Empfangen und genähret
Vom Weibe wunderbar,
Kömmt er. sieht und höret
Und nimmt des Trugs nicht wahr;
Gelüstet und begehret,
Und bringt sein Tränlein dar;
Verachtet und verehret,
Hat Freude und Gefahr;
Glaubt, zweifelt, wähnt und lehret,
Hält nichts und alles wahr;
Erbauet und zerstöret
Und quält sich immerdar;
Schläft, wachet, wächst und zehret,
Trägt braun und graues Haar.
Und alles dieses währet,
Wenns hoch kömmt, achtzig Jahr.
Dann legt er sich zu seinen Vätern nieder,
Und kömmt nimmer wieder
Matthias Claudius (1740 – 1815), deutscher Dichter, Redakteur, Erzähler und Herausgeber des Wandsbecker Boten, Pseudonym Asmus
Archiv für den Monat Dezember 2014
Müssen wir unsere Brille ablegen?
Setzung von Gleichheit und Ungleichheit
Emil Brunner schreibt (Gerechtigkeit, Zürich: 1943, S. 52–54):
Ebensowenig als der biblische Gleichheitsgedanke die Individualität und die korporative Ergänzungsgemeinschaft aufhebt, ebensowenig hebt der biblische Individualitäts- und Korporationsgedanke die Gleichheit auf. Primär ist die in Gottes Ruf begründete unmittelbare Selbstverantwortung gegenüber Gott und die in ihr begründete Würde und Gleichheit; sekundär, aber darum nicht unwesentlich, ist die in der Bestimmung zur Gemeinschaft begründete Angewiesenheit aufeinander und ihr natürliches Substrat, die individuelle Begrenztheit und Eigenart. Primär ist darum in der christlichen Idee der Gerechtigkeit die Gleichheit und das gleiche Recht aller; sekundär, aber deshalb nicht unwesentlich, ist die Verschiedenheit dessen, das einem jeden in der Gemeinschaft zukommt.
So sieht der christliche Glaube Gleichheit und Ungleichheit der Menschen, so bestimmt er darum das Prinzip der Gerechtigkeit. Unter den Reformatoren hat wohl Calvin diesen Zusammenhang zwischen der Schöpfungsordnung und dem Gleichheit-Ungleichheitsproblem am klarsten erfasst und zur Geltung gebracht. Seine Anschauungen darüber lassen sich in den Worten eines massgebenden Calvinforschers folgendermaßen zusammenfassen: «Wohl sind die Menschen von Natur gleich … Weil sie alle dasselbe Ebenbild Gottes tragen, ist auch die aus dieser Gleichheit unmittelbar quellende Brüderlichkeit für sie eine Gabe und Aufgabe zugleich. Aber diese Brüderlichkeit berührt in keiner Weise die sozialen Unterschiede, die überlegenen Ordnungen in der Familie und in der Gesellschaft … Die unbestreitbare Gleichheit aller Menschen vor Gott, die durch das ihnen eingeprägte Gottesbild klar gekennzeichnete Gleichwertigkeit, bedeutet noch nicht Gleichartigkeit … Die Ordnung setzt die Mannigfaltigkeit und Gliederung und darum die Ungleichheit der Gaben und Aufgaben, Würden und Leistungen innerhalb des gesellschaftlichen Körpers voraus. Die Spannung zwischen der natürlichen Gleichheit und der gliedhaften Ungleichheit verliert ihre Kraft, wenn man erwägt, dass beide, Gleichheit und Ungleichheit, in dem Setzungswillen Gottes begründet sind. Gleichheit und Ungleichheit verpflichten. Die mit der Ungleichheit gegebenen Vorrechte und Würden sind nur erhöhte Rechte auf erhöhte Pflichten. Diese immer wieder eingeschärfte, das Gleichgewicht von Rechten und Pflichten darstellende Regel entspricht durchaus dem Prinzip der Wertgleichheit. Die ungleich verteilten Gaben verpflichten zu ungleichen Aufgaben und zu einem gegenseitigen Austausch der Fähigkeiten».
Nicht wesentlich anders hat Luther gedacht und gelehrt, nur dass bei ihm das Hauptgewicht auf die Unterordnung des einzelnen unter die in der Verschiedenheit begründete Ordnung fällt. Die ihr entsprechende Überordnung und Autorität aber versteht er als eine, die einzig und allein um des Dienstes an der Gemeinschaft willen notwendig ist. «Alle Stände zielen dahin, dass einer dem anderen dient.» Die Obrigkeit hat keine andere raison d’être als allein die «den Untertanen fleissig zu helfen». «Der Hausvater allein dient im Hause; die Hausmutter allein ist die Magd. Der einzige, der im Staat untertan ist, ist die Obrigkeit. Der, der befiehlt, ist der servus servorum».
Das also ist die christliche Antwort auf die Frage, die in der formalen Gerechtigkeitslehre des Aristoteles offen bleibt und offen bleiben muss: Was der Grund der Gleichheit und der Ungleichheit, welches das Verhältnis beider zueinander, und was also das Prinzip der Gerechtigkeit sei. Die christliche Offenbarungsreligion ist die einzige, die diese Idee der Gerechtigkeit in sich trägt, die mit der Anerkennung der gleichen, unbedingten Personwürde die Anerkennung der Gemeinschaftsverantwortlichkeit als Pflicht und Recht gegenseitiger Abhängigkeit und Dienstbarkeit verbindet, die einzige, die ebenso sehr die Gleichheit wie die Ungleichheit der Menschen zur Geltung bringt und die Selbständigkeit des einzelnen zugleich mit seiner Unterordnung unter ein soziales Ganzes im Gotteswillen verankert weiss. Sie allein vermag darum den Menschen vor den Ansprüchen eines einseitigen Individualismus wie eines einseitigen Kollektivismus zu schützen. http://theoblog.de/setzung-von-gleichheit-und-ungleichheit/24452/
‘Ich steh’ an deiner Krippen hier’
So schreibt Dietrich Bonhoeffer aus dem Gefängnis in Tegel über das Weihnachtslied ‘Ich steh’ an deiner Krippen hier’: “Ich hatte mir bisher nicht viel daraus gemacht. Man muss wohl lange allein sein und es meditierend lesen, um es aufnehmen zu können. Es ist in jedem Worte ganz außerordentlich gefüllt und schön. Ein klein wenig mönchisch-mystisch ist es, aber doch gerade nur soviel, wie es berechtigt ist; es gibt eben neben dem Wir doch auch das Ich und Christus, und was das bedeutet, kann gar nicht besser gesagt werden, als in diesem Lied.” (in: Widerstand und Ergebung)
Weihnachten in der Gefängniszelle
Dietrich Bonhoeffer wurde am 5. April 1943 verhaftet und in Berliner Gefängnissen festgehalten, bis man ihn am 9. April 1945 im Konzentrationslager Flossenburg umgebrachte. Zu seinem ersten Weihnachtsfest im Gefängnis schrieb er am 17. Dezember 1943 aus der Zelle:
Vom Christlichen her gesehen, kann ein Weihnachten in der Gefängniszelle ja kein besonderes Problem sein. Wahrscheinlich wird in diesem Hause hier von Vielen ein sinnvolleres und echteres Weihnachten gefeiert werden als dort, wo man nur noch den Namen dieses Festes hat. Daß Elend, Leid, Armut, Einsamkeit, Hilflosigkeit und Schuld vor den Augen Gottes etwas ganz anderes bedeuten als im Urteil der Menschen, daß Gott sich gerade dorthin wendet, wo die Menschen sich abzuwenden pflegen, daß Christus im
Stall geboren wurde, weil er sonst keinen Raum in der Herberge fand — das begreift ein Gefangener besser als ein anderer und das ist für ihn wirklich eine frohe Botschaft, und indem er das glaubt, weiß er sich in die alle räumlichen und zeitlichen Grenzen sprengende Gemeinschaft der Christenheit hineingestellt und die Gefängnismonate verlieren ihre Bedeutung.
Ich werde am Heiligen Abend sehr an Euch alle denken, und ich möchte gern, daß Ihr glaubt, daß auch ich ein paar wirklich schöne Stunden haben werde und mich die Trübsal bestimmt nicht übermannt …http://theoblog.de/weihnachten-in-der-gefaengniszelle/24450
Der „Spiegel“ liefert zum Spekulatius wilde Spekulationen und Antisemitismus.
Alle Jahre wieder kommt der Spiegel mit einer reißerischen Titelstory daher, die den Glauben an die Bibel in seinen Grundfesten erschüttern soll. Thema diesmal: „Die Geburt Gottes. Archäologen entdecken den Ursprung der Bibel.“
Nach der Lektüre heute Abend bin ich fast schon ein bisschen enttäuscht über die schlechten Argumente. Jahweh soll ein Vulkangötze gewesen sein, denn in Exodus 19 steht „Der Rauch stieg vom Berg auf wie Rauch aus einem Schmelzofen. Der ganze Berg bebte gewaltig.“ Und weil auch Margot Käßmann diese Kratertheorie unterstütz, findet auch der Spiegel sie ganz plausibel.
Es geht dann weiter mit einem Rundumschlag gegen die Glaubwürdigkeit des Alten Testaments: Abrahams Kamele seien ein Anachronismus, die Goliat-Geschichte hätte ihren letzten Schliff um Christi Geburt bekommen. Dass es viele Archäologen und Alttestamentler gibt, die das anders sehen, erwähnt der Autor freilich nicht.
Widerlich wird es, als er von „Josuas Blitzkrieg“ redet. Ein deutscher Autor verwendet hier einen Begriff aus dem Wortschatz der Nationalsozialisten, um jüdische Geschichte zu beurteilen. Er relativiert damit nicht nur Vernichtungskrieg und Holocaust, sondern versucht indirekt eine Rechnung zu begleichen. Der dunkelsten Epoche der deutschen Geschichte stellt er eine vermeintliche ebenso große Schuld auf jüdischer Seite gegenüber.
Forscher, die anderer Meinung sind, sogenannte „Maximalisten“, werden von ihm als „Vertreter der alten Schule“ bezeichnet, die in den USA noch „vereinzelt anzutreffen“ seien. „Mehr noch in Israel. Dort arbeiten Maximalisten oft eng mit der Siedlerbewegung zusammen.“ Weil die Wissenschaftler also aus den USA und Israel stammen (anscheinend „die Bösen“ im Weltbild des Autors), soll das nicht glaubwürdig sein. Fakt ist aber: Die meisten Maximalisten kommen aus Großbritannien.
Die Berichte über die Urväter Israels seien Wunschdenken, die Philister seien nämlich viel stärker gewesen als die Bibel es behauptet. „Der Feind stahl sogar die Bundeslade“. Dem Spiegel-Autor scheint nicht bekannt zu sein, dass die Bibel dieses Ereignis nicht verschweigt und sowohl in 1. Samuel als auch in 1. Chronik erwähnt. Überhaupt erwähnen die Heiligen Schriften der Juden schonungslos und offen die Niederlagen und Sünden des eigen Volkes, das unterscheidet die Bibel von der Geschichtsschreibung der meisten anderen Kulturen.
Der Spiegel aber lässt an König David kein einziges gutes Haar und greift in die unterste Schublade. Er sei ein „Räuber Hotzenplotz“ gewesen. Es gibt zwar eine Stele, die ein „Haus Davids“ erwähnt, doch der Spiegel sieht ihn trotzdem nicht als Kronenträger, sondern als „Strauchdieb“. Man fragt sich, warum dann eine Stele seinen Namen trägt. Danach wird der Alttestamentler Ernst Axel Knauf zitiert, der ihn einen „Banditen und Serienmörder“ nennt, „dem es auf eine Leiche mehr oder weniger nicht ankam.“ Hier wird sich über den Inhalt der Psalmen und den biblischen Berichten über Davids Milde und seine Liebe für die Schwachen und Benachteiligten hinweggesetzt. Die schriftlichen Quellen werden also einfach übergangen. Für die Minimalisten zählen nur archäologische Funde, die Bibel lesen sie mit einer Hermeneutik des Verdachts: Sie ist ein religiöses Buch, also stellt man die Berichte grundsätzlich erst einmal in Frage. Diese versuchte Dekonstruktion von König David wirkt maßlos übertrieben und tendenziös.
Der Spiegel will zu Weihnachten den deutschen Lesern die Geburt Gottes erklären und liefert zum Spekulatius wilde Spekulationen und Antisemitismus. Conrad
http://www.ohnegottistallessinnlos.de/blog/2014/12/der-spiegel-liefert-zum-spekulatius-wilde/
Postmoderne ade
Der Witz ist dass der Postmodernismus eigentlich schon tot ist, aber die Frommen graben ihn wieder aus. Das war auch mit dem Rationalismus so, dem das unerklärliche Auftreten Napoléons den Todesstoss gab, aber der theologische Vulgärrationalismus lebte noch Jahrzehnte weiter. Wann werden wieder Christen Ideenschmiede?
Das unspektakuläre Leben
Die Werbung suggeriert andauernd: Du musst ein Radikaler, Ausgefallener, Spannender, Außergewöhnlicher sein! Sonst lebst du am Leben vorbei. Je länger ich über diese Metabotschaft nachdenke, desto weniger kann ich ihr beipflichten: Kein Radikaler möchte ich sein, sondern einer, der vor Gott lebt, und das im Alltag! Es muss nicht immer verrückter, schräger, ausgefallener werden. http://hanniel.ch/2014/12/13/rueckblick-2014-7-einsichten
Auch der Atheist muss vertrauen können
Auch der Atheist muss vertrauen können, einen doppelten Boden hat er dafür nicht. Er muss auf seine Sinne vertrauen und kann das Wahrgenommene nicht andauernd infrage stellen. Darum geht es letztlich jedem Menschen, ob Atheist, Esoteriker, Christ, ob Maschinenbauer, Chemiker, Webdesigner oder Bäcker: um die Hoffnung auf die für ihn ideale Ordnung. Um die Geborgenheit im Diesseits. Um das Heil in Gemeinschaft. Um den Rausch der spirituellen Erfahrung. Im Vertrauen versichert sich das Individuum seiner selbst. Wer glaubt, hofft. Wer hofft, vertraut. Und wer vertrauen kann – lebt der nicht glücklicher?
http://www.zeit.de/zeit-wissen/2013/01/Glaube-Religion-Psychologie/seite-2
Der Preis der Nachfolge
Eines Tages zogen große Menschenmengen hinter Jesus her. Vielleicht bekannten sie sich lautstark zu ihm und schworen ihm in Sprechchören Gefolgschaft. Jesus aber wusste, wie oberflächlich ihre Anhänglichkeit war. Er blieb stehen und erzählte ihnen ein Gleichnis, das sie zur Besinnung bringen sollte: »Wer ist unter euch, der einen Turm bauen will, und setzt sich nicht zuvor hin und überschlägt die Kosten, ob er genug habe, um es auszuführen? damit nicht, wenn er den Grund gelegt hat und kann’s nicht ausführen, alle die es sehen, über ihn spotten, und sagen: Dieser Mensch hat angefangen zu bauen und kann’s nicht ausführen« (Luk. 14,28-30).
Die Landschaft der Kirche ist übersät mit solchen halbfertigen Bauwerken, mit gescheiterten Existenzen, die anfingen, was sie nicht durchhalten konnten. Tausende von Menschen entschließen sich Jahr für Jahr, Christus nachzufolgen, ohne das Risiko dieses Unternehmens zu bedenken. Das Ergebnis ist eben jenes nominelle Christentum, von dem wir vorhin sprachen, das große Ärgernis in der heutigen Welt.
In Ländern, die von einer christlichen Kultur erfasst wurden, haben die Menschen in großer Zahl ein Christentum übernommen, das ihnen doch nicht unter die Haut ging. Das alte Holz ist nur mit einem christlichen Furnier überzogen worden. Es reichte aus, um in einer Gesellschaft, die nicht besser war, zu Ansehen zu kommen. Es war aber nicht genug, um diese Gesellschaft umzuwandeln. Ja, man machte es sich auf christliche Art recht gemütlich. Diesem Grundübel begegnen wir heute allerdings vor allem gerade in den »alten« Kirchen. Kein Wunder, dass unsere Kritiker von den frommen Heuchlern in der Kirche sprechen und den Glauben als eine Flucht aus der Wirklichkeit abtun.
John R. W. Stott – Grundkurs christlicher Glaube Seite 104