Offenbarung und Verstand.

Es ist uns allen bekannt, dass die heutigen Charismatiker sagen, der Verstand stehe dem Wirken des Geistes im Weg und müsse daher möglichst ausgelassen oder gar ausgeschaltet werden. Die Bereitschaft dazu ist ihnen geradezu der Schlüssel zum Schatzkästchen, in dem, wie sie vermuten, alle Geistesgaben wie bunte Steine bereit liegen und nur darauf warten, von uns herausgeholt zu werden. So argumentiert auch dir Römische Kirche. Damit rechtfertigte sie das Lesen der Messen in der lateinischen Sprache. Johannes Calvin schreibt in seiner Auslegung von 1Kor 14 zum V. 14: „Denn wenn ich in einer Sprache bete, so betet mein Geist, aber mein Verstand ist fruchtleer“ „Rühmten sich die Korinther der Geistesgabe, dass sie mit Zungen reden und beten konnten, so gesteht ihnen der Apostel zu: in der Tat, wenn ‚der Geist‘ betet, so regt sich eine herrliche Gnadengabe Gottes. Aber Paulus rügt sofort den hochmütigen Missbrauch, indem er hinzufügt: Wenn der Verstand unfruchtbar bleibt, was nützt dann die Geistesgabe? Dabei erhebt sich freilich die Frage: Soll man wirklich glauben, dass der Geist den Leuten eine fremde Sprache eingab, die die selbst nicht verstanden? dass jemand, dessen Muttersprache Lateinisch war, plötzlich z. B. Griechisch redete, ohne seine eigenen Worte zu verstehen? so etwa, wie Papageien, Elstern und Raben menschliche Worte aussprechen lernen? Dies wird schwerlich der Fall gewesen sein. Vielmehr setzt Paulus nur einmal diese Möglichkeit, um zu zeigen, wie es sich ausnimmt, wenn man Worte und Sinn von einander trennt. Dabei redet der vorliegende Satz nicht von der Erbauung der Gemeinde, sondern von dem Gebet des Einzelnen für sich. Wenn mein Gebet sich in fremden, mir unverständlichen Worten bewegen würde, die der Geist mir gibt, so würde nur dieser göttliche Geist beten, mein eigener Sinn aber könnte inzwischen an allerlei anderes denken und würde jedenfalls von dem Gebet keinen Nutzen ziehen. Hieraus soll der Leser dann erst im Stillen die Folgerung ziehen: Was soll also ein derartig unverständliches Reden der Gemeinde helfen? Übrigens wollen wir die Beobachtung nicht unterlassen, wie scharf Paulus ein gedankenloses Gebet verurteilt. Wer betet, soll vor Gott seine Gedanken und Bedürfnisse ausschütten. Im Geist und in der Wahrheit will Gott angebetet sein. Nichts aber kann damit entschiedener streiten, als eine Bewegung der Lippen, die nicht zugleich eine Bewegung des Herzens ist. Und nun denke man an die Gebetspraxis und Gebetsanleitung der Römischen!“ Theodor Beza, Calvins Mitstreiter und Nachfolger in Genf, sagt zu diesem gleichen Vers: Es wäre zu absurd zu glauben, dass der Heilige Geist jemals jemanden bewegte, so etwas zu tun (nämlich ohne Verstand zu beten), da man das gar nicht Gebet nennen könnte, sondern es vielmehr eine Verhöhnung Gottes und Seiner Gemeinde nennen müsste. Zum Vers 11 sagt er:   Es wäre eine in allen vorangegangenen Menschengeschlechtern unerhörte Barbarei gewesen, dass einer sich selbst zum Barbaren wird, indem er eine Sprache spricht, die er selber nicht versteht Und nun die gängige Auslegung von 1Kor 14:14 der Römischen Kirche (sie stammt von einem gewissen Estius, einem Zeitgenossen der Reformatoren): „Was der Apostel hier sagt, passiert, wenn jemand, der des Lateinischen nicht mächtig ist, Gebete in der lateinischen Sprache rezitiert; denn wer es tut, wird im Geist und in seinen Gefühlen zu Gott emporgetragen, wenn er nur mit Aufrichtigkeit betet. Der Verstand ist zwar ohne Frucht, da er nicht versteht, was er betet, aber solche Gebete dürfen deshalb nicht als nutzlos verurteilt werden.“ Hier berühren sich katholische und charismatische Frömmigkeit in bemerkenswerter Weise. Sie ist in beiden Fällen verstandesfeindlich, irrational. Wir sind sicher keine Rationalisten; uns ist bewusst, dass der Rationalismus auch ein Aberglaube ist. Wir glauben, indem wir uns auf eine zuverlässige Offenbarung verlassen; aber wir wollen mit Verstand glauben, und wir wollen mit Verstand beten. Wir wollen dem Wirken des Heiligen Geistes folgen, der den Verstand nicht ausschaltet, sondern eigentlich erst recht einschaltet. Benedikt Peters

Unterschiede in den Evangelien

„Ist Jesus nach seiner Taufe in die Wüste oder zu einer Hochzeit gegangen?“
Wenn man die neutestamentlichen Evangelien aufmerksam liest und miteinander vergleicht, stellt man dabei fest, dass die Schreiber Matthäus, Markus, Lukas und Johannes nicht immer genau von den gleichen Ereignissen aus dem Leben Jesu berichten oder die gleichen Reden wiedergeben. Auch ist die Reihenfolge zum Teil unterschiedlich. So stimmen die ersten drei Evangelien untereinander stärker über ein als mit dem. Johannesevangelium – doch an etlichen Stellen gibt es auch unter ihnen Unterschiede. Manche Begebenheit, wie die Hochzeit von Kana, findet sich nur in einem der Evangelien. Wie lassen sich diese Unterschiede erklären? Weiterlesen

Die „Neue „Paulus-Perspetive“

Von der „Neuen Paulus-Perspektive“(NPP) wird gesagt, dass sie nicht wirklich „neu“ sei. Aber sie ist auch nicht nur eine „Perspektive“, scheint sie uns doch einen völlig anderen Menschen vorzustellen als den Apostel Paulus, wie ihn die meisten von uns kennen werden. Die Diskussion unter den Gelehrten reicht mindestens zurück bis zu E. P.Sanders Buch Paul and Palestinian Judaism (1977)1 oder vielleicht sogar bis zu Krister Stendahls Artikel von1961 „The Apostle Paul and the Introspective Conscience of the West“(dt.: Der Apostel Paulus und das introspektive [in sich selbst hineinhörende]Gewissen des Westens). Diese Arbeiten sind weit davon entfernt, nur eine „Perspektive“ zu sein, haben sie doch eine theologische Denkweise in Gang gesetzt, die das Verständnis der Religion des Judentums zur Zeit des Zweiten Tempels völlig umgestaltet hat, sowie auch das Verhältnis des Paulus zu diesem Judentum und das Verständnis (besser gesagt, ihr vermeintliches Missverständnis), das die Reformatoren von Paulus hatten. Hier geht es also nicht nur um eine andere „Perspektive“, sondern um einen radikalen Paradigmenwechsel. Weiterlesen

WARUM SOLLEN WIR GOTT VATER NENNEN – UND NICHT MUTTER?

Im Alten und im Neuen Testament wird oft von Gott als Vater gesprochen. Als die Anhänger Jesu ihn um eine Art „Muster-Gebet“ bitten, das sie beten können, gibt er ihnen das „Vater unser im Himmel – das bekannteste Gebet der Christenheit, das mit der Anrede Gottes als Vater beginnt (Matthäus 6.9-13). An einigen Stellen der Bibel wird Gott mit einem Vater verglichen, so erinnert Mose z. B. Israel an Gottes Fürsorge während der Wüstenwanderung „Da hast du gesehen wie dich der Herr, dein Gott, getragen hat, wie ein Mann seinen Sohn trägt, auf dem ganzen Wege …“ (5.Mose 1,31). Gottes Verhalten kann aber auch mit einer Mutter verglichen werden. In einem bewegenden Abschnitt sagt Gott seinem Volk „Ich will euch. trösten, wie einen seine Mutter tröstet (Jesaja 66,13).Wenn Gott als Vater angeredet wird oder anderswo in der Bibel von Gott als Vater gesprochen wird, muss man bedenken, dass es sich dabei um ein Bild handelt. Gott ist nicht unser Vater in dem Sinn, wie es unsere leiblichen Väter waren oder sind. Gott hat uns nicht gezeugt, uns nicht auf den Armen gehalten, uns nicht in die Schule gebracht, usw. Nicht umsonst heißt es im Vater unser gleich Matthäus 6,9„im Himmel“. Weiterlesen