Bischöfin Margot Käßmann mußte sich sehr wundern

„Bischöfin Margot Käßmann mußte sich sehr wundern. Nach Ereignissen wie denen an der Berliner Rütli-Schule, so liest man in einem Beitrag des Evangelischen Pressedienstes auf der Internetseite der Landeskirche Hannovers, werde regelmäßig der Ruf nach Werten laut. Wenn sich die Kirchen, so die Bischöfin, dann aber als Anbieter auf dem Markt der Werte präsentierten, sei die Angst groß, daß christliche Werte oktroyiert würden. …

Das Christentum bleibt sperrig, zweitausend Jahre alt, unverständlich, geheimnisvoll und in Teilen schwer genießbar. Man stelle sich eine Karikatur vor, auf der Jesus am Kreuz zu sehen ist. Auf der Tafel zu seinen Häupten wäre anstelle der bekannten Inschrift folgender Werbespruch zu lesen: „Niederschwelliges Werte-Angebot, heute besonders günstig!“ Gäbe es Proteste gegen diese Blasphemie, sie wären ein hoffnungsfroh stimmendes Lebenszeichen.“

Text: F.A.Z., 24.04.2006, Nr. 95 / Seite 35
http://homepage.mac.com/evang_bischofshofen/gemeinde/page43/page29

Frömmigkeit als Leistungssport

„… Frömmigkeit als Leistungssport: Wer ohne das Vorzeichen „Jesus von Nazareth“ und ohne den Ruf „Selig seid Ihr“ die Bergpredigt liest und auffordert, sie in die Tat umzusetzen, ist ein versponnener, unbarmherziger Utopist. Fromm sein ohne den Vater, hoffen ohne den Sohn, heilig werden ohne den Geist, das ist es, was Menschen zugrunde richtet.

Das offizielle Christentum

Das offizielle Christentum ist von einer ‚heißen‘ Religion zu einem ‚kalten‘ Religionsprojekt geworden. Erlösung ist das heiße Herzstück solcher Religion, wie sie das Christentum gewesen ist. Sie ist mit ihrem Selbstverständnis keine Einrichtung zur Stabilisierung gesellschaftlicher Ordnungen. Das Christentum war einmal in diesem Sinne ‚heiß‘: ekstatisch und apokalyptisch. Das ist vorbei. Aus dem Christentum ist weitestgehend das kalte Projekt der Zivilreligion geworden; spiritueller Flankenschutz bei der Bewältigung innerweltlicher Probleme, die sich zur Not auch ohne solche Hilfe lösen lassen. Die kalte Religion kommt ohne ernsthafte Transzendenz aus. Die Glaubenswelt ist so weit psychologisiert und soziologisiert, dass daraus ein Gemisch wird aus Sozialethik, institutionellem Machtdenken, Psychotherapie, Meditationstechnik, Museumsdienst, Kulturmanagement und Sozialarbeit.“
Rüdiger Safranski, Philosoph-