„Sogar die ‚sicheren‘ Richtlinien unseres ethischen Systems vergehen“

Mit der Zeit werden sogar die »sicheren« Richtlinien unseres ethischen Systems vergehen – die Rechte in unseren Staatsgrundgesetzen, die Freiheiten in unseren Verfassungsurkunden, die Prinzipien unserer Rechtssprechung, alles. Alexander Solschenizyn versteht dies nicht nur als theoretisches Problem in der humanistischen Philosophie. Er hat die konkreten Auswirkungen am eigenen Leib verspürt. Er schreibt:
Der Kommunismus hat niemals die Tatsache verschleiert, daß er jeden absoluten Moralbegriff verneint. Er lacht über »gut« und »böse« als unbestreitbare moralische Begriffe. Für den Kommunismus ist Moralität relativ. Je nach den Umständen kann jede Handlung, auch die Ermordung von Tausenden, gut oder schlecht sein. Es hängt alles von der Klassenideologie ab, wie sie eine Handvoll Menschen definiert – Worte wie gut und böse ernsthaft in den Mund zu nehmen, wird als peinlich empfunden. Wenn wir uns aber dieser Begriff e berauben lassen, was bleibt uns dann ? – Dann werden wir zu Tieren.
Wir im Westen müssen verstehen, daß es nicht nur die Länder hinter dem Eisernen Vorhang sind, die mit Hilfe dieser relativen Moral operieren. Auch der Westen geht jetzt diesen Weg. Die materialistische Weltanschauung hat diesen Teil der Erde genauso beeinflußt. Deshalb können wir auch bei uns dieselben Unmenschlichkeiten erwarten, vor denen Solschenizyn warnt. Wir dürfen uns nicht zurücklehnen und denken: »Hier kann so etwas nie geschehen.« Vor allem dürfen wir nicht der irrigen Meinung verfallen, daß dies doch zum Großteil oder überhaupt nur eine Frage der militärischen und wirtschaftlichen Macht sei. Das Problem ist viel subtiler, viel akuter, ja schon ein krebsartiges Geschwür in unserer Mitte: es ist die materialistische Philosophie, die der westlichen humanistischen Weltanschauung zugrunde liegt. Marx hat wohl ein Wirtschaftssystem vorgeschlagen, das sich von dem unseren unterscheidet, aber wir teilen seine grundsätzliche Weltanschauung.
Francis Schaeffer schreibt über den ethischen Relativismus (Bitte, laß mich leben!, 1981, S. 155–156)
https://theoblog.de/francis-schaeffer-sogar-die-sicheren-richtlinien-unseres-ethischen-systems-vergehen/37449/#comments

Das Gebet der Nähe

„Jesus hat die Bedingungen des Bundes erfüllt, damit wir Zugang zu der bedingungslosen Liebe Gottes haben. Durch das Kreuz – und nur durch das Kreuz – kann Gott beides sein: gerecht gegenüber der Sünde und barmherzig rechtfertigend gegenüber den Sündern.“ (226)

 „Gott wäre ungerecht und würde seinen Bund mit uns brechen, wenn er sich die gleiche Schuld zwei Mal bezahlen ließe; nach dem, was Jesus für uns am Kreuz getan hat, wäre er ungerecht, wenn er uns nicht vergeben würde. Diese tiefe Gewissheit verändert das Wesen der Buße vollkommen; Buße ist jetzt nicht mehr ein Mittel, selber unsere Sünden zu sühnen, sondern ein Mittel, Gott die Ehre zu geben und unser Leben neu auf ihn auszurichten.“ (229)

„Buße auf dieser gesetzlichen Basis wird uns nie die ungeheure Befreiung und Erleichterung bringen, die der erlebt, der sich in Jesu Vergebung fallen lässt, denn wir können ja nie sicher sein, ob wir zerknirscht genug waren, um uns Gottes Gunst zu verdienen.“ (229)

„Wenn wir wissen, dass Gott uns trotz unserer Sünden liebt und annimmt, fällt es uns viel leichter, unsere Fehler und unser Versagen zuzugeben. (…) Vor allem aber können wir zeitiger und häufiger mit unseren Sünden zu Gott gehen, sie bekennen, uns Jesu Sühnetod am Kreuz ins Gedächtnis rufen und ein klein wenig von der Freude über unsere Erlösung neu erleben. Ganz ohne Traurigkeit und bitteren Beigeschmack wird kein Akt der Buße sein, aber die vertiefte Erkenntnis meiner Sünde führt mich zu einer größeren Gewissheit der Gnade Gottes.“ (230)

„Es gibt eine Scheinbuße, die in Wirklichkeit Selbstmitleid ist. Ich gebe meine Sünde zu, aber was mir leidtut, ist eigentlich nicht die Sünde selber, sondern sind die schmerzlichen Folgen, die sie für mich hat.“ (232)

„Es geht tatsächlich darum, der Sünde den Garaus zu machen, und dies geschieht dadurch, dass wir über Gottes Heiligkeit und seine Liebe in Christus sowie über andere biblische Lehren meditieren und dann unsere konkrete Sünde in ihrem Licht betrachten. Wir erkennen so, was alles an Dummheit und Bösem hinter ihr steckt, und sie wird uns immer hässlicher und unattraktiver. Ihr Reiz wird schwächer und unsere Fähigkeit, ihr Widerstand zu leisten, steigt.“ (235)

Timothy Keller, Beten: Dem heiligen Gott nahekommen, Gießen: Brunnen, 2016.

Dient einander

Kapitel: 4, Vers: 10

1. Petrus 4, 9
1. Petrus 4, 11

Luther 1984:Und dient einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes:
Menge 1926/1949 (Hexapla 1989):Dienet einander, ein jeder mit der Gnadengabe, die er empfangen hat, als gute Verwalter der mannigfachen Gnadengaben Gottes!
Revidierte Elberfelder 1985/1986:Wie jeder eine Gnadengabe empfangen hat, so dient damit einander als gute Verwalter der verschiedenartigen Gnade Gottes-a-. -a) Lukas 12, 42; Römer 12, 6-8; 1. Korinther 4, 1; 12, 4-31; Epheser 4, 7.11.
Schlachter 1952:Dienet einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat, als gute Haushalter der mannigfachen Gnade Gottes:
Zürcher 1931:Wie jeder eine Gnadengabe empfangen hat, so dienet damit einander als gute Haushalter der mannigfaltigen Gnade Gottes!
Luther 1912:Und dienet einander, ein jeglicher mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes:
Luther 1545 (Original):Vnd dienet einander, ein jglicher mit der gabe, die er empfanget hat, als die guten Haushalter der mancherley gnaden Gottes.
Luther 1545 (hochdeutsch):Und dienet einander, ein jeglicher mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes.
Neue Genfer Übersetzung 2011:Jeder soll den anderen mit der Gabe dienen, die er ‚von Gott‘ bekommen hat. ‚Wenn ihr das tut, erweist ihr euch‘ als gute Verwalter der Gnade, die Gott uns in so vielfältiger Weise schenkt.
Albrecht 1912/1988:Dient einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat! So ziemt es sich für gute Haushalter der mannigfachen Gnade, die Gott schenkt-a-. -a) 1. Korinther 4, 1; Matthäus 25, 14ff.
Luther 1912 (Hexapla 1989):Und dienet einander, ein jeglicher mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes:
Meister:Wie ein jeder seine Gnadengabe-a- empfangen hat, so dient damit untereinander als gute Haushalter-b- der vielgestaltigen-c- Gnade Gottes! -a) Römer 12, 6; 1. Korinther 4, 7. b) Matthäus 24, 45; 25, 14.21; Lukas 12, 42; 1. Korinther 4, 1.2; Titus 1, 7. c) 1. Korinther 12, 4; Epheser 4, 11.
Menge 1949 (Hexapla 1997):Dienet einander, ein jeder mit der Gnadengabe, die er empfangen hat, als gute Verwalter der mannigfachen Gnadengaben Gottes!
Nicht revidierte Elberfelder 1905:Je nachdem ein jeder eine Gnadengabe empfangen hat, dienet einander damit als gute Verwalter der mancherlei Gnade Gottes.
Revidierte Elberfelder 1985-1991:Wie jeder eine Gnadengabe -a-empfangen hat, so -ptp-dient damit einander als gute Verwalter der verschiedenartigen Gnade Gottes-a-! -a) Lukas 12, 42; Römer 12, 6-8; 1. Korinther 4, 1; 12, 4-31; Epheser 4, 7.11.
Schlachter 1998:Dient einander, ein jeder mit der Gnadengabe, die er empfangen hat, als gute Haushalter-1- der mannigfachen Gnade Gottes: -1) o: Verwalter.++
Interlinear 1979:Jeder, wie er empfangen hat eine Gnadengabe, füreinander mit ihr dienend als gute Haushalter verschiedenartigen Gnade Gottes!
NeÜ 2021:Gott hat jedem von euch Gaben geschenkt, mit denen ihr einander dienen könnt. Tut das als gute Verwalter der vielfältigen Gnade Gottes!
Jantzen/Jettel 2016:und wobei [ihr], jeder so, wie er eine Gnadengabe empfing, euch damit dient 1) – wie edle Hausverwalter der mannigfaltigen Gnade Gottes: a)
a) Epheser 4, 7*; 1. Korinther 4, 1*
1) o.: sie für einander bedient
English Standard Version 2001:As each has received a gift, use it to serve one another, as good stewards of God’s varied grace:
King James Version 1611:As every man hath received the gift, [even so] minister the same one to another, as good stewards of the manifold grace of God.

Kommentar:
John MacArthur Studienbibel:4, 10: Gnadengabe … empfangen. Eine Geistesgabe ist eine übernatürliche Fähigkeit, die Gott in seiner Gnade jedem Gläubigen gibt. Durch sie dient der Heilige Geist dem Leib Christi. Das gr. Wort (charisma) betont, dass diese Gabe ohne Gegenleistung gegeben wurde. Eine Geistesgabe kann nicht verdient, erlernt oder erarbeitet werden. Sie wird einfach durch die Gnade Gottes »empfangen« (vgl. 1. Korinther 12, 4.7.11.18). Paulus ermunterte, in der örtlichen Gemeinde nach der Ausübung der besten Gaben (insbesondere Weissagung) zu streben (1. Korinther 12, 31). Die Kategorien der Geistesgaben werden aufgeführt in Römer 12, 3-8 und 1. Korinther 12, 4-10 (s. Anm. dort). Jeder Gläubige hat eine besondere Gabe und oft ist das eine Kombination verschiedener Gabenkategorien, die für jeden Christen individuell zusammengestellt werden. Dient einander. Die Geistesgaben wurden nicht zur Erhöhung des Begabten ausgeübt, sondern in liebevoller Fürsorge für das Wohl der anderen in der Gemeinde (vgl. 1. Korinther 12, 7; 13). gute Haushalter. Ein Haushalter ist verantwortlich für die Güter eines anderen. Die Gabe gehört nicht dem Gläubigen, sondern Gott hat sie ihm gegen, damit er sie zum Wohl der Gemeinde und zur Ehre Gottes verwaltet.

Und dient einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der vielfältigen Gnade Gottes 1.Petr. 4,10

Dieser Vers wurde in einer Zeit geschrieben, in der sich die Christinnen und Christen einem großen Unverständnis und sogar der Verfolgung gegenüber sahen. In dieser Situation ermahnt der Autor die Lesenden, nicht von dem eingeschlagenen Weg abzukommen. Daher zählt der Autor verschiedene wichtige Merkmale dieses christlichen Weges auf. Ein solches Merkmal ist das gegenseitige Dienen. Die Vorstellung, sich umeinander zu kümmern, ist für viele Familien sehr wichtig.
„Vor Jahren wurde die Anthropologin Margaret Mead von einer Studentin gefragt, was sie als das erste Zeichen der Zivilisation in einer Kultur betrachtete. Der Schüler erwartete, dass Mead über Angelhaken oder Tontöpfe oder Schleifsteine spricht.
Aber nein. Mead sagte, dass das erste Zeichen der Zivilisation in einer antiken Kultur ein Oberschenkelknochen war, der gebrochen und dann geheilt wurde. Mead erklärte, dass man im Tierreich stirbt, wenn man sich das Bein bricht. Du kannst nicht vor Gefahr weglaufen, zum Fluss gehen, um etwas zu trinken oder nach Nahrung zu jagen. Du bist Fleisch für treibende Tiere. Kein Tier überlebt ein gebrochenes Bein lange genug, damit der Knochen heilen kann.
Ein gebrochener Oberschenkelknochen, der geheilt ist, ist ein Beweis dafür, dass sich jemand Zeit genommen hat, um bei demjenigen zu bleiben, der gefallen ist, die Wunde gebunden hat, die Person in Sicherheit gebracht und die Person durch Genesung versorgt hat. Jemand anderem durch Schwierigkeiten zu helfen, ist der Ort, an dem Zivilisation beginnt, sagte Mead.
Wir sind in Bestform, wenn wir anderen dienen. ”
Quelle: Ira Byock

Gedanken zum Sabbat (von Erich Fromm)

Um die Rolle des Sabbats zu verstehen, müssen wir zum Kern dieser Institution vordringen. Es handelt sich nicht um Ruhe per se in dem Sinne, daß man jegliche physische oder geistige Anstrengung meidet; es geht um Ruhe im Sinne der Wiederherstellung vollständiger Harmonie zwischen den Menschen und zwischen Mensch und Natur. Nichts darf zerstört und nichts aufgebaut werden; der Sabbat ist ein Tag des Waffenstillstandes im Kampf des Menschen mit der Natur. Sogar das Abreißen eines Grashalms wird ebenso als eine Verletzung dieser Harmonie angesehen wie das Entzünden eines Streichholzes. Auch keine gesellschaftlichen Veränderungen dürfen vorgenommen werden. Das ist der Grund, warum es verboten ist, etwas auf der Straße zu tragen, selbst wenn es so wenig wiegt wie ein Taschentuch, während es erlaubt ist, im eigenen Garten eine schwere Last zu tragen. Nicht das Tragen als solches ist verboten, sondern der Transport eines Objekts von einem privaten Grundstück zu einem anderen, da es sich bei einem solchen Transfer ursprünglich um die Veränderung von Eigentumsverhältnissen handelte. Am Sabbat lebt der Mensch als hätte er nichts, als verfolge er kein Ziel außer zu sein, d. h. seine essentiellen Kräfte auszuüben – beten, studieren, essen, trinken, singen, lieben. (E.Fromm, Haben oder Sein, S.57)

„Weltrettung für Fortgeschrittene“

– Weltrettung ist eine ernste Angelegenheit!
– Eine Aufgabe für mutige, verwegene Männer
– Und zu allem entschlossene Frauen.
– Eine Aufgabe für Superhelden
– Und für Esel!
– Ja, ihr habt richtig gelesen!
– Gott braucht für seine Weltrettung vor allem Esel.
– Genau solche Esel, über die Sie und ich täglich stöhnen, denen wir lieber aus dem Weg gehen, mit denen kein Staat zu machen ist.
– Auf dem Rücken dieser Esel und vor ihren Augen entfaltet Gott das ganz große Szenario von Katastrophe, Untergang und Weltrettung.
– Beim ersten Auftritt eines Esels in Gottes Rettungsplan sind Katastrophe und Untergang in den Köpfen der Menschen allgegenwärtig. Die Zerstörung Jerusalems ist ein Trauma in der Erinnerung und in den Herzen der Menschen. Zwar leben sie nun wieder in Jerusalem und auch der Tempel ist wieder aufgebaut, aber nun werden sie von anderen Fremdherrschern regiert, sind nicht frei, fühlen sich gedemütigt und erniedrigt.
– Noch immer ist für sie die Katastrophe Jerusalems damals nicht begreifbar. War sie eine Strafe Gottes, oder sogar eine Niederlage Gottes?
– In diese Zweifel hinein schreibt Sacharja:
– Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin.
– Denn ich will die Wagen wegtun aus Ephraim und die Rosse aus Jerusalem, und der Kriegsbogen soll zerbrochen werden. Denn er wird Frieden gebieten den Völkern, und seine Herrschaft wird sein von einem Meer bis zum andern und vom Strom bis an die Enden der Erde.

Tyrannei der ‚Güte‘

»Von allen Tyranneien ist eine Tyrannei, die aufrichtig zum Wohle ihrer Opfer betrieben wird, vielleicht die repressivste. Es wäre besser, unter Raubrittern zu leben als unter allmächtigen moralischen Wichtigtuern. Die Grausamkeit des Raubritterbarons kann manchmal schlummern, seine Habgier kann irgendwann gesättigt sein; aber diejenigen, die uns zu unserem eigenen Wohl quälen, werden uns ohne Ende quälen, denn sie tun es mit der Zustimmung ihres eigenen Gewissens.«
(C.S. Lewis, „The Humanitarian Theory of Punishment“ in Essay Collection and Other Short Pieces)

Gesetz und Geist: Was ist Gesetzlichkeit

Der Begriff „Gesetzlichkeit“ wird in frommen Kreisen inflationär gebraucht. Was versteht denn das Neue Testament darunter? Die Warnung vor Gesetzlichkeit ist keine Warnung davor, Gottes Gebote im Glauben auszuleben. Gemäss Neuem Testament kann man das Gesetz auf fünf Arten missbrauchen:

1. Das Gesetz halten, um gerecht zu werden und das Heil zu erlangen (Röm 3,21-4,25; Eph 2,9-10)
2. Das alttestamentliche Zeremonialgesetz nach der Kreuzigung anderen aufzuerlegen (z. B. Gal 4,9-11; Kol 2,16-17; vgl. Eph 2,14-16; Hebräerbrief)
3. Zu den Geboten Gottes weitere menschliche Gebote und Traditionen hinzuzufügen (z. B. Mk 7,1-15; Mt 15,1-9)
4. Die wesentlichen Dinge zugunsten geringerer Dinge zu vergessen (z. B. Mt 23,23)
5. Nur auf eine äussere Erfüllung der Gebote Gottes zu achten (z. B. Mk 7,18-23; Mt 15,15-20; Mt 23,27-28)
Aus: Thomas Schirrmacher. Gesetz und Geist. RVB: Hamburg 1999.

Ist Einheit zwischen progressiven und konservativen Christen möglich? – Erkenntnisse aus einem Forschungsprojekt

Der Begriff „evangelikal“ ist in Verruf geraten. Evangelikalen wird nachgesagt, sich besonders leicht für politische Ideologien vereinnahmen zu lassen und intolerant zu sein. Aber stimmt das auch? Trevin Wax hat auf der Internetseite der „Gospel Coalition“ die Ergebnisse eines Forschungsprojekts präsentiert, das das Phänomen des wachsenden Gegeneinanders zwischen „konservativen“ und „progressiven“ Christen beleuchtet. Die Ergebnisse sind überraschend – und auch für die evangelikale Welt in Deutschland hoch relevant!

Veröffentlicht wurden die Forschungsergebnisse in dem Buch „One Faith No Longer: the Transformation of Christianity in Red and Blue America“ („Nicht länger ein Glaube: Die Transformation des Christentums im roten und blauen Amerika“) von George Yancey und Ashlee Quosigk. Als konservativ galten dabei Christen, die glauben, dass die Bibel das irrtumslose Wort Gottes und Jesus der einzige Weg zur Erlösung ist. Christen, die dem nicht zustimmen, wurden als progressiv eingestuft. Ein grundlegendes Ergebnis der Untersuchung war:

„Progressive Christen … sind mehr, nicht weniger politisch als konservative Christen.“

Zudem ergaben sich aus den Untersuchungen und Interviews 3 überraschende Erkenntnisse in Bezug auf die Identität, die Toleranz und die missionarische Ausrichtung von progressiven bzw. konservativen Christen. Die erste Überraschung lautet:

1. „Progressive Christen definieren ihre Identität eher über Politik, während konservative Christen ihre Identität in der Theologie finden.“

Bei der Frage, mit wem man sich zusammengehörig fühlt, neigen progressive Christen dazu, sich weniger um theologische Übereinstimmung zu kümmern. Stattdessen stehen für sie politische Werte im Vordergrund. Konservative Christen hingegen legen (anders als oft behauptet) keinen großen Wert auf politische Übereinstimmung. Ihr Hauptanliegen ist die Frage, ob man in theologischen Kernpunkten übereinstimmt.

Die zweite Überraschung heißt folgerichtig:

2. „Konservative Christen sind eher bereit, über abweichende politische Auffassungen hinwegzusehen als progressive Christen.“

Wax berichtet: Schon zur Zeit von Donald Trump wehrten sich viele konservative evangelikale Führungspersönlichkeiten unter großen persönlichen Opfern gegen “konservative politische Ideologie”, wo sie biblischen Lehren und Werten widerspricht. Auch heute noch gibt es theologisch konservative Evangelikale mit großen Meinungsverschiedenheiten bei politischen Fragen. Bei progressiven christlichen Leitern ist das hingegen nicht der Fall. „Das einzige politische Thema, bei dem mehrere Blogger von der allgemeinen progressiven politischen Grundausrichtung abwichen, war das Thema Abtreibung”, so die Autoren, und selbst da war die Gegenwehr gering.“

Und die dritte Überraschung lautet:

3. „Progressive Christen missionieren eher konservative Christen als Nichtchristen.“

Wax schreibt: „Die allgemeine Auffassung ist, dass theologisch konservative Christen in einer Blase von Gleichgesinnten verharren. Aber die Untersuchungen von Yancey und Quosigk haben das Gegenteil gezeigt. Es sind theologisch progressive Christen, die sich mit homogen denkenden Gleichgesinnten umgeben, und ein Teil dieser Homogenität definiert sich durch eine “überwältigend negative” Sicht auf konservative Christen. … In der Tat ist die progressive Sicht der Konservativen so düster, dass sich Progressive eher mit Muslimen als mit konservativen Christen verbunden fühlen.“

Das hat Konsequenzen für die Frage, wen progressive Christen missionieren: „Die meisten progressiven Christen gründen ihre Religion nicht auf verbindlichen Gehorsam gegenüber der Bibel, und sie haben auch nicht das Bedürfnis, andere zu ermutigen, ihre Interpretation der Bibel zu akzeptieren oder gar den christlichen Glauben anzunehmen. Der Kern ihrer Religion beruht auf den Werten der Integration, der Toleranz und der sozialen Gerechtigkeit. … Die Menschen, die am meisten der “Bekehrung” bedürfen, sind deshalb nicht Ungläubige, sondern konservative Christen.“

Fazit

Trevin Wax kommt zu dem Schluss: „One Faith No Longer stellt die herkömmliche Vorstellung auf den Kopf, dass konservative Christen in besonderem Maße dazu neigen, unbiblischen politischen Ideologien zu verfallen, oder dass konservative Christen von Wut auf ihre theologischen Gegner erfüllt sind. Anhand von Recherchen und Interviews zeigen Yancey und Quosigk das Gegenteil: Es sind die Progressiven, die selten von ihrer politischen Grundausrichtung abweichen und Verachtung für die Konservativen hegen. Und die sich verhärtenden Grenzen zwischen diesen beiden Gruppen untermauern die These, die J. Gresham Machen vor einem Jahrhundert aufstellte: Wenn es um das Christentum und den theologischen Liberalismus geht, haben wir es wirklich mit zwei verschiedenen Religionen zu tun.“

Was heißt das für die Situation im deutschsprachigen Raum?

Meine Beobachtungen von Progressiven und Konservativen im deutschsprachigen Raum vermitteln mir den Eindruck: Die Polarisierung ist bei uns noch nicht so weit vorangeschritten. Der Trend geht aber in die gleiche Richtung wie in den USA. Und die Ursachen sind vergleichbar.

Zugleich sehen wir im allianzevangelikalen Umfeld unverkennbar einen sich verfestigenden Trend: Viele evangelikale Werke versuchen, die progressiven und postevangelikalen Stimmen in ihr Spektrum zu integrieren. Da dies zwangsläufig zu immer größeren theologischen Differenzen führt, redet man immer seltener über die eigene Glaubensbasis. Stattdessen wird immer stärker die Notwendigkeit von mehr „Ambiguitätstoleranz“ betont, also das Stehenlassen und Aushalten gegensätzlicher Positionen. Vielerorts sind die Verflechtungen und Sympathien auf den Leitungsebenen offenkundig so stark, dass es auf diesem Weg kein Zurück mehr zu geben scheint.

Aber kann dieser Integrationsversuch auf Dauer gelingen? Ist es möglich, dass Progressive, Postevangelikale und Konservative im gleichen Team spielen? Wenn nein: Sind daran wirklich nur die Konservativen schuld, wie oft behauptet wird?

Die Ergebnisse von „One Faith No Longer” legen nahe: Progressive sind zwar theologisch sehr tolerant. Aber das heißt nicht, dass sie insgesamt toleranter sind als Konservative. Sie haben einfach nur andere Identitätsmarker. Sie stehen konservativen Forderungen nach einer Rückbesinnung auf historische Glaubensgrundlagen und Bekenntnisse zurückhaltend oder ablehnend gegenüber. Stattdessen fordern sie eher eine rasche Anpassung der Kirche an gesellschaftliche Entwicklungen in Bereichen wie Gender, Gleichstellung, Sexualethik, Ökologie oder linke Wirtschafts-, Sozial- und Flüchtlingspolitik. Und sie sind bei diesen polarisierenden Themen deutlich weniger tolerant als Konservative.

Am geringsten ist ihre Toleranz jedoch oft in Bezug auf die konservativen Christen. Konservative verfolgen oft die Strategie, eine christliche Gegenkultur zu etablieren an Stellen, an denen sich die Gesellschaft von biblischen Normen entfernt. Von Progressiven werden sie deshalb tendenziell als Bremsklötze empfunden auf dem Weg „Raus aus der Sackgasse“ einer von ihnen empfundenen gesellschaftlichen Rückständigkeit und theologischen Enge der Konservativen. Das gleichnamige Buch von Michael Diener macht diese Sichtweise deutlich. Und es zeigt beispielhaft den von Wax beschriebenen missionarischen Eifer, Konservative zum progressiven Kurs bekehren zu wollen.

Was würde es bedeuten, wenn diese Beschreibung der Situation zwischen Konservativen und Progressiven auch nur einigermaßen zutrifft? Die Konsequenz wäre: Alle Aufrufe zum Miteinander würden am Ende nicht fruchten. Im Gegenteil: Mit der Zeit würde immer deutlicher werden, dass Konservative und Progressive vielfach gegensätzliche Ziele verfolgen. Dann würde sich die Entscheidung, Progressive und Postevangelikale ins evangelikale Spektrum integrieren zu wollen, als historischer Fehler erweisen, weil sie zwangsläufig dorthin führt, wo man andernorts schon angekommen ist: In immer tieferer innerer Entfremdung und wachsendem Gegeneinander (wie in den USA), in offenen Spaltungen (wie bei den weltweiten Methodisten) oder in der weitgehenden Verdrängung der Konservativen (wie in der evangelischen Kirche).

Ich wünsche mir keines dieser Szenarien. Deshalb werde ich nicht aufhören, in der evangelikalen Welt Werbung dafür zu machen, die eigene Glaubensbasis hochzuhalten. Dafür ist es so wie im Neuen Testament notwendig, im Bedarfsfall nicht nur positiv vom eigenen Glauben zu reden sondern in zentralen Glaubensfragen auch „nein“ zu sagen zu Lehren und Einflüssen, die der eigenen Glaubensbasis widersprechen. Glaubensverteidigende Apologetik war schon immer ein wichtiges Feld der Theologie. Sie gehörte zu allen Zeiten zum Aufgabenbereich christlicher Leiter. Sie wird heute dringender denn je gebraucht.


Der Artikel „3 Surprises from New Research on ‘Progressive’ and ‘Conservative’ Christians“ von Trevin Wax, aus dem die Zitate dieses Artikels stammen, kann hier vollständig nachgelesen werden: https://www.thegospelcoalition.org/blogs/trevin-wax/research-progressive-conservative-christians/
https://blog.aigg.de/?p=5925

William Tyndale – Lebenslauf

„Ich dachte immer, sagte William Tyndale, dass das Heil nicht für mich bestimmt sei, denn ich hatte Gott nicht lieb. Aber diese kostbaren Worte haben mir gezeigt, dass Gott uns eben nicht deshalb liebt, weil wir ihn zuerst geliebt haben. Nein, nein, wir können ihn lieb haben, weil er uns schon vorher geliebt hat. Darin liegt der ganze Unterschied.“
William Tyndale (1480 -1536) lebte zu Luthers Zeiten und wurde wie dieser Bibelübersetzer und Führer der englischen Reformation. An den Universitäten von Oxford und Cambridge erlernte er gründlich die griechische Sprache und in Hamburg bei einem jüdischen Gelehrten Hebräisch. 1502 wurde er Priester und später Kaplan. Seine englische Übersetzung des NT – die Grundlage für die spätere King James Übersetzung wurde in Worms gedrukt. Am 6. Oktober 1536 starb er als Märtyrer auf dem Scheiterhaufen. Seine letzten Worte, die man aus den Flammen heraus hörte, waren: „Herr, öffne dem König von England die Augen!“
Tyndale erkennt seine Aufgabe
Tyndale verdiente sein Geld als Hauslehrer. „Heute Abend müssen wir noch einmal unseren Lieblingsvers lesen“, sagte er den beiden Jungen. Sie wissen genau, welchen er meint. Sie wissen auch, wie lieb ihrem Lehrer diese Worte sind, und er hatte ihnen beigebracht, sie auch zu lieben: „Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt.“ (1. Joh. 4,19) Der vertraute Abschnitt wurde noch einmal gelesen und dann erklärte er den beiden, dass er sie verlassen müsse. Fragen und Proteste. Dann legte er seine Arme um die beiden und erklärte ihnen: „Ich muss gehen. Gott hat mir eine Aufgabe anvertraut. Das Volk lernt lesen, Bücher werden gedruckt, und es ist jetzt Zeit, dass es auch die Bibel in seiner Muttersprache bekommt. Diese Arbeit kann ich hier nicht tun, deshalb muss ich nach London gehen.“
Der Bischof in London runzelte die Stirn und zeigte Tyndale die kalte Schulter. Auf sein Drängen hin droht er mit allen Strafen der Kirche. Aber die reformatorischen Schriften vom Festland werden geheim eingeführt, die Leser ins Gefängnis geworfen, einige sogar zum Tode verurteilt. Trotzden hatte Tyndale mit seiner Übersetzung begonnen. Ein alter Chronist schrieb: „Aber wenn der Sonntag nahte, dann ging er in eines der Kaufmannshäuser, wohin auch viele andere Kaufleute kamen, und las ihnen einen Abschnitt aus der Heiligen Schrift vor. Das ging so sanft und und freundlich vonstatten und brachte so viel Frucht, dass es für seine Zuhörer ein himmlischer Trost war, wenn sie ihn aus den Schriften lesen hören konnten. Ganz besonders liebte er die Schriften des Johannes.“
Die englische Bibelübersetzung
Zwei Dinge sind Tyndale klar: Das Volk in England hat Hunger nach dem Wort Gottes in seiner Muttersprache und eine Übersetzung der Bibel kann nicht in England gedruckt werden. So machte er sich auf die Reise (1523) zu Luther, um mit ihm die Dinge zu besprechen. Inzwischen wurde das Neue Testament gedruckt und heimlich nach England geschmuggelt. In Stoffballen, in Warenkisten und Tonnen, in Tuchrollen und Mehlsäcken gelangte das NT nach England und wurde überall freudig aufgenommen.
Martyrium und Frucht
Tyndale aber wurde aus der Kirche ausgeschlossen, von Land zu Land gejagt und vertrieben, einmal erlitt er Schiffbruch, wurde betrogen, verhaftet, und gefoltert. Erst 56 Jahre alt, saß er in einem feuchten Gefängnis und wartete auf den Henker, der seine Seele für die Ewigkeit befreien sollte. Vor dem Winter schrieb er an seine Freunde: „Bringt mir doch eine wärmere Kappe, ein Stückchen Tuch, mit dem ich meine Hosen flicken kann, ein wollenes Hemd, und dann vor allen Dingen meine hebräische Bibel!“ Er lebte und er starb für die Bibel.
An einem kalten Oktobermorgen 1536 blickte der Edelmann Harry Walsh, einer der beiden Schüler von Tyndale, traurig drein. Auf die Frage seiner Frau nach dem Grund erzählte er ihr, dass es sich gerade im Dorf herumspricht, dass sein ehemaliger Lehrer, William Tyndale, um seines Glaubens willen auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Dann blieben beide vor einem Wandspruch stehn, auf dem zu lesen war: „Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt“ – der Lieblingsspruch seines verehrten Lehrers. Seine Bibel aber wurde inzwischen in allen Häusern, in jeder Schenke und in jedem Kaffeehaus Englands gelesen. Quelle: Unbekannt
https://www.evangeliums.net/gleichnisse/gleichnis_william_tyndale_lebenslauf.html