Wenn man im Menschen nicht anderes sieht als eine Mischung von sozialen oder biologischen Kräften, dann verlieren die Konzepte von Schuld und Strafe jede Bedeutung, so wie sie bedeutungslos sind, wenn sie gegen eine Maschine angewandt werden. So wie ein kaputter Computer nicht vor Gericht gestellt und nicht bestraft, sondern repariert wird, so ist es „notwendig“, eine Person zu reparieren, die aufhört nach dem offiziellen Programm zu funktionieren. Für exakt diesen Zweck gibt es psychiatrische Spezialkrankenhäuser. Diese Schlußfolgerung ist so unausweichlich, daß schon ein Früh-Materialist wie Weitling, ein Vorläufer und Lehrer von Marx, das Bild einer Zukunftsgesellschaft „von Freiheit und Harmonie“ gemalt hat, in der es keine Gerichtsverfahren und keine Prozesse mehr gäbe, in der vielmehr alle „von schlechten Leidenschaften Besessenen“ in Hospitäler gesteckt und die „Unheilbaren“ auf speziellen Insel-Kolonien festgehalten würden. Dies eine typische, von einem schlimmen Phantasten geträumte Utopie. Um wieviel schauriger ist die Utopie, die das reale Leben geschaffen hat? Im (noch kleinen) Modell zeigt sie uns, was uns in nicht zu ferner Zukunft erwartet. Eine Kostprobe davon ist gegeben, wenn Psychiater zwangseingewiesenen „Patienten“ in offensichtlich aller Ernsthaftigkeit erklären, daß ihre religiösen Glaubensüberzeugungen oder ihre kritischen Haltungen dem Leben gegenüber, ihr „Mangel an sozialer Anpassung,“ wie die Ärzte sagen, ein klares Symptom geistiger Erkrankung seien.
Prof. Igor Schafarewitsch, russischer Mathematiker, in einem Aufruf vom 14.05.78 anläßlich der Verhaftung des jüdischen Bürgerrechtlers Alexander Podrabinek, der nachdrücklich gegen den damals in seinem Land verbreitete Psychiatrisierung Oppositioneller, Andersdenkender, ihre Internierung und Behandlung als Geisteskranke protestiert hatte. Schafarewitschs Worte standen bereits im Rundbrief 3/78.
http://www.psychiatrie-und-ethik.de/1_gesamt.html