeitgenossen über ihn geurteilt?
Er sei Alkoholiker (Mt 11,3); er sei durchgeknallt (Mk 3,21); er sei besessen (Joh 7,20), er sei ein Gotteslästerer (Mt 9,3), er sei ein Rebell und Vaterlandsverräter (Joh 19,12), er sei ein Verführer (Joh 7,12). Menschliche Urteile können einfach falsch sein, weil man als Mensch nur die Oberfläche sieht, nicht das Herz und meist auch nicht die Hintergründe.
Einmal kam eine Frau zu Jesus. Die ganze Stadt, in der sie lebte, hatte ein festes Urteil über sie gefasst: „Diese Frau ist eine Sünderin!“ Das stand fest. Diese Frau ist also jemand, der von Herzen gern Gottes Gebote übertritt.
Aber Jesus sah in ihr eine kostbare Seele, er sah ihre tiefe Liebe zu Gott, die sie sich trotz ihrer tausend Fehler, die sie gemacht hatte, sehnsüchtig erhalten hatte und Jesus beleuchtete diesen Wesenszug ihres Herzens mit den Worten: „Sie hat viel Liebe!“
Sofort urteilten die anderen Menschen: Jesus kann kein Prophet sein, sonst wüsste er, wer die Frau ist – sie akzeptierten Jesu Wort über sie nicht (Lk 7,36ff).
Auf der anderen Seite begegnete Jesus sehr einflussreichen, gebildeten, ehrenwerten Menschen, die von aller Welt geachtet wurden. Über sie sagte er: „Ihr Heuchler, die ihr seid wie die übertünchten Gräber, die von außen hübsch aussehen, aber innen sind sie voller Totengebeine und lauter Unrat!“ (siehe Mt 23,27). Menschliches Urteil ist gemessen an göttlichem Urteil in der Regel falsch. Es ist meist ein Projektionsurteil über das eigene Ich im Sinne von: „Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und nimmst nicht wahr den Balken in deinem Auge?“ (Mt 7,3).
Wenn Jesus sagte: „Ich urteile nicht“ – dann heißt das, dass er die Menschen nicht mit menschlichem Schubladendenken richtet und abschreibt. Er lässt jedem Menschen Freiraum sich zu entwickeln und sein eigenes Wesen zu Tage zu fördern. Am Ende wird alles offenbar sein und jeder wird erkennen, dass Gottes Urteil über einen Menschen gerecht ist.