“Dennoch geht es in der Theologie um weit mehr als um solche logischen Rätselaufgaben. Das wahre Thema betrifft das Wesen Gottes selbst. Wir können uns diesem wichtigen Thema nähern, indem wir eine beliebte Frage mittelalterlicher Philosophen stellen:
Kann Gott jemanden, der ihn liebt, zwingen, ihn zu hassen?
Auf den ersten Blick erscheint die Frage ein wenig eigenartig. Warum sollte Gott die Liebe eines Menschen zu ihm in Hass verkehren wollen? Die Frage erscheint unrealistisch und gegenstandslos. Bei genauerer Betrachtung beginnt die Frage jedoch sinnvoll zu sein. Auf einer gewissen Ebene besteht kein Problem. „Zu sagen, dass Gott allmächtig ist, meint, dass Gott alles tun kann, das nicht einen logischen Widerspruch beinhaltet.“ – Es besteht hier offensichtlich kein solcher Widerspruch. Gott muss die Fähigkeit haben, die Liebe eines Menschen in Hass zu verkehren. Dennoch stehen wir hier offensichtlich vor einer tiefer greifenden Frage, die den Charakter Gottes betrifft. Können wir uns je vorstellen, dass Gott dies wollen könnte?
Um diesen wichtigen Punkt zu verdeutlichen, wollen wir uns eine weitere Frage stellen:
„Kann Gott Versprechen brechen?“
Es ist kein logischer Widerspruch damit verbunden, Versprechen zu brechen. Es geschieht unentwegt. Man mag das bedauern, aber es besteht keine intellektuelle Schwierigkeit an dieser Stelle. Wenn Gott alles tun kann, das keinen logischen Widerspruch beinhaltet, kann er natürlich ein Versprechen brechen.
Dennoch ist dieser Gedanke für Christen unerhört. Der Gott, den wir kennen und lieben, ist ein Gott, der treu zu dem steht, was er versprochen hat. Wenn wir Gott nicht vertrauen können, wem denn dann? Die Vorstellung, dass Gott ein Versprechen brechen könnte, widerspricht einem grundlegenden Aspekt in Gottes Wesen – nämlich Gottes Vertrauenswürdigkeit und Wahrhaftigkeit. Eines der großen Themen sowohl des Alten als auch des Neuen Testaments ist die völlige Vertrauenswürdigkeit und Verlässlichkeit Gottes. Menschen mögen versagen – Gott bleibt treu. Man denke nur an die beiden folgenden Bibelverse:
So sollst du nun wissen, dass der HERR, dein Gott, allein Gott ist, der treue Gott, der den Bund und die Barmherzigkeit bis ins tausendste Glied hält denen, die ihn lieben und seine Gebote halten. – 5Mo 7,9a
Der HERR ist getreu in allen seinen Worten … – Ps 145,13b
Hier geht es darum, dass eine Spannung besteht zwischen Macht und Vertrauen. Ein allmächtiger Betrüger mag Versprechen machen, auf die man sich aber nicht verlassen kann. Eine der größten Einsichten des christlichen Glaubens ist, dass wir einen Gott kennen, der alles tun könnte – sich aber entschlossen hat, uns zu erlösen. Gott hatte es nicht nötig, mit Israel einen Bund einzugehen – er entschloss sich aber, das zu tun; und nachdem er sich entschlossen hatte, bleibt er seinen Versprechen treu. Hier beobachten wir die wichtige Vorstellung der Selbstbeschränkung Gottes – der Anschauung, dass Gott sich aus freien Stücken entschloss, sich in einer bestimmten Art und Weise zu verhalten, und indem er das tat, seinem göttlichen Tun Grenzen aufzuerlegen. Man kann Gott nicht vorwerfen, dass er willkürlich oder hinterhältig handelt; vielmehr handelt er verlässlich und treu. Wenn Gott tatsächlich in Christus offenbart ist, müssen wir erkennen, dass Gottes Macht nicht durch Schwert oder Kriegswagen symbolisiert wird – üblichen Zeichen militärischer und politischer Macht in der Welt jener Tage -, sondern durch das Kreuz, ein Symbol, das mit Schande, Niederlage und Machtlosigkeit verbunden ist. Die vielleicht dramatischste Aussage über diese Anschauung der göttlichen Selbstbeschränkung findet sich in Dietrich Bonhoeffers Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft aus den letzten Jahren des 2. Weltkriegs:
„Gott läßt sich aus der Welt herausdrängen ans Kreuz, Gott ist ohnmächtig und schwach in der Welt und gerade nur so ist er bei uns und hilft uns. … Die Bibel weist den Menschen an die Ohnmacht und das Leiden Gottes; nur der leidende Gott kann helfen.“
In einer Zeit, die der Vorstellung von Macht zunehmend misstrauisch geworden ist, ist es wichtig, daran zu erinnern, dass die Rede vom allmächtigen Gott nicht meint, dass Gott ein Tyrann ist. Für Bonhoeffer bedeutet sie, dass Gott sich entschlossen hat, an der Seite der Menschen in ihrer Kraftlosigkeit zu stehen – ein Hauptthema in der Auslegung des Kreuzes Christi, der wir uns in Kürze zuwenden werden.
Wir wollen aber zur Frage zurückkehren, mit der wir begannen: Kann Gott alles tun? Die Antwort des gesunden Menschenverstandes wäre hier einfach und direkt. Wenn Gott allmächtig ist, muss er in der Lage sein, alles zu tun. Dennoch besteht die christliche Theologie darauf, dass Gottes Allmacht im Zusammenhang mit Gottes Wesen gesehen werden muss – seinem Wesen als gerechtem und treuem Gott, dessen Versprechen man vertrauen kann. Es erweist sich immer wieder, dass wir sehr vorsichtig sein müssen, Konzepte aus unserem menschlichen Umfeld zu Gott zu übertragen und anhand ihrer auf ihn zu schließen.“
Quelle: McGrath, Alister: Theologie. Was man wissen muss, Gießen 2010, 69-73.