Spannender und bemerkenswerter Kommentar zum Tod von Königin Elisabeth II. von dem Neutestamentler N.T. Wright

Wright schreibt:
„In vielen britischen Familien endet das Weihnachtsessen regelmäßig damit, dass sich alle vor dem Fernseher versammeln, um die jährliche Botschaft der Königin an die Nation und das Commonwealth zu hören.
Vor etwa zwanzig Jahren wurde weithin berichtet, dass einige Berater Ihrer Majestät ihr vorgeschlagen hatten, dass sie angesichts der Tatsache, dass in Großbritannien viele verschiedene religiöse Traditionen beheimatet sind, den spezifisch christlichen Aspekt ihrer Botschaft herunterspielen sollte.
Die Antwort der Königin war eindeutig. An Weihnachten war sie deutlicher als je zuvor. Der Jesus, dessen Geburt wir feiern, und seine Lehre, so sagte sie, waren mein Begleiter und mein Wegweiser während meines ganzen Lebens, und mit seiner Hilfe können wir in ein neues Jahr gehen. Oder so ähnlich.
Ich erinnere mich, wie ich überrascht und erfreut auf den Fernseher starrte. Sie hatte das Evangelium vor einem Millionenpublikum gepredigt. Sie hatte die pingelige, kompromittierte politische Korrektheit der damaligen Zeit völlig in den Schatten gestellt, sowohl durch das, was sie sagte, als auch durch die Art, wie sie es sagte.
Der zweite Punkt ist ebenso wichtig wie der erste. Ihre Majestät sprach mit ruhiger, bescheidener Selbstsicherheit. Sie sprach nicht über sich selbst, sondern über den Jesus, den sie kannte und dem sie diente. Sie schätzte und würdigte die Millionen von Menschen in der ganzen Welt – Menschen aus ganz unterschiedlichen Kulturen und Traditionen -, die sich von ihr leiten ließen. Aber ihr eigener Führer war Jesus, und sie scheute sich nicht, dies zu sagen.
Und wenn wir mit Dankbarkeit auf ihr außerordentlich langes Leben und ihre Herrschaft zurückblicken, wird deutlich, was es für sie bedeutete, Jesus zu folgen. Es bedeutete keinen bombastischen Dogmatismus, der das Gesetz aufstellt. Es bedeutete Demut, Treue, unerschütterliche Hingabe, selbstloser Dienst an anderen. Sie gab sich den unterschiedlichsten Menschen hin, mit echtem Interesse und Sorge, mit Humor und Anmut. Wir sprechen manchmal von einem „langen Gehorsam in dieselbe Richtung“. Nun, wie lang ist „lang“? Reichen siebzig Jahre unerschütterlicher Hingabe aus? Ich würde sagen, ja.
Ihre persönliche Spiritualität war tief und von Herzen kommend, schnörkellos und unaufdringlich. Sie lernte Billy Graham bei einem seiner frühen Besuche im Vereinigten Königreich kennen, und es würde mich nicht überraschen, wenn er dazu beigetragen hätte, den persönlichen Glauben, den sie schon in ihren frühen Tagen hatte, in eine deutlichere Form zu bringen.
Später, in den 1970er und 1980er Jahren, war einer ihrer „Kapläne“ – Geistliche, die sie um Rat und geistliche Weisheit bat – Reverend John Stott, der vielleicht bekannteste evangelikale Führer dieser Zeit. Doch wie auch im politischen Leben hielt sich Königin Elisabeth von kirchlichen Festen und Kontroversen fern.
Reto Pelli

Die Bedeutung der Bibel

Jede Stelle der Schrift ist von unendlicher Einsicht; darum was du erkennst, mache nicht hochmütig geltend, bestreite nicht dem anderen seine Einsicht und wehre ihn nicht ab! Denn es sind Zeugnisse, und jener sieht vielleicht, was du nicht siehst – So ist immer voranzuschreiten in der Erkenntnis der Heiligen Schrift. Martin Luther

Sechs Dimensionen der Hingabe

Völlige Hingabe an Jesus Christus beinhaltet
1. eine intellektuelle Dimension
Unser Verstand ist die zentrale Festung unserer Persönlichkeit und regiert unser Leben äußerst wirksam. Jesus Christus beansprucht jedoch die Autorität über unseren Verstand. Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir, sagte er (Mt 11,29). Seine jüdischen Zuhörer haben ihn sicherlich sofort verstanden, denn sie sprachen für gewöhnlich von dem „Joch der Torah“ (dem Gesetz), deren Autorität sie sich unterstellten. Nun sprach Jesus von seinen Lehren als einem Joch. Seine Nachfolger sollen seine Schüler, seine Jünger werden, die von ihm lernen. Ohne Furcht, denn Jesus ist sanftmütig und von Herzen demütig, und darum werden sie „Ruhe“ für ihre Seelen finden. Wahre Ruhe finden wir unter dem Joch Jesu und nicht, indem wir ihm widerstehen, und echte Freiheit erleben wir nur, wenn wir uns seiner Autorität unterstellen und sie nicht ablehnen. Der Apostel Paulus schrieb später von seiner Entschlossenheit, jeden Gedanken unter den Gehorsam Christi gefangenzunehmen (1 Kor 10,5).
Wer sich als Christ heute bemüht, einfühlsam auf die Anfragen und Herausforderungen der modernen Welt zu reagieren, darf die Autorität Jesu Christi nicht über Bord werfen. Wir Jünger haben nicht die Freiheit, anderer Meinung zu sein als unser göttlicher Lehrer. Was wir in Bezug auf Gott, die Menschen, die als Mann und Frau nach dem Bild Gottes erschaffen wurden, auf Leben und Tod, Pflicht und Bestimmung, Schrift und Tradition, Erlösung und Gericht glauben, lernen wir allein von Jesus. In unseren Tagen, in denen es von wilden und unheimlichen Spekulationen nur so wimmelt, ist es notwendiger denn je, unsere rechtmäßige Position zu seinen Füßen wieder einzunehmen. „Nur die Person, die den Geboten Jesu ohne Vorbehalt folgt“, schrieb Dietrich Bonhoeffer, „und sich widerstandslos seinem Joch ­unterstellt, findet seine Last leicht und unter seinem sanften Druck erhält sie die Kraft, in der rechten Art und Weise auszuharren. Das Gebot Jesu ist hart, unglaublich hart, besonders für diejenigen, die versuchen, sich ihm zu widersetzen. Für diejenigen, die sich ihm jedoch willentlich unterordnen, ist das Joch sanft und die Last leicht.“
2. eine moralische Dimension
In der heutigen Zeit entgleiten überall um uns herum die moralischen Maßstäbe. Der Relativismus hat sich in der Welt ausgebreitet und sickert langsam auch in die Gemeinde ein. Sogar einige evangelikale Gläubige legen die Schrift, was das Gesetz betrifft, falsch aus. Sie zitieren die bekannte Aussage des Apostels Paulus, dass Christus des Gesetzes Ende ist“ (Röm 10, 4) und ihr seid nicht unter dem Gesetz (Röm 6, 14) und übersehen dabei (absichtlich?) den Kontext der beiden Aus­sagen. Sie missdeuten die beiden Verse so, als ob das Gesetz aufgehoben sei, und wir nicht länger dazu verpflichtet seien, ihm zu gehorchen, sondern vielmehr die Freiheit besäßen, ihm gegenüber ungehorsam sein zu können. Paulus meinte jedoch etwas ganz anderes. Er bezog sich auf den Weg der Erlösung und nicht auf den Weg der ­Heiligung. Er betonte, dass wir uns für unsere Annahme bei Gott „nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade“ befinden, da wir allein aus Glauben gerechtfertigt sind und nicht durch Werke. Wir unterstehen jedoch immer noch dem ­moralischen Gesetz, was unsere Heiligung betrifft. Martin Luther pflegte zu sagen, dass uns das Gesetz zu Christus treibt, um gerechtfertigt zu werden, Christus uns aber an das Gesetz zurückverweist, um geheiligt zu werden.
Der Apostel Paulus betont, dass sowohl das Versöhnungswerk Christi als auch die innewohnende Gegenwart des Geistes dazu dienen, dass wir dem Gesetz gehorchen. Warum sandte Gott seinen Sohn, um für uns zu sterben? Die Antwort lautet: Damit die Rechtsforderung des Gesetzes erfüllt wird in uns, die wir … nach dem Geist wandeln (Röm 8,34). Und warum hat Gott uns seinen Geist gegeben? Die Antwort ist, um sein Gesetz in unsere Herzen zu schreiben (2 Kor 3,3-6). Jesus Christus fordert uns zum Gehorsam auf. Wer meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt; wer aber mich liebt, wird von meinem Vater geliebt werden; und ich werde ihn lieben und mich ihm offenbaren (Joh 14,21). Das Kriterium der Liebe ist der Gehorsam und der Lohn der Liebe ist eine Selbstoffenbarung Jesu.
3. eine Berufung
Wenn wir sagen, dass Jesus der Herr ist, verpflichten wir uns zu einem lebenslangen Dienst. Dabei ist der Dienst eines Pastors lediglich einer von vielen Diensten, die es gibt. Alle sind zu ­einem Dienst (diakonia) berufen, weil wir Nachfolger dessen sind, der Knechtsgestalt angenommen hat (Phil 2,7), der betonte, dass er nicht gekommen war, um bedient zu werden, sondern um zu dienen (Mk 10,45) und der hinzufügte: Ich aber bin in eurer Mitte wie der Dienende (Lk 22,27). Wenn wir behaupten, Jesus nachzufolgen, dann ist es geradezu undenkbar, dass wir unser Leben mit etwas anderem als dem Dienen zubringen. Das bedeutet, dass wir lernen müssen, unseren Beruf als Dienst anzusehen. Unsere tägliche Arbeit soll ein bedeutender Bereich sein, in welchem Jesus seine Herrschaft über uns ausübt. Dann können wir sagen, dass wir von Herzen als dem Herrn und nicht für Menschen arbeiten, da wir dem Herrn Christus dienen (Kol 3,23.24).
4. eine soziale Dimension
Dies bedeutet zunächst, dass die Nachfolger Jesu sowohl soziale als auch individuelle Verantwortungen gegenüber ihrer Familie, der Firma, ihrer Nachbarschaft, ihrem Land und der Welt haben. Das Bekenntnis „Jesus ist Herr“ bedeutet auch, dass wir ihn als Herrn über die Gesellschaft anerkennen, sogar über die Teile der Gesellschaft, die seine Herrschaft nicht anerkennen. Denken wir einmal über die Spannung nach, die uns das Neue Testament vor Augen malt. Auf der einen Seite wird uns gesagt, dass Jesus der Herr ist. Er hat die Fürstentümer und Mächte entthront und entwaffnet, indem er am Kreuz über sie triumphierte (Kol 2,15). Gott hat ihn zu seiner Rechten erhöht und alles seinen Füßen unterworfen (Eph 1,20-22). Daraus folgt mit Recht sein Anspruch, dass ihm alle Macht gegeben wurde (Mt 28,18).
Auf der anderen Seite müssen wir aber immer noch gegen die Fürsten und Mächte der Finsternis kämpfen. Sie sind besiegt und sogar ihrer Macht beraubt, aber dennoch aktiv, skrupellos und einflussreich (vgl. Eph 6,11-18). Der Apostel Johannes geht ­sogar so weit, dass er sagt, dass die ganze Welt in dem Bösen liegt (1 Joh 5,19).
Wie können wir diese beiden Aussagen miteinander in Einklang bringen? Ist Jesus der Herr oder ist es Satan? Regiert Jesus über seine Feinde, oder wartet er darauf, dass sie kapitulieren? Die einzig mögliche Antwort auf diese Fragen lautet: beides. Wir müssen zwischen dem unterscheiden, was de jure (rechtmäßig) und was de facto (tatsächlich) ist. De jure ist Jesus der Herr, da Gott ihn auf den höchsten Platz erhoben hat. De facto regiert jedoch Satan, da er sich bisher noch nicht geschlagen gibt, noch nicht endgültig vernichtet ist.
Wie wirkt sich diese Spannung auf unsere Jüngerschaft aus? Weil Jesus – Kraft der göttlichen Ernennung – rechtmäßiger Herr ist, können wir keine Situation dulden, in der diese Tatsache verleugnet wird. Wir setzen uns dafür ein, dass sich seine Werte auch in einer Gesellschaft, welche seine Herrschaft nicht anerkennt, ausbreiten; dass die Rechte des Menschen und die Würde aller Menschen, egal welcher Rasse oder Religion sie auch angehören, gewahrt, dass Frauen und Kindern Ehre erwiesen, dass Gerechtigkeit für die Unterdrückten sichergestellt und dass die Gesellschaft gerechter, mitfühlender, friedfertiger und freier wird.
Warum kümmern wir uns um diese Angelegenheiten? Weil Jesus der rechtmäßige Herr der ­Gesellschaft ist, und weil er sich um sie kümmert. Wir wollen die Wahrheit, dass Jesus der Herr der Gesellschaft ist, ernstnehmen und uns daher darum bemühen, sie ihm wohlgefälliger zu machen.
Abraham Kuyper, der spätere Ministerpräsident der Niederlande, sagte während seiner Einführungsrede bei der Eröffnung der Freien Universität von Amsterdam im Jahre 1880: „Es gibt nicht einen einzigen Zentimeter in sämtlichen ­Bereichen des menschlichen Lebens, über den Christus, welcher der Souverän ist, nicht sein ‚Mein‘ ausruft.“
5. eine politische Dimension
Wir müssen uns daran erinnern, dass Jesus sowohl für ein politisches, als auch für ein religiöses Vergehen verurteilt worden war. Vor dem jüdischen Gericht wurde er der Blasphemie für schuldig befunden, da er sich selbst als Sohn Gottes ­bezeichnet hatte. Vor dem römischen Gericht wurde er wegen Volksaufwiegelung verurteilt, weil er sich selbst als König bezeichnet – also durchaus eine politische Aussage machte – und Rom keinen König außer Caesar anerkannte. ­Seine Aufforderung Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist (Mk 12, 17), mag bewusst zweideutig gewesen sein. Sie beinhaltet jedoch auch, dass es Bereiche gibt, über die Gott der Herr ist und in die sich Caesar nicht einmischen darf.
Die ersten Christen sahen sich einem anhaltenden Konflikt zwischen Christus und Caesar gegenüber. Während des ersten Jahrhunderts legten die Kaiser einen zunehmenden Größenwahn an den Tag. Sie ließen Tempel zu ihren Ehren errichten und forderten göttliche Huldigung von ihren Unter­tanen. Diese Inanspruchnahme führte zwangsläufig zum direkten Widerspruch mit der Herrschaft Christi, den die Christen als König (Apg 17,7), ja sogar als Fürsten der Könige der Erde (Offb 1,5) verehrten. Pliny, der Anfang des zweiten Jahrhunderts Stadthalter von Byzanz war, schrieb in einem Brief an Kaiser Trajan, wie er die Christen, die er der Untreue verdächtigte, vor ­Gericht gebracht und nur zwei von ihnen freiließ, da sie ihm die Anrufung des Standbildes des Kaisers mit Wein und Weihrauch angeboten hatten. Wie konnten die Gläubigen jedoch sagen, dass „Caesar der Herr ist“, wenn sie vorher bereits bekannt hatten, dass „Jesus der Herr ist“? Sie gingen lieber ins Gefängnis und in den Tod, als die Herrschaft Christi zu leugnen.
Die Vergötterung des Staates endete nicht mit dem römischen Reich. Auch heute gibt es totalitäre Systeme, die bedingungslose Ergebenheit fordern, eine Ergebenheit, die ihnen Christen unmöglich entgegenbringen können. Die Jünger Jesu sollen den Staat respektieren, sie werden ihn jedoch weder anbeten, noch ihm die unkritische Unterstützung, die er begehrt, gewähren. Daraus folgt, dass Jüngerschaft manchmal auch Ungehorsam fordert. Tatsächlich handelt es sich bei dem zivilen Ungehorsam um eine biblische Lehre, da es in der Schrift bemerkenswerte Beispiele dafür gibt (2 Mose 1,15-17; 5 Mose 3 und 6; Apg 4,19; 5,29). Dieser Ungehorsam ist die logische Folge der Tatsache, dass Jesus der Herr ist. Das Prinzip ist klar, obwohl seine Anwendung Gewissens­qualen hervorrufen kann. Wir sollen uns dem Staat unterordnen, da er seine Autorität von Gott erhalten hat und seine Beamten Gottes Diener sind (vgl. Röm 13,1-7), jedoch nur bis zu dem Punkt, an dem der Gehorsam dem Staat gegenüber den Ungehorsam Gott gegenüber zur Folge haben würde. Wenn der Staat seine gottgegebene Autorität missbraucht und sich anmaßt, etwas anzuordnen, was Gott verboten hat, oder etwas zu verbieten, was Gott ausdrücklich geboten hat, dann müssen wir dem Staat gegenüber „nein“ sagen, damit wir „ja“ zu Christus sagen können. Petrus sagt: Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen (Apg 5,29), und Calvin formulierte: „Gehorsam gegenüber Menschen darf nicht zum Ungehorsam gegenüber Gott werden.“
Lassen Sie mich noch ein Beispiel aus Südafrika erwähnen. Hendrik Verwoerd, der 1957 Minister für Eingeborenenfragen war, kündigte damals den „Zusatzantrag zur Verfassung bezüglich der ­Eingeborenengesetze“ an, dessen „Kirchenordnung“ jeglichen Umgang zwischen den verschiedenen Rassen in „Kirchen, Schulen, Kranken­häusern, Clubs und irgendwelchen anderen Institutionen oder Vergnügungsstätten“ verhindert hätte. Der Erzbischof von Cape Town war zu jener Zeit ein freundlicher Gelehrter mit Namen Geoffrey Clayton. Er und seine Bischöfe beschlossen, obgleich nur ungern und mit Zögern, diesem Gesetz nicht zu gehorchen. Clayton schrieb einen Brief an den Ministerpräsidenten, um ihm mitzuteilen, dass er sich im Falle der Verabschiedung des Gesetzesentwurfes „weder in der Lage sieht, ihm gegenüber gehorsam zu sein, noch seiner Geistlichkeit oder der Bevölkerung zu empfehlen, dies zu tun“. Am folgenden Morgen verstarb er – vielleicht sogar an dem Kummer und den Strapazen seines angedrohten zivilen Ungehorsams. Nachdem der Gesetzesentwurf zum Nachteil der schwarzen Gläubigen ergänzt worden war, wurde in allen anglikanischen Kirchen ein Brief verlesen, der sowohl die Geistlichkeit als auch das Volk zum Ungehorsam aufrief.
6. eine globale Dimension
Das Bekenntnis „Jesus ist Herr“ beinhaltet die Anerkennung seiner universalen Herrschaft. Gott hat Jesus über alle Maßen erhöht (Phil 2,9), wie wir das griechische Wort hyperypsoō, das nur an dieser Stelle im Neuen Testament vorkommt und vielleicht sogar von Paulus geprägt wurde, am ­besten wiedergeben sollten. Es bedeutet, dass Gott ihn „auf die erhabenste Höhe“ erhoben hat. Die Absicht Gottes ist, dass jedes Knie sich vor ihm beugen und jede Zunge ihn als Herrn bekennen soll. Wir dürfen keinesfalls das wiederholte Wort „jede“ in irgendeiner Weise einschränken oder eingrenzen. Wenn es Gottes Wunsch ist, dass ­jeder Mensch Jesus erkennt, dann soll das auch unser Wunsch sein. Hindus sprechen vom „Herrn Krischna“ und Buddhisten vom „Herrn Buddha“, aber wir können diese Behauptung nicht akzeptieren. Allein Jesus ist der Herr. Er hat keine Rivalen.
Es gibt keinen größeren Ansporn für die Welt­mission als die Herrschaft Jesu Christi. Mission ist dabei weder eine unverschämte Einmischung in die Privatsphäre anderer Leute noch eine belanglose Angelegenheit, die einfach außer acht gelassen werden könnte, sondern eine unausweichliche Schlussfolgerung, die aus der universalen Herrschaft Jesu Christi resultiert. Das kurze Bekenntnis Kyrios Jesous, Jesus ist Herr, hörte sich zu Beginn recht harmlos an, aber es weist in seiner Bedeutung weitreichende Verzweigungen auf. Es drückt unsere Überzeugung aus, dass Jesus Gott und Erlöser ist, und weist uns auch auf unsere Hingabe an ihn hin.
Die verschiedenen Dimensionen dieser Hingabe sind intellektuell (indem wir unseren Verstand unter das Joch Christi stellen), moralisch (indem wir seine Maßstäbe akzeptieren und seinen Geboten gehorchen), haben mit Berufung zu tun (indem wir unser Leben für Gott einsetzen), sind sozial (indem wir darauf bedacht sind, die Gesellschaft mit seinen Werten zu durchdringen), politisch (indem wir es ablehnen, irgendeine menschliche Institution zu vergöttern) und global (indem wir für die Ehre und Herrlichkeit seines Namens eifern). Von John Stott

(1921-2011), britischer Theologe und Pfarrer der Anglikanischen Kirche. Er gehörte zur evangelikalen Bewegung und war maßgeblich an der Ausarbeitung der Lausanner Verpflichtung zur Weltevangelisation im Jahre 1974 beteiligt.
https://www.ojc.de/brennpunkt-seelsorge/2019/hingabe-freiwillig-willen/hingabe-freiwillig-willen1/

Wo waren Sie?

Als Chruschtschow in seiner berühmten Rede die Stalin-Ära brandmarkte, soll jemand in der Kongreßhalle gesagt haben: »Wo waren Sie, Genosse Chruschtschow, als alle diese unschuldigen Menschen hingeschlachtet wurden?« Chruschtschow hielt inne, blickte sich in der Halle um und sagte: »Würde derjenige bitte aufstehen, der das gesagt hat!« In der Halle wuchs die Spannung. Niemand stand auf. Dann sagte Chruschtschow: »Nun, das ist die Antwort, wer Sie auch immer sein mögen. Ich war damals in genau der gleichen Lage wie Sie jetzt.«
Hoffsümmer, Willi: Kurzgeschichten 3. Beispiel 84.

Der Unterschied zwischen Menschlichen und göttlichen Zorn

Menschlicher Zorn ist meist launenhaft und hemmungslos; göttlicher Zorn ist immer
prinzipientreu und beherrscht. Unser Zorn zeigt sich of in krampfartigen Ausbrüchen,
angestachelt durch Ärger und auf Rache aus; Gottes Zorn ist eine beständige, entschiedene Gegnerschaft, die sich nur am Bösen entzündet und sich in dessen Verdammung ausdrückt.
Gott ist vollkommen frei von persönlicher Animosität oder Rachelust … Gottes Heiligkeit und Zorn können nicht mit der Sünde koexistieren. Gottes Heiligkeit entlarvt die Sünde; Gottes Zorn tritt ihr entgegen. Somit kann die Sünde Gott nicht nähern, und Gott kann die Sünde nicht tolerieren. John Stott

GOTT IN SEINER EINHEIT UND DREIEINIGKEIT

Wir glauben und lehren, dass Gott Einer sei nach Wesen und Natur, dass er durch sich selbst bestehe und in allem sich selbst genüge, dass er der unsichtbare, unkörperliche, unendliche, ewige, der Schöpfer aller sichtbaren und unsichtbaren Dinge sei, das höchste Gut, der Lebendige, der alles ins Leben ruft und erhält, allmächtig und allweise, gütig oder auch barmherzig, gerecht und wahrhaftig. Wir verabscheuen aber die Vielgötterei, da ausdrücklich geschrieben steht: „Der Herr, unser Gott, ist ein Herr“ (5. Mose 6,4). „Ich bin der Herr, dein Gott … du sollst keine andern Götter neben mir haben“ (2. Mose 20,3). „Ich bin der Herr, und keiner sonst“ (Jes. 45,5 und 18). „Bin nicht ich es, der Herr? und es ist keiner sonst, kein Gott außer mir, ein wahrhaftiger, rettender Gott ist nicht neben mir!“ (Jes. 45,21). „Der Herr, der Herr – ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig und reich an Huld und Treue“ (2. Mose 34,6). Nichtsdestoweniger glauben und lehren wir, dass dieser unendliche, eine und unzerteilte Gott unzertrennt und unvermischt unterschieden sei in Personen: Vater, Sohn und Heiliger Geist, derart, dass der Vater den Sohn von Ewigkeit gezeugt habe, der Sohn durch unbeschreibbare Geburt geboren sei, der Heilige Geist aber von beiden ausgehe, und zwar von Ewigkeit, und mit beiden angebetet werden müsse. So sind denn zwar nicht drei Götter, sondern drei wesensgleiche Personen, gleich ewig, einander eben gleich und doch ihrem Stande nach unter-schieden, der Ordnung gemäß einer dem andern vorgehend, jedoch ohne Ungleichheit. Nach Natur oder Wesen sind sie nämlich miteinander so verbunden, dass nur ein einziger Gott ist und das göttliche Wesen dem Vater, dem Sohne und dem Heiligen Geiste gemeinsam ist. Die Unterscheidung der drei Personen hat uns nämlich die Schrift deutlich überliefert, indem der Engel unter anderem zu der göttlichen Jungfrau spricht: „Der Heilige Geist wird über dich kommen und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das gezeugt wird, Sohn Gottes genannt werden“ (Luk. 1,35). Aber auch bei der Taufe Christi hörte man eine Stimme, die vom Himmel herab auf Jesus kam, die sprach: „Dies ist mein geliebter Sohn“ (Mt. 3,17). Es erschien aber auch der Heilige Geist in Gestalt einer Taube (Joh. 1,32). Und als der Herr selbst den Taufbefehl gab, befahl er zu taufen „auf den Namen des Vater, des Sohnes und des Heiligen Geistes“ (Mt. 28,19). Desgleichen hat er anderswo im Evangelium gesagt: „Der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird…“ (Joh. 14,26). Ebenso spricht er wiederum: „Wenn der Beistand kommt, den ich euch vom Vater her senden werde, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, so wird der von mir zeugen“ (Joh. 15,26). Kurz, wir nehmen das Bekenntnis der Apostel an, das uns den wahren Glauben überliefert. Wir verwerfen deshalb die Ansichten der Juden und Mohammedaner und aller, die diese hochheilige und anbetungswürdige Dreieinigkeit lästern. Wir verwerfen ebenso alle Irrlehren und Irrlehrer, die lehren, der Sohn und der Heilige Geist seien nur dem Namen nach Gott, oder in der Dreieinigkeit sei ein Erschaffenes und Dienendes, oder eines dem andern untertan, oder es sei darin Ungleiches, Größeres und Kleineres, Leibliches oder leiblich Nachgebildetes, nach Sitten und Willen Verschiedenes, oder dann Vermischtes oder Einzelstehendes, oder dass der Sohn und der Heilige Geist nur andere Zustände oder besondere Erscheinungsformen des einen Gottvaters seien, wie die Monarchianer geglaubt haben, oder die Noetianer, wie Praxeas, die Patripassianer, wie Sabellius, Samo-satenus, Aetius und Macedonius, die Anthropomorphiten und schließlich wie Arius und andere dergleichen. Heinrich Bullinger über den dreieinigen Gott.
Das Zweite Helvetische Bekenntnis (Confessio Helvetica Posterior 1566)
https://www.evangelischer-glaube.de/stimmen-der-v%C3%A4ter/bullinger-gott/

Wissen ist Macht

„Es kann sein, und dafür hat die Gemeinde ein sehr genaues Gespür. dass die Theologie einen eitel macht und so etwas wie gnostische Hybris in einem entzündet. Das liegt vor allem daran, dass Wahrheit und Liebe bei uns Menschen selten vereinigt sind. Man kann auch genau sagen, warum: Die Wahrheit verführt uns sehr leicht zu einer Art Besitzerfreude. Ich habe das und das eingesehen, gelernt, verstanden. Wissen ist Macht. Ich bin also mehr als der andere, der dies und das nicht weiß. Ich habe größere Möglichkeiten und auch größere Anfechtungen. Jemand, der mit der Wahrheit zu tun hat, – und das haben wir Theologen ja -, verfällt allzu leicht der Psychologie des Besitzers. Liebe aber ist das Gegenteil des Besitzenwollens; sie ist Hingabe. Sie ist nicht Überhebung, sondern Herablassung.“ Helmut Thielicke, Kleines Exercitium für Theologen, s.21

Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (2)

Und ungefähr um drei Uhr oder, nach der Zeiteinteilung der Hebräer, um die neunte Stunde schrie Jesus laut: »Eli, Eli, lama asabthani?«, das ist: »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?« – nämlich verlassen in seiner menschlichen Natur, die ohne Trost allen ihm durch seine Henker und seine Feinde bereiteten Qualen preisgegeben war. Und er wendet sich an Gott, um nach dem Grund für dieses Verlassensein zu fragen, folglich (sieht man hieran), daß er die Sünde der Menschen in seinem unschuldigen Fleisch sühnte. Gleichwohl wird diese Sünde von den Menschen nicht richtig erkannt, und deren Greuel wird nur von Gott allein richtig erkannt. Und selbst diese Rede kann als ein Gebet verstanden werden, das Jesus an den Vater richtet, damit er des Endzwecks gedenke, um dessentwillen er ihn betrübt und verläßt, als wollte er sagen: »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen ? Du weißt, mein Gott, daß dies für das Heil der Welt geschieht, laß also die Frucht dieses Opfers dem Menschengeschlecht zuteil werden, für das du sie bestimmt hast.« Und diese Worte sind voller Hoffnung und nicht voller Verzweiflung, denn er sagt ja: »Mein Gott, mein Gott!«, nun ist Gott aber nicht ein Gott der Toten und auch nicht der Verzweifelten. Blaise Pascal („Beschreibung des Lebens Jesu Christi“, in: Kleine Schriften zur Religion und Philosophie, Meiner, 208, S. 149–194, hier S. 183)

Leitsätze zum christlichen Leben

1. Christen vertrauen auf Gott, den Schöpfer allen Lebens.
Bei ihm suchen sie Wahrheit und erfülltes Leben. Ihr Glaube befähigt zu einem Leben, in dem die Hoffnung größer ist als die Angst.
2. Christen halten sich zu Jesus Christus.
Sein Leben ist Gottes Liebeserklärung an die Welt. Auch angesichts von Bedrohungen vielfältiger Art ist der christliche Glaube lebensbejahend und menschenfreundlich.
3. Christen hoffen auf Gottes lebendigen Geist.
Er bewegt und erneuert. Er macht frei. Darum treten Christen dafür ein, dass nichts Menschliches vergöttert wird – weder Rasse noch Nation, weder Fortschritt noch Erfolg, weder Leistung noch Macht noch Gewinn.
4. Christen halten daran fest, dass alle Menschen als unverwechselbare Geschöpfe Gottes geachtet werden.
Kein Mensch ist mit seinen Taten oder Untaten, mit seiner Leistung oder seinen Fehlleistungen gleichzusetzen. Das ist der Kern aller Menschlichkeit in der Gesellschaft.
5. Christen können Schuld bekennen und um Vergebung bitten. Darin gründet ihre Freiheit.
Aus dieser Freiheit fließt die Bereitschaft, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen.
6. Christen vertrauen darauf, dass Gottes Liebe sie über den Tod hinaus trägt…..
und ihrem Leben Sinn gibt, auch wenn ihr Weg durch Krisen und Leiden führt. Sie erwarten die neue Welt Gottes und mit ihr die Antwort auf ungelöste Fragen.
7. Christen wollen zur Achtung unter den Menschen, zur Gerechtigkeit und zum Frieden beitragen.
Sie setzen sich für ein gerechtes Miteinander von Frauen und Männern, von Jungen und Alten ein. Sie widersetzen sich der wachsenden Ungleichheit in der einen Welt.
8. Christen leben vom Erbarmen Gottes.
Darum treten sie für Rücksicht gegenüber Schwächeren und Recht von Fremden ein. Sie unterstützen Chancen eines Neuanfangs für die, die schuldig geworden sind oder sich verrannt haben.
9. Christen wissen sich als Teil von Gottes Schöpfung.
Sie bemühen sich, pfleglich mit ihrer natürlichen Umwelt umzugehen. Sie tragen Sorge für die Umwelt der nachfolgenden Generationen.
10. Christen sind angewiesen auf die Gemeinschaft in der Kirche.
In der Begegnung mit der christlichen Botschaft finden sie Rückhalt und Orientierung im Leben und im Sterben. Diese Botschaft weiterzusagen, sind sie beauftragt. Die Kirche bietet allen Menschen Raum für Stille und Besinnung, für Feier und Aktion, Begegnung und Dialog.
https://www.ekbo.de/glaube/10-leitsaetze.html

Nix Genaues weiß man nicht

Der Musiker Jonnes hat in einem Video-Interview ( https://www.youtube.com/watch?v=y_UtCbd3P3w) mit dem MEDIENMAGAZIN PRO darüber gesprochen, welche Rolle der Glaube in seinem Leben und in seiner Musik spielt. Dabei fällt ein Satz, der die Tragik der neuzeitlichen (und wohl auch post-evangelikalen) Theologie recht gut auf den Punkt bringt. Er sagt (ab Minute 4:55):

„Für mich ist meine Spiritualität, mein Glaube an Gott, ein pures Hoffen und Vertrauen. Weil ich kein Wissen habe. Ich weiß nix über Gott. Ich habe vier Jahre Theologie studiert und weiß nix über Gott. Aber ich glaube etwas über Gott.“

Das klingt ganz fromm. Aber es ist eben alles andere als fromm, wenn wir den Begriff „Glaube“ mit neuzeitlichen und nicht mit biblischen Verstehenskategorien füllen. Dahinter steckt nämlich die Trennung von Wissen und Glaube.

Erinnern wir uns, wie Augustinus Wissen und Glaube aufeinander bezieht. Der Glaube durchdringt nach ihm den gesamten Erkenntnisprozeß. Glaube und Vernunft sind nicht zwei logisch oder psychologisch streng zu unterscheidende Kapazitäten, sondern sie sind aufeinander bezogen.

In einer Predigt hat Augustinus seine Auflösung der dialektischen Beziehungen von Glaube und Wissen auf die Formel „crede, ut intelligas“ (dt. glaube, um erkennen zu können) gebracht. Diese Formel steht als Leitspruch über der Denktradition, die Raum schafft für eine Vernunftlehre im Rahmen des Glaubens. Die Vernunft regiert nicht den Glauben, sondern die Vernunft wird vom Glauben umschlossen. In seinem Werk Über den Lehrer schreibt Augustinus: „Was ich demnach erkenne, das glaube ich auch; aber nicht alles, was ich glaube, erkenne ich auch. Alles aber, was ich erkenne, weiß ich; nicht jedoch weiß ich alles, was ich glaube.“ Gewisse Dinge können demnach nur geglaubt werden, andere können dagegen gewusst werden. Die Denkinhalte, die gewusst werden, werden aber zugleich geglaubt. Es gilt also: Ohne Glaube kein Wissen, ohne Glaube kein Wissenserwerb, ja ohne Glaube kein Existieren (vgl. die Kind-Elternbeziehung).

So sinnvoll es also sein kann, zwischen Glaube und Wissen zu unter scheiden, so überflüssig ist die scharfe Trennung der Begriffe. Die Lösung von Augustinus lässt sich so darstellen:

Synthese Ver1 0

Im Anschluss an Kants Kritische Philosophie hat sich in der Neuzeit das Gefüge verschoben. Durch seine Leistungen setzte sich die Überzeugung durch, dass unbedingte Geltung nur Einsichten beanspruchen können, zu denen der aufgeklärte Mensch unabhängig von historischen Autoritäten aus eigener Erfahrung gelangen kann. Die bisherige Ordnung von natürlicher Theologie und offenbarter Theologie wird umgekehrt. Es geht nicht mehr – wie bei Augustinus – um Vernunft im Rahmen des Glaubens, sondern um „Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“.

Die kategorische Aufspaltung von Glauben und Wissen bei Kant veränderte das gesellschaftliche und kirchliche Leben mittelfristig auf entscheidende Weise. Die Antithese von Religion auf der einen Seite und Wissenschaft auf der anderen wurde Programm.

Kant erörtert die Frage, welche Art von Freiheit erforderlich sei, um die „Aufklärung“ voranzubringen und verlegt das wissenschaftliche Arbeiten in den öffentlichen Raum. Es bedürfe der Freiheit, „von seiner eigenen Vernunft in allen Stücken öffentlich Gebrauch zu machen“ (I. Kant, Aufklärung, S. 11). Unter öffentlichem Gebrauch versteht er „denjenigen, den jemand als Gelehrter von ihr vor dem ganzen Publikum der Leserwelt macht“(I. Kant, Aufklärung, S. 9). Der Privatgebrauch der Vernunft könne dagegen eingeschränkt sein.

„Zu dieser Aufklärung aber wird nichts erfordert als Freiheit; und zwar die unschädlichste unter allem, was nur Freiheit heißen mag, nämlich die: von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen. Nun höre ich aber von allen Seiten rufen: räsoniert nicht! Der Offizier sagt: räsoniert nicht, sondern exercirt! Der Finanzrat: räsoniert nicht, sondern bezahlt! Der Geistliche: räsoniert nicht, sondern glaubt! … Hier ist überall Einschränkung der Freiheit. Welche Einschränkung aber ist der Aufklärung hinderlich? welche nicht, sondern ihr wohl gar beförderlich? – Ich antworte: der öffentliche Gebrauch seiner Vernunft muß jederzeit frei sein, und der allein kann Aufklärung unter Menschen zu Stande bringen; der Privatgebrauch derselben aber darf öfters sehr enge eingeschränkt sein, ohne doch darum den Fortschritt der Aufklärung sonderlich zu hindern.“ (I. Kant, Aufklärung, S. 9.)

Nun dürfen wir dankbar sein, dass Kant sich für die Freiheit des Denkens eingesetzt hat. Das intellektuelle Klima litt damals sehr unter Denkverboten und Kant selbst bekam die Zensur zu spüren. Aber in der Konsequenz bedeutet diese Aufspaltung, dass sich der öffentliche Diskurs streng wissenschaftlich vor dem Forum der Vernunft zu verantworten hat, während in Fragen der Pietät ‚unvernünftige‘ Gehorsamsschritte eingefordert werden dürfen. In der Folge wissen wir nichts über Gott, sondern verlagern – wie bei Schleiermacher – den Glauben ins Gefühl oder wagen – wie bei Kierkegaard, den Sprung in den Glauben (siehe dazu: Kierkegaards Sprung).

Solche Sprünge ins „Gemüt“ oder die „Beziehung“ mögen für eine gewisse Zeit Entlastung bringen, da sie vor dem Rechenschaftsdruck gegenüber einer kritischen Wissenschaft schützen. Eine wirklich Lösung bringen sie allerdings nicht, da diese Trennung die Theologie in die Sprachlosigkeit treibt und gemäß der Heiligen Schrift Wissen und Glaube nicht voneinander zu trennen sind.

Betrachten wir das Problem einmal mit Hilfe der aus der lutherischen Orthodoxie stammenden Unterscheidung von den drei Ebenen des Glaubens. Die erste Ebene ist notitia, die Kenntnis eines Glaubensinhaltes. Natürlich hatten die ersten Christen Gemeinschaft miteinander, sie beteten und feierten das Herrenmahl. Aber ihre liebevoll gelebten Beziehungen waren getragen von einer konkreten Lehre, der sie gehorsam folgten. Sie hielten fest an der Lehre der Apostel. Der griechische Begriff didache, den Lukas in Apg 2,42 verwendet, steht schon in der Apostelgeschichte und eindeutig in den Pastoralbriefen (vgl. z. B. 2Tim 4,2–3 u. Tit 1,9) für eine Lehrüberlieferung mit bewertbaren Inhalten.

Wir können solche Inhalte auch Propositionen nennen. Propositionen sind Objekte mentaler Aktivitäten wie Wollen, Glauben oder Hoffen. Sätze oder Aussagen mit propositionalem Gehalt sind prüfbar, können wahr oder falsch sein. Die Apostel unterschieden zwischen wahren und falschen Glaubensinhalten, zwischen ungesunden Lehren und der heilsamen Lehre (vgl. Röm 16,17). Eine falsche Lehre steht im Widerspruch zu dem, was Gott denkt und offenbart hat. Die Apostel verkündigten die Lehre des Christus (2Joh 10), die scharf gegenüber fremden Lehren abgegrenzt werden kann (vgl. Hebr 13,9). Sie waren beispielsweise davon überzeugt, dass der Gott, dem sie sich anvertraut haben, nicht lügt (vgl. Tit 1,2 u. Hebr 6,18) oder Jesus Christus im Fleisch gekommen ist (1Joh 4,2; 2Joh 7). Menschen, die diese Propositionen ablehnten, waren in ihren Augen falsche Propheten.

Die zweite Ebene des Glaubens ist assensus, die Bejahung oder Annahme bestimmter Inhalte. Jemand, der einem Sachverhalt zustimmt, bekundet sein Interesse und Einverständnis mit dem, was er sachlich wahrgenommen hat. Stellen wir uns vor, wir interessierten uns für die Frage, ob Jesus Christus tatsächlich gelebt habe. Wir würden kritische und apologetische Bücher studieren, die sich mit der Frage des historischen Jesus befassen. Irgendwann formulierten wir dann ein Ergebnis unserer Untersuchungen. Das, was wir als Resultat unserer Bemühungen präsentierten, und sei es das zurückhaltende Bekenntnis „Wir können nichts Genaues dazu sagen!“, fände unsere Zustimmung. Wir hielten das, was wir ausgearbeitet hätten, für annehmbar und vertrauenswürdig.

Drei Ebenen des Glaubens

Die dritte Ebene, fiducia, ist schließlich das Gottvertrauen, der persönlich gelebte Glaube.

Keine der drei Ebenen des Glaubens darf fehlen. „Man kann Gott nicht anerkennen (= assensus), ohne ihn zu kennen (= notitia). Man kann Gott nicht vertrauen (= fiducia), ohne ihn anzuerkennen (= assensus). Oder man könnte auch sagen: Das (Gott)Gehören (= fiducia) setzt ein Gehorchen (= assensus), das Gehorchen ein Anhören (= notitia) voraus“ (H.G. Pöhlmann, Abriss der Dogmatik, 1985, S. 85). Der Gläubige soll nicht glauben, weil er Ungewusstes und Unverstandenes auf die Autorität der Kirche hin glaubt, sondern weil er sich darüber klar ist, woran er glaubt.

Selbstredend können wir über Gott nur insofern etwas wissen, so er sich uns Menschen offenbart. Wir werden ihn auch nicht erschöpfend verstehen. Aber die neuzeitliche Skepsis im Blick auf Glaubensdinge ist ganz und gar unangebracht, da Gott sich ja verbindlich offenbart hat. Die Skepsis entkernt nicht nur den Glauben, sie beraubt ihn auch der Fähigkeit, Geister zu unterscheiden.

Ich will zum Schluss noch an Paulus erinnern. Im Zweiten Timotheusbrief beschreibt er, dass er als Verkündiger, Apostel und Lehrer des Evangeliums eingesetzt worden ist. Aus diesem Grund hatte er allerlei Schwierigkeiten zu ertragen. So haben sich etwa viele enge Mitarbeiter von ihm abgewandt (vgl. 2Tim 1,15) oder so musste er im Gefängnis in Ketten liegen. Warum hat der Apostel das ohne Scham ertragen können? Weil er wusste, an wen er glaubt (2Tim 1,12; Griech. oida)! Er kannte Gott und er war sich sicher, dass dieser Gott hält, was er verspricht. Seine Hoffnung hatte nämlich einen vernünftigen Grund.
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