„Kennzeichnend für die Unzahl der Irrwege in der Schriftauslegung sind die Leitlinien, die aus dem Immanenzhorizont gewonnen werden. Ausschlaggebend ist von vornherein die Absolutsetzung der anthropologischen Perspektive, die das Selbstverständnis des Menschen, den gegenwärtigen, durch den Zeitgeist geprägten Verstehenshorizont zum Maßstab der Deutung erhebt. Infolgedessen werden die biblischen Aussagen nach dem befragt, was sie für die Sinnbestimmung des Menschseins beitragen können, die sich in den humanitären Begriffen wie Glaube, Liebe, Freiheit, Gerechtigkeit, Friede, Hoffnung ausdrücken läßt. Diese Begriffe werden dann von ihrem offenbarungs- und heilsgeschichtlichen Ermöglichungsgrund losgelöst und erhalten den Rang von selbständigen, autonomen Deutungsprinzipien, über die der Mensch jederzeit eigenmächtig verfügt.“ Walter Künneth: Fundamente des Glaubens. Wuppertal: R. Brockhaus 1975. Seite 92.
Archiv für den Monat März 2015
Die Gabe des einen Evangeliums
Unsere heutige Welt befindet sich in einem Zustand großer Verwirrung und Dunkelheit, und Angst hat die Menschen herzlos gemacht. Hat die christliche Kirche ein Wort des Zuspruchs, ein Licht, eine Hoffnung für den Menschen in seiner Verwirrung, in seiner Dunkelheit, in seiner Angst? Es ist eine der größten Tragödien unserer Zeit, dass die Gemeinde Jesu in dem Augenblick an ihrem Missionsauftrag zu zweifeln beginnt, in dem der Ruf der Welt nach dem Wort Gottes immer lauter wird. Der Grund für den nachlassenden Missionseifer liegt allein in dem schwindenden Vertrauen in die christliche Botschaft. Wir Christen sollten aus fester Überzeugung bekunden, dass Jesus unser Herr ist, dem alle Gewalt im Himmel und auf Erden gegeben wurde, und der uns auffordert, alle Völker zu seinen Jüngern zu machen und sie zu lehren, was er gelehrt hat (Matth. 28, 18. 19). Er gab uns den Auftrag, seinen Namen als den des gekreuzigten und auferstandenen Retters zu predigen. Er hat uns gesagt, das allen, die Buße tun und an ihn glauben, Vergebung und ein neues Leben geschenkt wird (vgl. Luk. 24, 44–49). Wir haben kein Recht, die Richtlinien, die Christus seiner Gemeinde gegeben hat, auch nur geringfügig zu verändern. Es gibt nur ein Evangelium. Wir dürfen es niemals in irgendeiner Weise ausschmücken, abwandeln oder nach unserem Belieben auslegen. Unsere Aufgabe ist es, Verkündiger der Frohen Botschaft Gottes zu sein, unsere Stimme mit Macht zu erheben, uns nicht zu fürchten und die Erlösung durch unseren Herrn überall bekannt zu machen (Jes. 40, 9; 52, 7). Die Botschaft ist uns gegeben, wir haben sie nicht erfunden. Wir sollen nur unsere Stimme, unser Leben und unsere Liebe einsetzen, um das Evangelium zu verbreiten. In dieser Hinsicht gleicht jeder Christ Johannes dem Täufer. Jeder von uns soll eine Stimme in der Wüste der Welt sein, die von Christus zeugt; jeder von uns soll abnehmen, damit er wachsen kann (Mark. 1,2. 3; Joh. 1, 6–8; 19–23; 3, 30).
(Die Autorität der Bibel, Hänssler, 1977, S. 45–46) John Stott
Keine Religion ist so sehr eine des DENKENS wie das Christentum
„Keine Religion ist so sehr eine des DENKENS wie das Christentum. Die Christliche Religion ist eine denkende Religion, weil sie wie keine andere den Menschen belastet, aber auch begabt mit der Verantwortung seiner Welt. Sie ist im eminenten Sinn eine geschichtliche Religion, weil sie den Anspruch der geschichtlichen Stunde, ihrer Kontingenz, verbindet mit dem göttlichen Anspruch selbst. Sie ist in einem radikalen Sinn eine eschatologische Religion, weil sie wie keine andere die Geschichte offenhält für das unbedingte Offenbarwerden des Gottes, den sie in dieser Welt nur in der Verhüllung des Kreuzes kennt.
Das Christentum ist die revolutionärste Macht der Geschichte, weil sie die Macht ihrer ständigen Veränderung und Erneuerung ist.
Das Christentum ist die universalste Religion, weil sie nichts und niemanden ausschließt, weil sie alle retten will, weil sie der Tod des Todes ist.“ Aus Günter Rohrmoser, „Zäsur“ (1980)
Die Auflösung der Wahrheit
Das Sühneopfer von Jesus Christus
»Keine Begriffe des theologischen Wortschatzes rund um das Kreuz haben mehr Kritik hervorgerufen, als ›Genugtuung‹ und ›Stellvertretung‹«, schrieb John Stott 1986 in seinem vielleicht wichtigsten Buch: The Cross of Christ (S. 111).
Einerseits ist die Sühnetat von Jesus Christus alt- und neutestamentlich so vielfältig bezeugt, dass sie mit Recht zum Herz der christlichen Dogmatik gehört. Andererseits muss Josef Blank feststellen (»Weißt Du, was Versöhnung heißt« in Blank, Werbick (Hg.), Sühne und Versöhnung, 1986, S. 21):
Wahrscheinlich begegnet heute keine Lehre des Christentums größeren Schwierigkeiten als die traditionelle Lehre, daß uns Jesus Christus durch seinen stellvertretenden Sühnetod am Kreuz von unseren Sünden erlöst hat.
Keine Frage, die Bibel überliefert uns eine Fülle von Begriffen, Bildern und Zugängen zum Versöhnungswerk von Jesus Christus. Wir finden nicht nur einen Typus der Versöhnungslehre (vgl. dazu G. Aulén, »Die drei Haupttypen des christlichen Versöhnungsgedankens«, Zeitschrift für Systematische Theologie, Jg. 8, 1930). Der klassische ›Christus-Victor‹-Typus betont beispielsweise in angemessener Weise die Siegestat von Christus über die Mächte des Bösen. Der lateinische Typus der Versöhnungslehre hebt demgegenüber den satisfaktorischen Gerechtigkeitsausgleich hervor, der Gott gegeben wird (und ist damit grundsätzlich (nicht argumentativ) älter als die ›Satisfaktionslehre‹ Anselms).
Aber doch fällt auf, dass die kirchengeschichtlich etablierten Typen der Versöhnungslehre seit der Aufklärung (vgl. besonders Kant und Schleiermacher) hinter eine humanisierende Versöhnungslehre zurückfallen. Heute wird bevorzugt nur noch von der Liebe Gottes gesprochen. Nicht Gott muss versöhnt werden, sondern Gott ist der versöhnende Versöhner für uns Menschen.
Was ist da passiert?
Der Gedanke, dass Christus stellvertretend für uns Menschen sterben musste, erscheint dem aufgeklärten Europäer als ungerecht und viel zu blutig. Die Vorstellung, dass ein Unschuldiger die Schuld der Welt auf sich nimmt und durch sein vollkommenes Opfer bezahlt, erinnert an einen kosmischen Kindesmissbrauch (vgl. z.B. Brock, Chalke o. McLaren). Rudolf Bultmann hat das Problem so formuliert (»Neues Testament und Mythologie« in: Kerygma und Mythos, 1954, S. 20) :
Wie kann meine Schuld durch den Tod eines Schuldlosen (wenn man von einem solchen überhaupt reden darf) gesühnt werden? Welche primitiven Begriffe von Schuld und Gerechtigkeit liegen solcher Vorstellung zugrunde? Welch primitiver Gottesbegriff? Soll die Anschauung vom sündentilgenden Tode Christi aus der Opfervorstellung verstanden werden: welch primitive Mythologie, daß ein Mensch gewordenes Gotteswesen durch sein Blut die Sünden der Menschen sühnt! Oder aus der Rechtsanschauung, so daß also in dem Rechtshandel zwischen Gott und Mensch durch den Tod Christi den Forderungen Gottes Genugtuung geleistet wäre: dann könnte die Sünde ja nur juristisch als äußerliche Gebotsübertretung verstanden sein, und die ethischen Maßstäbe wären ausgeschaltet!
Der aufgeklärte Mensch kann und will also mit seinem Selbstverständnis einen zornigen Gott überhaupt nicht mehr denken und bereinigt folglich die biblische Versöhnungslehre durch Verkürzung und Umdeutung von dem anstößigen Sühnewerk (vgl. z. B. die Zitate von Grün, Chalke u. Mann).
Aber ist Versöhnung mit Gott ohne Sühne möglich?
Nein! »Versöhnung bedeutet die Wiederherstellung eines guten Verhältnisses zwischen Feinden. Um dieses Verhältnis im Gegenüber von Gott und Mensch zu erreichen, müssen die Faktoren beseitigt werden, die die Feindschaft hervorrufen. Das geschieht durch Sühne« (H.-G. Link, »Versöhnung« in: Theologisches Begriffslexikon zum Neuen Testament, Bd. 2, S. 1309). Versöhnung mit Gott gibt es also nur als Versühnung durch Jesus Christus (vgl. a. 1Joh 2,2).
Ein Denkanstoß, da derzeit gern über Kontextualisierung gesprochen wird: Kann es sein, dass wir unter dem Einfluss des Humanismus die biblischen Sühnetexte in ihrer Schärfe und Härte gar nicht mehr wahrnehmen? Ist es der »aufgeklärte Verstehenshorizont«, der uns den Blick auf den zornigen Gott und die blutige Versöhnungstat am Kreuz vernebelt? Ist unsere Deutung des biblischen Befunds verzerrt durch moderne oder postmoderne Verstehensvoraussetzungen? Sollten wir deshalb nicht besser umgekehrt unsere Verstehens- und Lebenszusammenhänge auf der Grundlage der Heiligen Schrift deuten? Dann nämlich zeigt sich: Gott ist kein niedlicher jemand, der dafür da ist, unsere emotionale Bedürftigkeit zufrieden zu stellen. Gott ist gerecht und er ist heilig. Wir als Sünder können vor diesem Gott nicht bestehen und haben den göttlichen Zorn verdient. Es gibt nur eine einzige (Er)-Lösung (Röm 3,24–25):
Ganz unverdient, aus reiner Gnade, lässt Gott sie [die ungerechten Sünder] vor seinem Urteil als gerecht bestehen – aufgrund der Erlösung, die durch Jesus Christus geschehen ist. Ihn hat Gott zum Sühneopfer verordnet. Sein Blut, das am Kreuz vergossen wurde, hat die Schuld getilgt – und das wird wirksam für alle, die es im Glauben annehmen.
Wer verstanden hat, was »reine Gnade« ist, und damit weiß, dass sie nicht billig ist, und glaubt, muss mit staunendem und frohem Herzen Jesus Christus anbeten, der sich selbst für unsere Erlösung gegeben hat (1Tim 2,6)!
Empfehlungen zum Thema »Kreuz und Sühne«:
- John Stott, The Cross of Christ, Leicester: IVP, 1986.
- Martyn Lloyd-Jones, The Cross: God‘s Way of Salvation, Eastbourne, Kingsway, 1986.
- I. Howard Marshall hat eine hervorragende Untersuchung (mit vielen Quellen) zur Sühnetheologie verfasst, die frei herunter geladen werden kann: www.eauk.org.
Diesen Beitrag gibt es ebenfalls im PDF-Format: suehneundversoehnung.pdf
Nichts Neues im Westen
„Wir glauben an die zivilisierende Kraft der Kultur.“ – Jodie Foster, Der Gott des Gemetzels
Ein Steinbildhauer wurde gefragt, wie er es hinkriegt, aus einem Stein eine so schöne Figur zu fertigen. Der Künstler antwortete darauf: „Die Figur war schon darin enthalten, ich musste nur noch den Stein wegschlagen.“ Diese schöne Geschichte erzählte Colonel Samuel Trautman seinem Schützling John Rambo auf die Frage, warum er aus ihm eine erbarmungslose Tötungsmaschine gemacht hat (da ich nicht den Teenie-Beenie-Wheenie -Style habe, dafür aber einen Fernseher, kenne ich so was). Nun, genug der Illustration! Es soll ja nicht zu sehr mainstream-evangelikal werden.
Ich wollte diesen Text eigentlich schon letztes Jahr geschrieben haben, da der erste Weltkrieg 100 jähriges Jubiläum hatte und ich aufgrund der Lektüre von Remarques „Im Westen nichts Neues“ mal was über Krieg und Kultur schreiben wollte. Ich hätte den Text dann wahrscheinlich sehr langweilig in etwa so angefangen: „Anlässlich des hundertjährigen Jubiläums des 1. Weltkrieges, hielt ich es für passend…blablabla.“ Nun ja: Den Jubiläumsbonus habe ich verspielt, dafür fängt der Text jetzt mit der schicken Rambo Story an.
Von Rambo zu Bäumer – und wieder zurück
Der Soldat Paul Bäumer, der Hauptcharakter von Im Westen nichts Neues, beschreibt ein Lazarett mit folgenden Worten:
„Man kann nicht begreifen, dass über so zerrissenen Leibern noch Menschengesichter sind […] Und dabei ist dies nur ein einziges Lazarett, […] wie sinnlos ist alles, was je geschrieben wurde, wenn so etwas möglich ist! Es muss alles gelogen und belanglos sein, wenn die Kultur von Jahrtausenden nicht einmal verhindern konnte, dass diese Ströme von Blut vergossen wurden, dass diese Kerker der Qualen zu Hunderttausenden existieren. Erst das Lazarett zeigt, was der Krieg ist.“
In England nannte man den 1. Weltkrieg auch ‘the war to end all wars’. Aufgrund der Gnade der späten Geburt wissen wir, dass sich dies nicht bewahrheitet hat. Es wurde leider noch schlimmer. In Die Philosophen und der Nationalsozialismus, eine Sonderausgabe des Philosophie Magazins, schreibt Dr. Catherine Newmark im Editorial:
„Heute, 70 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz und der bedingungslosen Kapitulation von Nazi Deutschland, haben der Zivilisationsbruch und die Mordmaschinerie des Holocaust nichts von ihrem Schrecken eingebüßt. Die Jahre 19331945 markieren einen epochalen Einschnitt in der Geschichte der Neuzeit: Ideen vom Fortschritt der Zivilisation sind fraglich geworden, das Denken selbst steht vor einem metaphysischen Abgrund. […] Auch das grundphilosophische Vertrauen in den Menschen als moralisches Vernunftwesen wurde nachhaltig erschüttert.“
Ja! Die Geschichte der Menschheit ist geprägt von Gewalt und Zerstörung. Vom bösen Gedanken bis hin zum Vernichtungskrieg – das Herz des Menschen ist eine Mördergrube. War es immer und wird es immer sein, da hilft auch kein schöner Schein. Die Kultur ist nicht in der Lage Frieden zu gewährleisten. Um mit Böckenförde zu sprechen: Die Kultur lebt von Voraussetzungen, die sie selber nicht garantieren kann.
Diese Voraussetzungen sind der dreieinige Gott und die Inhalte seiner Offenbarung. Manche glauben, die Lösungen liegen in den Kategorien Bildung und sozialer Gerechtigkeit. Das ist aber ein Trugschluss! Denn unser Grundproblem ist weder intellektueller noch finanzieller Natur. Der Tötungstrieb wird nicht durch mehr Wissen/mehr Geld gedämpft.
Unser Grundproblem ist moralischer Art – es heißt SÜNDE! Darin liegt übrigens auch die Wurzel des Terrors. Lars Reeh
Über den Autor (27) ist Lehrkraft im Vorbereitungsdienst und geht in die BERG in Giessen. Er interessiert sich für die Überschneidungsfelder von Theologie und Kultur (besonders Apologetik und Pädagogik). http://www.josiablog.de/2015/02/nichtsneuesimwesten/