„Irgendwo wächst jetzt schon das Holz heran, aus dem man einmal deinen Sarg machen wird, und irgendwo ist ein Stück grüner Erde, und das wird einmal aufgeworfen werden, um dein Grab zu sein. Und irgendeinmal wird die Stunde kommen, da werden deine Freunde und deine Verwandten dorthin ziehen, und du wirst auch dabeisein, aber dich wird man tragen oder fahren, und du wirst eine rätselhafte, leblose Masse, eine Leiche sein.“ Karl Barth
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und rufe mich an in der Not, / so will ich dich erretten, und du sollst mich preisen. Psalm 50,15 Luther 1984
An Not fehlt es nicht unter den Menschen; wo wir ein wenig tiefer hinein sehen, ist Not, oft große, anhaltende Not. Würde man die Menschen nicht kennen, so könnte man sich höchlich wundern, dass Gott sie auffordern muss, ihn in der Not anzurufen. Man sollte meinen, dass selbst Leute, die in gewöhnlichen Zeiten nicht beten, Gott wenigstens in Notzeiten von selber anrufen würden. Dem ist aber leider nicht so; es gibt eine Menge von Menschen, die alles auslaufen, überall Hilfe suchen, nur nicht bei Gott. Steigt die Not auf das Höchste und versagt alle Menschenhilfe, so murren sie am Ende gegen Gott; dazu ist er ihnen noch gut genug. Du armes Volk! Ein Ochse kennet seinen Herrn; aber du kennest deinen Gott nicht! – Andere rufen Gott an in der Not; sie werden von ihm erhört, aber sie preisen ihn nicht. Sie suchten nicht Gott, sie suchten nur Hilfe, sie wollten es leichter haben; dazu sollte Gott ihnen den Handlanger machen. Nachdem er seinen Dienst getan hat, kümmert man sich nichts mehr um ihn. Solche Leute sind schändliche Leute! Aber warum hilft ihnen Gott? Damit sie einst keine Entschuldigung haben. Durch Güte wollte er sie zur Buße leiten; aber sie wollten nicht. – Die rufen Gott in der Not recht an, welche sich durch die Not demütigen und in die Buße führen lassen; die nicht nur Erleichterung und Hilfe, sondern Gott selber suchen. Solche errettet der Herr am liebsten, nicht nur aus der Not, sondern aus der Sünde und diese Erretteten haben dann ein Loblied für ihren Gott, ein Loblied in Wort und Tat. | |
Menge 1926/1949 (Hexapla 1989): | und rufe mich an am Tage der Not, / so will ich dich retten, und du sollst mich preisen!» |
Revidierte Elberfelder 1985/1986: | und rufe mich an am Tag der Not;-a- / ich will dich erretten-b-, und du wirst mich verherrlichen-c-! / -a) Psalm 77,3; 86, 5.7; Matthäus 8,25; Jakobus 5,13. b) Psalm 4,2. c) Psalm 34,5-7; 120, 1; Lukas 18,43. |
Schlachter 1952: | und rufe mich an am Tage der Not, / so will ich dich erretten, und du sollst mich ehren! / |
Schlachter 2000 (05.2003): | und rufe mich an am Tag der Not, so will ich dich erretten, und du sollst mich ehren!« |
Zürcher 1931: | Und rufe mich an am Tage der Not, / so will ich dich erretten, und du sollst mich preisen.» / –Psalm 91,15. |
Luther 1912: | und rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten, so sollst du mich preisen.« – Psalm 81,8; Psalm 91,15; Hiob 22,27. |
Buber-Rosenzweig 1929: | Und dann rufe mich am Tage der Drangsal, ich will dich losschnüren und du wirst mich ehren.« |
Tur-Sinai 1954: | Und ruf mich an am Tag der Not / ich rette dich, du wirst mich ehren!‘ |
Luther 1545 (Original): | Vnd ruffe Mich an in der Not, So wil ich dich erretten, so soltu mich preisen. |
Luther 1545 (hochdeutsch): | Und rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten, so sollst du mich preisen. |
Neue Genfer Übersetzung 2011: | Rufe zu mir in Tagen der Not. Dann werde ich dich retten, und du wirst mich preisen.« |
NeÜ 2021: | Und wenn du in Not bist, rufe mich an! / Dann will ich dich retten – und du wirst mich ehren! |
Der unermessliche Reichtum der Psalmen
150 Psalmen sind 150 kostbare Trostworte.
150 Psalmen sind 150 kostbare wertvolle Perlen.
150 Psalmen sind 150 Durstlöscher.
150 Psalmen sind 150 Schwarzbrote.
150 Psalmen sind 150 kostbare Wegweisungen.
150 Psalmen sind 150 Ermutigungen.
150 Psalmen sind 150 Ermahnungen.
Siegfried F. Weber / Großheide
Gerechtigkeit aus Glauben
1513 hielt Luther eine Vorlesung zu den Psalmen.
In Psalm 31, 2 heißt es: „errette mich durch deine Gerechtigkeit.“ (ML 2017).
Luther schreibt dazu:
„Ich hasste nämlich das Wort Gerechtigkeit Gottes, weil ich es nach dem Sinn der Doktoren und Philosophen verstand: Gerechtigkeit, wodurch Gott gerecht ist und die Sünde und die Ungerechten straft …. Ich ……klopfte dann erst an dieser Stelle bei Paulus an …. Da begann ich zu verstehen, dass hier die Gerechtigkeit Gottes gemeint sei, wodurch der Gerechte durch das Geschenk Gottes lebt, nämlich aus dem Glauben – eine Gerechtigkeit, wodurch uns der barmherzige Gott durch den Glauben gerecht macht. Da habe ich gefühlt, dass ich von neuem geboren sei.“
Aus: W.A. 54, 179
Und weiter schreibt der suchende Wittenberger zu Ps 31,2:
„Es heißt: durch deine, nicht durch meine, d. h. durch die Gerechtigkeit Christi, die durch Glauben, Gnade und Barmherzigkeit Gottes die unsere wird.“
D.Martin Luthers Psalmen-Auslegung, hrsg. v. E. Mülhaupt, Bd. 2, 1962, 34 (WA 2,146,20-27).
Klagen ist nicht das Letzte
Das Gespräch mit Gott als Prozeß der Leidbewältigung.
Gedanken zu Psalm 13
1 Dem Musikverantwortlichen – ein Psalm – David zugehörig.
I | 2 | A | Wie lange noch, HERR? Willst du mich für immer vergessen? | KLAGEN |
B | Wie lange willst du dein Antlitz verbergen vor mir? | Gott-Klage | ||
3 | A | Wie lange noch muss ich Sorgen in meiner Seele hegen, | Selbst-Klage | |
B | ist Kummer in meinem Herzen tagelang? | |||
C | Wie lange noch darf sich mein Feind über mich erheben? | Feind-Klage | ||
II | 4 | A | Schau bitte her! Antowrte mir, Herr; | BITTEN |
B | Mein Gott, mache bitte hell meine Augen! | |||
C | Damit ich nicht zum Tod entschlafen muss; | |||
5 | A | damit mein Feind nicht sagen kann: „Ich habe ihn überwältigt!“; | ||
B | meine Bedränger nicht jubeln dürfen, wenn ich wanke. | |||
III | 6 | A | Ich aber, ich habe aufgrund deiner Gnade vertraut. | VERTRAUEN + |
B | Es soll jubeln mein Herz aufgrund deines Heilshandelns: | LOB / DANK | ||
C | „Ich will den Herrn besingen, denn er hat wohl an mir getan.“ | |||
Verzweiflung, Bitterkeit und Angst lassen den Menschen nicht nur an sich, sondern oft auch an Gott zweifeln. Pfarrer Dr. Beat Weber zeigt anhand von Psalm 13 die in der biblischen Dichtung offenbarte Möglichkeit, Not und Leiden vor Gott zu bringen, mit ihm ins Gespräch zu kommen und die Hoffnungslosigkeit zu überwinden.
Die Bibel lehrt uns den Weg des Gesprächs. Die Verarbeitung von Leid und Not geschieht im Gespräch mit befreundeten Mitmenschen, wie wir das bei Hiob erleben. Und es geschieht in noch stärkerem Maß im Gespräch mit Gott, wie wir es insbesondere in den Psalmen erfahren. Trauerarbeit geschieht nicht im Gespräch mit den Feinden bzw. den Verursachern der Not, und sie geschieht auch nicht im Monolog, im Selbstgespräch.
Das Gespräch mit Gott ist ganz eindeutig die biblisch bevorzugte Art der Verarbeitung von Not und Leid – dies ist auch im Blick auf die Sinnfrage von Bedeutung. Die erste und unmittelbare Art, Not und Leid in angemessene Worte zu kleiden, ist das Klagen. Im Klagen spreche ich mein Ergehen, meine Befindlichkeit ungeschönt aus, so wie ich es erlebe.
Klagen ist eine Form des Betens, und Beten hat ein Gegenüber, eine Adresse: Gott selber. Menschen klagen in der Bibel zu Gott, ja klagen ihn sogar an?– selbst dann noch, wenn sie den Eindruck haben, daß er nicht zuhört, abwesend ist, sie gar verstoßen und verlassen hat. Dabei dürfen wir Klagen nicht mit Jammern verwechseln. Die Klage richtet sich an einen Adressaten, das Jammern nicht. Beim Jammern beklage ich nur mein eigenes Leiden, beschwere mich über andere und drehe mich dabei um mich selbst. Jammern ist gleichsam die gott-lose Form des Klagens: ich verwickle und verbohre mich noch mehr in mich selber. Das Klagen aber eröffnet einen neuen Weg und führt letztendlich zu neuem Leben.
Klagen dürfen
Darf man als Christ klagen – gar Gott anklagen?
Viele Christen meinen, daß Klagen zwar für die Menschen des Alten Testaments richtig war, doch durch die Erlösung, die Jesus Christus im Neuen Testament gebracht habe, sei jetzt vielmehr Vertrauen, Zuversicht und Lob angebracht. Im Neuen Testament sei von der Klage kaum mehr zu hören. Wir müssen uns jedoch vor Augen halten, daß zwischen Altem und Neuem Testament kein Gegensatz besteht, sondern eine Entwicklung stattfindet und das Neue auf dem Alten basiert. Auf unser Thema bezogen: Klagen in Moll und Loben in Dur sind die beiden Melodien des Gesprächs mit Gott. Klagen ist die Sprache der Erde, und Loben die Sprache des Himmels. Weil wir als Christen in beiden Welten zugleich leben, bedürfen wir beider Sprachen.
Wo die Klage nicht mehr sein darf, da kommt es auch nicht zum Lob, oder aber das Lob wirkt unecht und oberflächlich. Es besteht die Gefahr, daß Dinge verdrängt oder übertüncht werden. Menschen bleiben auf der Strecke, weil sie in der Tiefe ihrer Not nicht abgeholt werden. Ohne den Raum zur Klage droht das Leid und das Böse wegdiskutiert oder überspielt zu werden, was neurotische Erscheinungen zufolge hat – bei Einzelnen, in der Kirche und in der Gesellschaft gleichermaßen. Fest steht: Das Loben hat gegenüber dem Klagen die größere Würde, denn in der Ewigkeit wird das Leid und die Not weggetan werden und damit alles Klagen verstummen. Dann bleibt das Lob allein.
Reden wollen
Das biblische Klagegebet lädt uns ein, seine Worte zu unseren zu machen und so in ein Gespräch mit Gott zu kommen. Ich habe aus der Vielzahl dieser Gottesgespräche den 13. Psalm ausgewählt.
Angesichts der Not droht der Mensch zu verstummen und sprachlos zu werden. Hält solches Verstummen an, vergiftet es die Seele und führt zu bleibenden Störungen. Das weiß nicht nur die moderne Psychologie, sondern schon die alte Bibel. Solche Störungen können eine dreifache Auswirkung haben: Sie schädigen mich selbst, sie trüben die Beziehungen zu den Mitmenschen und sie verschließen gegenüber Gott. Biblische Klagegebete oder -lieder dagegen fassen das Unsagbare in Worte, bringen das eigene Ergehen mitsamt den Gefühlen und Gedanken ins Gespräch mit Gott und stoßen so ein Tor der Heilung und damit auch der Sinnfindung auf.
Klagen ist nicht das Letzte – so habe ich diesen Abschnitt überschrieben. Aber Klagen ist das Erste! In der Klage steige ich am tiefsten in die Not hinab, bis auf den Grund dieses bodenlosen Elends. Es ist wichtig, diesen ersten Schritt nicht auszulassen, sondern mit ihm zu beginnen. Nicht umsonst ist die erste Strophe des Psalms mit den Versen 2 und 3 der Klage gewidmet.
Fragen müssen
„Wie lange noch?“ Mit dieser Frage klopft der Betende wiederholt und laut bei Gott an. Da ist Klage, da höre ich auch Anklage und Vorwurf. Keine Antworten, noch nicht – aber Fragen.
Es fällt auf, daß die gesamte Klage die Form von Fragen hat. Ja, eigentlich ist es eine einzige Frage, die in immer neuen Variationen vor Gott ausgesprochen wird: „Wie lange noch…?“ Der Betende hämmert diese Frage Gott gleich mehrfach entgegen. Im vorliegenden Psalm steht die Frage nach der Zeitdauer im Vordergrund, nach dem Zeitpunkt, an dem das ganze Elend ein Ende nimmt. Der Betende ist zutiefst irritiert darüber, daß Gott immer noch nicht eingegriffen hat. Die Selbstverpflichtung Gottes zur Hilfe, die er seinem Volk und dessen Mitgliedern gegenüber eingegangen ist, wird hier gleichsam ein-geklagt. Das setzt voraus, daß es eine Zeit gegeben hat, in der der Betende sich von Gott angenommen, von ihm geführt und „nicht vergessen“ wußte. Mit andern Worten: Es hat eine Beziehung zwischen Gott und dem Betenden bestanden, eine Vorgeschichte, die hinter die Not zurückreicht.
Die biblische Klage umfaßt in diesem Psalm drei Sozialdimensionen:
- Der Mensch spricht in der Gottesklage Gott selbst als letzten Grund und Verursacher der Leides an (anklagen).
- Der Mensch macht in der Selbstklage aus seinem Herzen keine Mördergrube, sondern legt die Nöte und Abgründe der eigenen Seele offen (beklagen).
- Der Mensch spricht sich in der Feindklage über die Menschen aus, die sein Leben beeinträchtigt oder zerstört haben (verklagen).
Klagen ist – jedenfalls zunächst – keine Sache des Kopfes, sondern des Herzens: in ihr werden intensive Gefühle ausgesprochen, und sie ist nicht selten von Seufzern und Tränen begleitet.
Trauern können
Wo eine der drei Dimensionen des Klagens ausgeblendet wird – in unserer Zeit ist es meistens die Gott-Klage – fehlt eine wichtige Dimension der Trauerverarbeitung. Wo Gott aus dem Spiel bleibt, bleibt die „Sinnfrage“ im Letzten ungeklärt, weil nur ein Größerer diesem notvollen Geschehen und mir selber darin einen Sinn zuweisen kann. In der Trauerbegleitung droht die Ausschaltung der Gottesfrage in die Sackgasse von Betroffenheitsbeteuerungen zu führen.
In der Klage äußere ich auch meinen Schmerz, meine Wut über Mitmenschen und meine Verzweiflung darüber, daß Gott mich „vergessen“ hat und abwesend ist – und ich äußere dies im Modus des Gebets vor Gott, der die letzte Instanz und damit der eigentliche Verursacher ist und bleibt. Dies gilt, auch wenn – wie im Psalm – zusätzlich Mitmenschen (oder allenfalls ich selber) Verursacher der Not sind, wie dies etwa bei Unglücken oft der Fall ist. In der Klage wird der Zorn über irgendwelche „Feinde“ unzensiert zur Sprache gebracht, aber er wird nicht den Mitmenschen um die Ohren geschlagen – auch keine Selbstjustiz vollzogen –, sondern Gott zu Ohren gebracht.
Rettung erhoffen
Wir brauchen Gott nicht aus der Schußlinie zu nehmen, um ihn zu schützen. Es darf Gott alles ungeschönt gesagt werden, ja es soll ihm auch gesagt werden. Darin liegt die ungeheure Spannung, die es auszuhalten gilt: Gott, den ich als abwesend oder sogar als meinen Feind empfinde, spreche ich trotzdem an, klage ihn an und erwarte von ihm Hilfe. Dahinter steht die Grunderfahrung: Es gibt keinen anderen Gott – es gibt sonst nur noch das dumpfe, sinnlose Nichts. Die letzte Hoffnung der Klage richtet sich also darauf, daß der richtende Gott sich doch auch als der rettende Gott erweisen möge. Auf dieses tiefe Paradox weist mehr als alles andere das Kreuzesgeschehen von Golgatha, wo Gottesgericht und Gottesliebe in eins fallen. Wir können es auch aus den beiden so gegensätzlichen Worten Jesu am Kreuz heraushören: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mt 27,46; Mk 15,34, vgl. Ps 22,2) – da ist Not, Tod und Gericht. Und das andere Wort: „Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände!“ (Lk 23,46, vgl. Ps 31,6) – da spricht Vertrauen und Auslieferung an Gottes Barmherzigkeit.
Wenn wir die uns sich verdunkelnden Seiten Gottes ausblenden, ihn vorschnell aus der Verantwortung entlassen und einseitig nur vom „lieben Gott“ sprechen, erweisen wir Gott und den Mitmenschen einen Bärendienst. Der „liebe Gott“ wird zu einem „harmlosen Kumpel“ und ist nicht mehr der Gott, der Macht über den Kosmos und über Tod und Leben hat. Dann bleiben die Menschen in ihren tiefsten Nöten allein. Apathie und Resignation ist die Folge. Dies wiederum führt zu einer zunehmenden Gottes-Entfremdung. Schließlich wird der Ausfall Gottes dann umso stärker kompensiert durch das Suchen und Benennen von menschlichen „Sündenböcken“. Denn jemand muß ja schuld sein.
Hilfe erbitten
Wenn die Klage ihren Platz und ihre Zeit gehabt hat, kann es zu einem zweiten Schritt kommen: zur Bitte, die auch als Gebet geäußert und damit vor Gottes Angesicht gebracht wird. Während das Klagen zwar vor Gott geschieht, aber doch stark bei sich und der Not behaftet bleibt, nicht selten diffus ist und sich wiederholt, geht das Bitten einen Schritt weiter. Es setzt eine durch die Klage hindurchgegangene Läuterung und Klärung voraus: Was ist es eigentlich, was ich von Gott noch erwarten, erhoffen, erbeten kann und will? Die Adressierung, der Gottesbezug ist gegenüber der Klage verstärkt. Die Not wird nun umgemünzt in konkrete Anliegen, die ich vor Gott äußere.
In Psalm 13 umfaßt der Teil der Bitten die Strophe II, nämlich die Verse 4ab und 4c5ab. Wir sehen, wie Klage und Bitte aufeinander bezogen sind. Wir haben gesehen, daß das größte Problem des Betenden in diesem Psalm die Erfahrung der Abwesenheit Gottes ist, die nicht als kurz und vorübergehend, sondern als lang anhaltend erfahren wird. Die Frage steht im Raum: Hat Gott mich eigentlich ganz und für immer vergessen und verstoßen?
Darauf nimmt nun das Bittgebet Bezug, indem es zuerst und vor allem um eine neue Zuwendung Gottes bittet: „Schaue bitte her! Antworte mir, HERR; mein Gott, mache bitte hell meine Augen!“ Die erste Bitte betrifft das Gesichtsfeld Gottes: Ein Gott, der nicht weg-, sondern herschaut und mich und mein Ergehen sieht, der kann sich erbarmen und helfen.
Die zweite Bitte richtet sich an Gottes Hören und Reden: Wenn Gott sich die Ohren verstopft, mein Schreien und Beten nur bis zur Decke kommt und von dort gleichsam wieder heruntertropft, ist mir nicht geholfen. Ich brauche Ohren, die hören, und den Mund Gottes, der mir Antwort gibt. Wenn Gott Leidenden eine Antwort gibt, dann lösen sich zwar nicht alle Probleme, aber mit der Antwort kommt zugleich auch Sinn in das Leben.
In der dritten Bitte schließlich wird das leibliche und seelische Ergehen zum Anliegen. Mit der Anrede „mein Gott“ wird Gott erstmals so angesprochen, daß eine persönliche Beziehung zu diesem Gott durchscheint. Die Formulierung „mache bitte hell meine Augen!“ läßt an physische und psychische Befindlichkeiten denken, die man mit Todesnähe, Erschöpfung, depressive Verfinsterung umschreiben könnte. Es ist die Bitte, daß das Leben von Gott neu geschenkt wird und die Vitalität zurückkehrt.
Nach den drei Bitten folgen drei Sätze, die jeweils mit „damit nicht…“ beginnen. Es sind dies Motivierungen, Begründungen, die vor Gott ausbreiten, warum die Bitten gelten sollen und ihre Berechtigung haben.
Die erste Begründung besagt, daß ohne Gottes Zuwendung das Leben erstirbt. Dahinter steht nach damaliger Sicht der Gedanke: Wenn Gott mich sterben läßt, was hat er davon? Er verliert auf dieser Welt jemanden, der ihm Ehre und Lob darbringt.
Die beiden nächsten Begründungen zielen auf die Feinde ab: Das Unrecht, verkörpert durch die Feinde, soll nicht triumphieren dürfen. Auch dahinter steckt nicht die selbstbezogene Sorge um das eigene Wohlergehen, sondern vor allem der Appell an Gottes Ehre, die sonst geschmälert würde.
Vertrauen wagen
Dieses Psalmgebet beschränkt sich nicht auf Bitte und Fürbitte, sondern steigt mit dem Klagen tiefer in die Not eigenen oder fremden Erlebens hinab. Es hört mit dem Bittgebet nicht auf; betend wird ein dritter Schritt gewagt: Das Bekenntnis zum Vertrauen in Gott und das Darbringen von Dank und Lob. Das Bemerkenswerte daran ist, daß Vertrauen und Lob inmitten von Not und Leiden ausgedrückt werden – obwohl es noch keine Anzeichen dafür gibt, daß die Notsituation, aus der heraus dieses Gebet erging, sich bereits zum Guten gewendet hätte.
Daß Klagen und Bitten eng aufeinander bezogen sind, ist nicht weiter erstaunlich, aber daß dann zum Schluß noch Vers 6 erscheint, sehr wohl. Die Ausleger bezeichnen die Wende von Strophe II zu Strophe III als Stimmungsumschwung und rätseln darüber, wie es dazu kommen konnte.
Zunächst fällt dieses betonte „Ich aber…“ auf, das einen neuen Einsatz markiert. Es ist, wie wenn einer das erste Mal wieder ganz sich selbst wahrnehmen und vor Gott „Ich“ sagen kann. Es ist, wie wenn jemand aus der Dumpfheit von Gefühlen und Eindrücken, die ihn überspülen, zu neuem Leben erwacht.
Nach dem „Ich“ kommt noch ein „aber“. Es bezeichnet eine Absetzung, die eine aus den Bitten hervorgegangene neue Stärke verrät. Hat der Betende vorhin an Gott appelliert zu handeln, so handelt er jetzt auch selbst. Er setzt einen Neuanfang. Diese Neusetzung geschieht nicht, indem er sich selbst zu überlisten oder an den eigenen Haaren aus dem Sumpf des Elends zu ziehen versucht. Diese Neusetzung geschieht vielmehr dadurch, daß er altes Gottvertrauen neu aktualisiert. Da sind – in der Not verschüttet – vielleicht noch Glaubensreste. Der Docht glimmt nur, aber er ist noch nicht erloschen. Das Feuer kann wieder entfacht werden.
Doch hören wir genau hin: „Ich habe aufgrund deiner Gnade vertraut.“ Der Betende investiert neues Vertrauen, er betrachtet dies aber nicht als Eigenleistung, sondern spricht vor Gott aus, daß ihm das nur „aufgrund deiner Gnade“ möglich ist.
Aus dem Vertrauen wächst dann die Zuversicht, daß sein Klagen sich in Lob wandeln wird: „Es soll jubeln mein Herz aufgrund deines Heilshandelns“: Ich weiß, die Zeit wird kommen, wenn du, Gott, zu meinen Heil helfend eingreifen wirst?–?und dann wird mein Herz dir zujubeln. Das will ich dir jetzt schon versprechen. Und als letztes wird angekündigt, daß der Jubel nicht im Innern des Herzens bleibt, sondern auf den Lippen zum Danklied werden wird: „Ich will den HERRN besingen, denn er hat wohl an mir getan.“ Wie es dazu kommen kann, daß sich Klage in Lob wandelt, bleibt ein Geheimnis. Das Geheimnis Gottes, das Gnade heißt.
Gott loben
Klagen ist nicht das Letzte! Bereits in und inmitten der Not stimmt der Psalmist nach Klagen und Bitten ein Lob an und nimmt damit vorweg, was im Himmel und darum auch auf Erden das Letzte sein und bleiben wird: Gottes machtvolles und heilvolles Wirken in dieser Welt und auch in meinem Leben. Fließt nicht durch dieses Wissen um das Letzte auch dem Vorletzten, dem Leiden, neuer Sinn zu?
Diese letzte Zeile des Psalmes ist kein Gebet mehr, sondern Verkündigung an die Mitmenschen. Die Not führt oft in die Isolation; die Rettung und der Dank dafür integrieren neu in die Gemeinschaft der auf Gott Vertrauenden. In der Bibel wird unmittelbar nach der Befreiung stets der Dank im Gebet vor Gott gebracht und Gottes Hilfe vor den Menschen bezeugt – zur Ehre Gottes.
Im Leben erfahren wir Leidverarbeitung meist als – zuweilen langwierigen – Prozeß. In Psalm 13 ist der Prozeß verdichtet in wenigen Zeilen. Ob er einmalig oder etappenweise über einen längeren Zeitablauf hinweg gebetet wurde, wissen wir nicht mit Sicherheit. Die einzelnen Momente des Betens und Ringens mit Gott mögen zwar biographisch-zeitlich auseinanderliegen, hier aber sind sie verklammert zu einem einzigen Gebet. Die gewählte Reihenfolge: Klagen – Bitten – Vertrauen/Loben ist nicht zufällig, sondern zeigt den Weg der Heilung und Versöhnung auf. Dieser kommt dann zu einem gewissen Abschluß, wenn ich durch das Schwere hindurch auch das Gute, Hilfreiche und Rettende sehen kann, das Gott mir zuteil werden ließ und noch zuteil werden lassen wird.
Das Gebet mündet in Lob; doch werden Klagen und Bitten nicht zurückgenommen, sondern bleiben gültige Teile des Gesprächs mit Gott. Sie haben sowohl im Gebet als auch in der späteren Rückerinnerung ihren Platz. Damit wird der gesamte Spannungsbogen der eigenen Erfahrung – vom größten Elend bis zum höchsten Lob – in der Wirklichkeit Gottes verankert.
Von Beat Weber
aus Linden/Schweiz ist evang.-reformierter Pfarrer, Notfallseelsorger und Dozent an zwei theologischen Seminarien. Als Theologe hat er seinen Schwerpunkt im Bereich des Alten Testaments (Psalmen, hebräische Poesie). Er ist Präsident der 1982 gegründeten „Arbeitsgemeinschaft für biblisch erneuerte Theologie“ (AfbeT) in der Schweiz.
Der hier veröffentlichte Beitrag ist aus dem Vortrag Spuren der Sinnfindung – im Blick auf Leidbewältigung in der Bibel, gehalten anläßlich des 160. Jahrestags des Diakonissenhauses Bern.
Das Gebetbuch Jesu Christi
„Das Psalmengebet, das uns nicht über die Lippen will, vor dem wir stocken und uns entsetzen, lässt uns ahnen, dass hier ein anderer der Beter ist, als wir selbst, dass der, der hier seine Unschuld beteuert, der Gottes Gericht herbeiruft, der in so unendlich tiefes Leiden gekommen ist, kein anderer ist als Jesus Christus selbst.
Er ist es, der hier betet, und nicht etwa nur hier, sondern im ganzen Psalter. So hat es das Neue Testament und die Kirche von je her erkannt und bezeugt. Der Mensch Jesus Christus, dem keine Not, keine Krankheit, kein Leid fremd ist, und der doch der ganz Unschuldige und Gerechte war, betet im Psalter durch den Mund seiner Gemeinde. Der Psalter ist das Gebetbuch Jesu Christi im eigentlichsten Sinne.“
Bonhoeffer, Gemeinsames Leben, s. 36.
„Glückselig der Mann, der nicht wandelt im Rate der Bösen und auf dem Weg der Sünder nicht steht und nichts sitzt, wo die Spötter sitzen“ (Ps 1,1),
„Gottlosigkeit ist jene Grundorientierung, in welcher der Mensch entweder Gott leugnet oder lebt, als ob Gott nicht wäre. Der Gottlose rückt sich selbst als Individuum oder als Kollektiv in den Mittelpunkt, von wo aus er urteilt, was gut und schlecht, was schön und hässlich, was zu tun und zu lassen ist. Der Psalm spricht vom ‚Rat der Gottlosen‘, in dem der Unselige aus- und eingeht. Die Menschen mit der gottlosen Perspektive bilden einen ‚Rat‘, das heißt eine Verständigungsgemeinschaft. Zwar herrscht in dieser kein wirklicher Friede, denn wo Menschen sich selbst zum Mittelpunkt machen, wo sie einen babylonischen Turm bauen, da entsteht babylonische Verwirrung. Der Konflikt ist vorprogrammiert. Aber hinsichtlich der anthropozentrischen Perspektive sind sich die Gottlosen dennoch einig. Dass man keine ‚übernatürliche Hypothese‘ in die Beratung irdischer Dinge einführen dürfe, das bildet die gemeinsame Basis dieses ‚Rates‘. Wer den Weg der Seligkeit wählt, verkehrt nicht in diesem Rat, denn er kann sich mit jenen nicht verständigen, deren fundamentale Prämisse die Lüge ist.
Robert Spaemann: Meditationen eines Christen: Über die Psalmen 1-51, Stuttgart: Klett-Cotta. 2014, ISBN: 978-3608948875, 409 S., 49,95 €
Aus der Gottlosigkeit folgt die Sünde, das heißt das von Selbstsucht regierte Handeln, das bei aller Verschiedenheit in einem Punkt übereinstimmt: nicht mit der Ordnung Gottes übereinzustimmen. Die Sünder gehen einen ‚Weg‘. Dass der selige Mann ihn nicht geht, versteht sich von selbst. Aber so wie er im Rat der Gottlosen nicht beiläufig verkehrt, so ‚steht‘ er auch nicht am Weg der Sünder, das heißt, er hält sich gar nicht in diesem Umkreis auf, weil er nämlich gar nicht ‚steht‘, sondern selbst geht, aber einen anderen Weg.
Schließlich die Spötter. Sie sitzen. Sie sind Zuschauer – Zuschauer, die ihr Vergnügen daran haben, wenn das Gute ‚entlarvt‘ wird. Sie Hegen immer auf der Lauer, das Gute zu entlarven, weil sie seine Echtheit nämlich gar nicht wahrnehmen können. Sie lachen über die Tanzenden, weil sie die Musik nicht hören. Sie freuen sich, wenn der Gute der Dumme ist, denn für sie ist ein Leben aus göttlicher Perspektive ohnehin Dummheit.“
Gedanken zu Psalm 23. Dieser Psalm von David ist einer der bekanntesten Abschnitte aus Gottes Wort.
Dieser Psalm von David ist einer der bekanntesten Abschnitte aus Gottes Wort. Unzählige Menschen haben darin Trost und Erquickung gefunden. Viele haben sich in Nöten und Schwierigkeiten an die Worte dieses Psalms geklammert. Obwohl recht kurz, enthält dieser Psalm doch eine Fülle von Gedanken:
„Der Herr ist mein Hirte“
Das ist Beziehung!
„Mir wird nichts mangeln“
Das ist Fürsorge!
„Er lagert mich auf grünen Auen“
Das ist Ruhe!
„Er führt mich zu stillen Wassern“
Das ist Erfrischung!
„Er erquickt meine Seele“
Das ist Wiederherstellung und Heilung!
„Er leitet mich in Pfaden der Gerechtigkeit“
Das ist Leitung!
„Um seines Namens willen“
Das ist Vorsatz!
„Auch wenn ich wanderte im Tal des Todesschattens“
Das ist Erprobung!
„Fürchte ich nichts Übles“
Das ist Schutz!
„Denn du bist bei mir“
Das ist Treue!
„Dein Stecken und dein Stab, sie trösten mich“
Das ist Erziehung!
„Du bereitest vor mir einen Tisch angesichts meiner Feinde“
Das ist Gemeinschaft!
„Du hast mein Haupt mit Öl gesalbt“
Das ist Weihung!
„Mein Becher fließt über“
Das ist Fülle!
„Nur Güte und Huld werden mir folgen alle Tage meines Lebens“
Das ist Segen!
„Und ich werde wohnen im Haus des Herrn“
Das ist Hoffnung!
„Auf immerdar“
Das ist Ewigkeit!
Genau in der Mitte des Psalms finden wir die Aussage: „Denn du bist bei mir“. Das Wertvollste ist nicht, was wir haben, sondern wen wir haben: Der gute Hirte ist bei uns!
unbekannt
Soulsaver
Gute-Laune-Gedichte?
Große literarische und musikalische Schönheit gibt es nicht ohne einen Schuss Traurigkeit, Melancholie, Moll, Blues. Denn vieles im Leben ist nun einmal traurig, und auch Gotteslieblinge sind nicht davon ausgenommen. Deshalb handelt es sich bei den meisten Psalmen nicht um Gute-Laune-Gedichte, sondern um Krisenbewältigungslyrik. Die Schlüsselbegriffe sind das Substantiv «Gott», das Verb «hilf» sowie die Adverbien «warum» und «trotzdem». Markus Spieker in ‚Jesus. Eine Weltgeschichte.‘
Psalm 139 Wohin soll ich gehen vor deinem Geist,
Wohin soll ich gehen vor deinem Geist,
und wohin soll ich fliehen vor deinem Angesicht?
Führe ich gen Himmel, so bist du da;
bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch da.
Nähme ich Flügel der Morgenröte
und bliebe am äußersten Meer,
so würde auch dort deine Hand mich führen
und deine Rechte mich halten.
Spräche ich: Finsternis möge mich decken
und Nacht statt Licht um mich sein –,
so wäre auch Finsternis nicht finster bei dir,
und die Nacht leuchtete wie der Tag.
Finsternis ist wie das Licht.
Verse aus Psalm 139
„Der alttestamentliche Tag beginnt mit dem Abend und endet wieder mit dem Sonnenuntergang. Das ist die Zeit der Erwartung. Der Tag der neutestamentlichen Gemeinde beginnt mit der Frühe des Sonnenaufgangs und endet mit dem Anbruch des Lichtes am neuen Morgen. Das ist die Zeit der Erfüllung, der Auferstehung des Herrn. In der Nacht wurde Christus geboren, ein Licht in der Finsternis, der Mittag wurde zur Nacht, als Christus am Kreuze litt und starb, aber in der Frühe des Ostermorgens ging Christus als Sieger aus dem Grabe hervor. … Was wissen wir Heutigen, die wir Furcht und Ehrfurcht vor der Nacht nicht mehr kennen, noch von der großen Freude unserer Väter und der alten Christenheit an der morgendlichen Wiederkehr des Lichtes? Wollen wir wieder etwas lernen von dem Lobpreis, der am frühen Morgen den dreieinigen Gott gebührt, Gott, dem Vater und Schöpfer, der unser Leben bewahrt hat in der finsteren Nacht und uns aufgeweckt hat zu einem neuen Tag.“
Dietrich Bonhoeffer