Jeder bekommt, was er verdient.

„Jeder bekommt, was er verdient.“ Kennst du dieses Sprichwort? Wir leben in einer gnadenlosen Welt. Dabei gehört Gnade zu den bekanntesten Begriffen des christlichen Glaubens. Aber was bedeutet er eigentlich? In der deutschen Sprache kennen wir den Begriff heute kaum noch. Lediglich im Strafrecht taucht das Prinzip der Begnadigung auf – Gnade vor Recht. Jemandem etwas zuwenden, der es eigentlich nicht verdient hat. Durch die gesamte Bibel hindurch zieht sich „Gnade“ als Kernbegriff. Im Alten Testament ist er eng verknüpft mit dem Bund, den Gott mit seinem Volk schließt. Im Neuen Testament kommt an 155 Stellen das Wort „Gnade“ vor. Besonders Paulus legt einen großen Fokus auf die Gnade Gottes – womöglich aufgrund seiner eigenen Lebensgeschichte. Er macht uns deutlich, dass Gnade ein Geschenk ist, das man sich nicht verdienen, nicht erarbeiten kann. Die Gnade Gottes ist umsonst. Inmitten der Leistungsgesellschaft, in der wir leben, ist dies eine schöne und zugleich schwere Botschaft. Schön, weil wir alle gerne etwas geschenkt bekommen. Schwer, weil es aufgrund unseres Leistungsdenkens herausfordernd ist, diese Botschaft anzunehmen. Stattdessen verhalten wir uns doch ganz oft eher ungnädig – zu anderen und zu uns selbst. Die Gnade Gottes ist umsonst, aber sie ist nicht billig. Es geht nicht darum, Schuld einfach abzutun oder sie nicht beim Namen zu nennen. Schuld bleibt Schuld. Aber wo Buße und Umkehr von Schuld stattfinden, ist die Gnade vollkommen. Gnade ist nämlich wie Wasser: Sie fließt immer nur zu den tiefsten Punkten des Lebens, nicht zu den höchsten. Wir alle brauchen Gnade. Jeden Tag, jede Sekunde leben wir aus der Gnade Gottes. Wir leben mit dem Gott der zweiten, dritten und vierten Chance. Der Gott, der sagt: „Du darfst nochmal.“ Paulus wird bis heute als „Apostel der Gnade“ bezeichnet. Wie anders würde diese Welt aussehen, wenn wir als Christen anfangen, ebenso Apostel der Gnade zu sein?
Stephan Holthaus
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Religion

„Ich kann Jesus als meinen Erlöser ablehnen, indem ich die Gebote der Bibel breche, aber auch, indem ich sie gewissenhaft einzuhalten versuche. Letztlich laufen Religion (Ich gründe meine Identität auf meine moralischen Leistungen) und Religionslosigkeit (ich gründe meine Identität auf irgendwelchen “weltlichen” Dinge oder Beziehungen) auf das Gleiche hinaus; beide sind “Sünde”.“ Timothy Keller

Moderne Götzen

Markus Spieker in seinem Jesus-Buch über moderne Götzen:
„Unter anderen Namen stehen die römischen Gottheiten wieder hoch im Kurs, allen voran die Liebesgöttin Aphrodite. Über Orgasmusfrequenzen und Penislängen wird öffentlich diskutiert, als hänge davon die ewige Seligkeit ab. Auf den Altären der Aphrodite werden jedes Jahr unzählige ungeborene Kinder geopfert. Nicht von ungefähr handelt es sich bei den Minderheiten, zu deren Schutz und Förderung in den Feuilletons aufgerufen wird, vorrangig um sexuelle Minderheiten – unter dem frenetischen Applaus der Bohéme von Barcelona, San Fransisco, Berlin.
Sehr viel weniger Aufmerksamkeit bekommen die Slumbewohner von Kalkutta und die Fabrikarbeiter von Dhaka. Schlimmer noch. Den Preis für die Selbstverwirklichungswünsche der Kapitalstarken zahlen diejenigen, die zwar über wenig Geld, aber wenigstens über viel Sozialkapital verfügen, über familiäre Bindungen, die nach und nach schwächer werden.“

Die Berufung Abrahams und seine Auswirkung

Gottes Ruf an Abraham in 1. Mose 12,1-9 war vor allem ein Ruf ins Ungewisse. Er ist durch drei Dinge gekennzeichnet. 1. Eine unerwartete Herkunft. Blickt man auf die Familiengeschichte Abrahams und dessen Stammbaum in 1. Mose 11, wird klar, dass Gott Abraham aus Gnade allein beruft. Abrahams Familie war durch seinen Vater Terach in Götzendienst verstrickt (Jos 24,7). Abrahams Bruder verstarb und hinterließ drei Waisen. Abraham selbst hat eine unfruchtbare Frau. Aus rein menschlicher Perspektive wäre jeder andere der insgesamt sechzehn namentlich genannten Personen des Stammbaums besser geeignet, um der Vater eines großen Volkes zu werden. Doch Gott beugt sich in seiner Gnade zu Abraham hinab und ruft ihn mit seinem mächtigen Ruf aus diesen Verhältnissen heraus. Unvollkommene familiäre und persönliche Voraussetzungen sind für Gott – bis heute – kein Ausschlusskriterium, um uns zu rufen. 2. Gottes Ruf an Abraham ist gekennzeichnet durch eine ungewisse Zukunft. Gott hat eine zentrale Forderung an Abraham: „Geh!“. Er soll alle Sicherheiten aufgeben und sie letztlich gegen Ungewissheit eintauschen. Denn keine der Verheißungen Gottes ist zu diesem Zeitpunkt auch nur annähernd in Sichtweite für ihn. Doch er beweist großen Glauben und zieht los, ohne genau zu wissen wohin (Hebr 11,8). 3. Gottes Ruf an Abraham ist durch eine unvergleichliche Auskunft getragen. Gott verspricht Abraham, ihn ununterbrochen mit seinem Segen zu umgeben. Er genießt damit die volle Rückendeckung Gottes. Doch Abraham ist nicht der Endverbraucher des göttlichen Segens, sondern alle Völker sollen durch ihn gesegnet werden. In welcher Weise Gott diese Verheißung erfüllt hat, beantwortet Mt 1,1: Jesus ist dieser entscheidende Nachkomme Abrahams. Damit sind wir heute durch Abraham gesegnet und genießen, wie er, eine unvergleichliche Auskunft. Die Vergebung unserer Schuld und Gottes beständige Gegenwart durch seinen Geist in unserem Leben. Artur Reiswich

Thomas Müntzer – Ein deutscher Freiheitsheld

Thomas Müntzer gilt als der erste deutsche Freiheitsheld. Zunächst als Verbündeter Martin Luthers forderte der Prediger die Entmachtung der katholischen Kirche. Als sich seine Ideen immer weiter radikalisierten und er nicht nur die Abschaffung der Ablassbriefe anstrebte, sondern vielmehr eine gerechte Gesellschaftsordnung forcierte, wandte sich Luther von ihm ab.

Müntzers Bestrebungen waren mitverantwortlich für den Deutschen Bauernkrieg, auch die Revolution des gemeinen Mannes genannt, in der sich über 100.000 Bauern auf dem Schlachtfeld gegen die deutlich überlegenen Soldaten des Adels in der Hoffnung auf Freiheit stellten.

Am 27. Mai 1525 starb Müntzer, nachdem er nach der Schlacht von Frankenhausen inhaftiert wurde. Trotz der vorangegangenen Folter blieb Müntzer bis zu seinem Tode seinen Überzeugungen treu und wurde schließlich dafür geköpft.

Mehr zu der Beziehung von Müntzer und Martin Luther sowie Müntzers Rolle bei dem Bauernkrieg von 1524 bis 1525 inkl. Leseempfehlungen gibt es auf der wbg Community Plattform: https://tinyurl.com/yc2c85cp

Was ist ein Missionar?

Ein christlicher Missionar ist eine Person, deren innigster Wunsch es ist, den Herrn Jesus in der ganzen Welt bekannt zu machen. Er ist völlig dem Befehl des Königs (Jesus) ergeben, und er wird überall hingehen, unter allen Umständen, auch dann, wenn niemand jemals Notiz davon nimmt. Er weiß, dass sein Herr mit ihm ist und ihn in jeder Minute behütet; und das ist auch die einzige Anerkennung und Freude, die er sucht.
Aus der Bibel erkennen wir, dass alle Christen ständig jede Gelegenheit wahrnehmen sollten, die Ungeretteten zu Christus zu führen, egal, wo sie sich befinden, denn das ist das Vorrecht aller Christen. Aber ich glaube, dass zu viele Leute das Wort “Missionar” zu leichtfertig gebrauchen. Es ist ein Ausdruck, der in unserem alltäglichen christlichen Vokabular zunehmend missbraucht wird. Zu viele, die nicht an die Front des Schlachtfeldes gehen wollen, rechtfertigen ihren Ungehorsam gegen Gott damit, dass sie sagen, sie wären “Missionare, wo sie sind”. Ich glaube, dass “Missionar sein” im ursprünglichen Sinne des Wortes bedeutet, das Evangelium dorthin zu bringen, wo es noch nie richtig gehört worden ist. Ein wahrer Missionar ist jemand, der für die Rettung der Verlorenen in dieser Welt alles riskieren würde.
Natürlich kann, wie in jedem Kampf, nicht jeder an der Front stehen, denn es werden viele Dinge gebraucht, um die zu unterstützen, die dort sind. Aber du musst eine ganz klare Weisung vom Herrn haben, dass du dieser Front fern bleiben sollst, bevor du sicher sein kannst, dem Willen Gottes zu entsprechen. Es ist klar, dass auch viele Christen berufen sind, zu den Verlorenen in den Ghettos, Bordellvierteln und Homosexuellentreffs ihrer eigenen Städte zu gehen. Es wird auch immer wieder treue gläubige Frauen und Mütter geben, die sich darum bemühen, Jesus bei ihren Ärzten, Handwerkern, Lehrern und Nachbarn zu verkündigen. Diese Dinge erfreuen zweifellos Gottes Herz. Aber jeder Christ sollte immer willig und vorbereitet sein, auf “Abruf” alles zu verlassen und auf ein anderes Schlachtfeld in den Kampf gegen den Fürsten der Finsternis zu gehen, um Licht und Heilung zu bringen und “die Gefangenen zu befreien”.
Das Ziel eines wahren Missionars ist, seinen Herrn zu erfreuen und zu verherrlichen, indem er die ganze Welt in Seine Hände legt und unter Seine Herrschaft bringt. Es ist ihm egal, wo der Herr ihn hinführt, denn er ist überall in den Armen seines Vaters zu Hause, wie auch immer die Landschaft aussehen und welches auch immer die Landessprache sein mag. Missionare sind nur “Fremdlinge und Pilger” (1. Petr. 2,11). Sie befassen sich nicht mit belanglosen Dingen wie Wohnen und Annehmlichkeiten des Lebens. Sie sind Gottes Soldaten, vielleicht vor unseren Augen verborgen, aber den Seinen immer offenbar. Bitte, suche Ihn, um herauszufinden, ob du auch einer von denen sein solltest, die das Evangelium zu solchen Menschen bringen sollen, die es noch nie richtig gehört haben. K. Green

Klimaschutz ist unser Auftrag,aber es ist keine Ersatzreligion.

1 Wir verkündigen das Geheimnis des Glaubens und verkündigen Gottes Hoffnung für diese Welt. Waldbrände, welche durch den Klimawandel angeheizt werden, Dürren und Hochwasser lassen uns fassungslos werden. Wir wissen um das Seufzen der gesamten Schöpfung, die sich nach Erlösung sehnt (Römer 8,19–22). Dennoch macht uns die Auferstehung Jesu zu Hoffnungsträgern mitten im Sturm der Vergänglichkeit und gegen alle Weltuntergangsszenarien.
2 Wir wissen um die Kraft des Wandels im eigenen Herzen. Aus einem gottzugewandten Herzen wächst ein heilsames weltzugewandtes Handeln. Wir reden von der Heilung der kranken Schöpfung, und verweigern nicht den Blick auf den Zusammenhang mit der Sündhaftigkeit des Menschen. Die Sehnsucht nach Heilung darf uns nicht davor täuschen, dass die innere Heilung und somit die Sündenvergebung für Jesus die höchste Bedeutung besitzt.
3 Wir reden von der wunderschönen Schöpfungswelt Gottes. Naturerkundungen jeglicher Art führen zu einer Sensibilisierung für die Biodiversität (z. B. Artenvielfalt) und fördert das Staunen über die nicht aufhören wollende Kreativität Gottes.
4 Wir leben einen Lebensstil der Genügsamkeit und nehmen Anteil an lebensfördernden technischen Fortschritten. Gleichzeitig ermutigen wir andere Menschen, diesen Lebensstil auch zu leben. Wir wissen um die Verhältnismäßigkeit von persönlichem Engagement und weltweiter Wirkung und bleiben nüchtern in der Bewertung des persönlichen Lebensstils des anderen.
5 Wir bleiben sensibel für eine sachgerechte Diskussion und vertrauen dem Urteil seriöser Experten, ohne uns anmaßen zu wollen, dass wir mehr wissen als diese.
6 Wir schaffen Anreize für eine klimaschonende und schöpfungsorientierte Nachhaltigkeit in Bezug auf Mobilität sowie bauliche und energetische Maßnahmen. Wir geben diesen Themen eine sehr hohe Priorität und wünschen uns gleichzeitig für die Gemeinden bei der Umsetzung ein Höchstmaß an Freiheit und Flexibilität. Wir setzen im Raum der Kirche auf Förderstrukturen sowie Bewusstseinsbildung und nicht auf Verordnungen und Klimagesetze.
7 Wir stimmen sowohl in den Lobpreis als auch in den Klageruf der ganzen Schöpfung ein (Psalm 96,11ff.; Römer 8,23+26) und ermutigen zum Fürbittgebet für die Leidenden und Leidtragenden, aber auch für die Schöpfung und dafür, dass Menschen Gottes Schöpfungsauftrag gerecht werden.
Herr, ich sehe deine Welt, das weite Himmelszelt, die Wunder deiner Schöpfung. Darum bete ich dich an, weil ich nicht schweigen kann […] Peter Strauch 1979
https://lebendige-gemeinde.de/wp-content/uploads/2021/10/Klimagerechtigkeit-Glaube-und-Verantwortung_Position-und-Dialog_aus-LG_2021_03_Schoepfung-Klima-Verantwortung.pdf

„Seid beharrlich im Gebet und wacht in ihm mit Danksagung!“ Kolosser 4,2

Es gibt viele Missverständnisse in Bezug auf das Beten, dass es gut ist, sich von der Bibel immer wieder richtig auf die Kommunikation mit Gott auszurichten zu lassen. In Kolosser 4,2 begegnen uns drei Wegweiser:
„Seid beharrlich im Gebet und wacht in ihm mit Danksagung!“ Kolosser 4,2
„Seid beharrlich…“ – in vielen Religionen ist Gebet etwas, was man ableisten oder verrichten kann. Die Tätigkeitsworte sprechen bereits eine deutliche Sprache: Man setzt ein „Gebetsrad“ in Bewegung – aus Gewohnheit oder schlechtem Gewissen, und ist dann innerlich schon bei der nächsten Anforderung des Alltags. Aber Beten ist Reden mit dem Gott, an dessen Hand ich meinen Alltag meistern und gestalten darf. Und deshalb ist mein Engagement, mein Wille gefragt. Weißt Du abends noch, um was Du Gott morgens gebeten hast? Oder gestern? Oder letzte Woche? Beharrlich im Gebet sein – das bedeutet, bewusst in die Beziehung zu Gott zu investieren.
„Wacht im Gebet…“ – wer durch das Gebet mit seinem Vater im Himmel im Kontakt ist, der gibt sich nicht einer mystischen Selbstversenkung hin. Der begibt sich nicht in einer spirituellen Scheinwelt, sondern nimmt seine Umwelt, seine eigenen Motive und Entscheidungen, die Nöte anderer Menschen um so bewusster war. Klare Gebete brauchen einen klaren Verstand. So ist Gebet: Mit dem Herz im Himmel und mit beiden Beinen auf dem Boden.
Wer so aufmerksam betet, dem kann auch nicht entgehen, wie Gott Gebete beantwortet. Denn Gebet ist keine Einbahnstrasse, sondern Beziehungspflege. Viele Leute sind so mit ihren Bitten beschäftigt, dass sie gar nicht erkennen und dafür danken können, wenn Gott etwas bereits geschenkt hat! Wer „mit Danksagung“ betet, der hat offene Augen und ein dankbares Herz für das, was Gott in der Vergangenheit getan hat – und der wird dann auch mitbekommen, wenn Gott sein Gebet beantwortet. Mehr Beharrlichkeit, wachere Sinne und ein dankbareres Herz – so will ich beten.

Ist es wirklich so entscheidend, ob wir jetzt davon überzeugt sind, dass die Evangelien ganz und gar glaubwürdig sind? Welche Rolle spielt das für den ganz normalen, täglichen Glauben eines Christen?

Diese Frage stellte Markus Till an Dr. Peter J. Williams.
“Ja, ich denke, es spielt eine große Rolle. Ich meine: Die Realität ist ja auch wichtig, um es einmal so zu sagen. Ich meine: Wir sind inmitten einer Pandemie, in welcher die Realität eines Virus wichtiger ist als unsere Meinung über das Virus. Und manchmal, wenn Du eine falsche Meinung hast, dann wird das eine Zeit lang vielleicht funktionieren. Aber wenn sie nicht auf der Realität beruht, dann wird das ein Problem sein. Die grundlegenden Fragen lauten also: Ist Jesus real? Ist er wirklich von den Toten auferstanden? Kommt er wieder, um die Welt zu richten? Das sind Fragen über die Realität. Und es ist wichtig, dass man nicht denkt, dass es beim Glauben nur um eine subjektive, persönliche Überzeugung geht. In der Kirchengeschichte haben Christen das Christentum nie auf diese Weise gesehen. Das Neue Testament sieht das Christentum nicht auf diese Weise. Die Apostel sehen es nicht auf diese Weise. Und ich glaube nicht, dass Jesus das so gesehen hat. Es geht um die reale Welt.”Also die Frage nach der Glaubwürdigkeit ist wirklich so zentral für unseren Glauben? Muss man davon überzeugt sein, dass die Evangelien wirklich wahre Berichte sind?”Ja, ich würde sagen: Schau Dir an, was Jesus sagt, als er über das Alte Testament und die Auferstehung befragt wird. Er sagt folgendes: Gott sagt: Ich bin der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Und dann verwendet er das als Argument für seine Aussage. Wir müssen an die Auferstehung glauben, weil Abraham, Isaak und Jakob in gewisser Weise immer noch am Leben sind, weil Gott ihr Gott ist. Aber ebenso bedeutet das, dass man an die Historizität glauben muss. Man muss glauben, dass Abraham, Isaak und Jakob reale Menschen waren, weil Gott sich selbst als dieser Gott definiert hat. Gewissermaßen hat er sich selbst nach ihnen benannt. Wenn man also nicht an Abraham, Isaak und Jakob glaubt, dann glaubt man nicht an den Gott, über den die Bibel spricht.”

(Markus Till)

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Die Rede des Jahres 2021

Führungspersönlichkeiten in Staat und Gesellschaft können durch öffentliche Reden viel bewirken. Man denke nur an die Worte von Bundespräsident Weizsäcker am 8. Mai 1985 zum 40. Jahrestag des Kriegsendes. Diese Rede ist zu Recht in den Geschichtsbüchern gelandet. Auch in Litauen ist die politische Lage in dieser Coronakrise sehr angespannt, doch Präsident Nausėda fiel bisher nicht durch klare, Orientierung gebende Worte auf, im Gegenteil.
Dafür schlug im Spätsommer eine andere Rede wie eine Bombe ein. Auf der Jahreshauptversammlung der litauischen Rechtsanwaltskammer am 20. August stand natürlich auch eine Ansprache des Präsidenten der Kammer auf der Tagesordnung. Ignas Vėgėlė, Juraprofessor, Anwalt und seit 2014 in seinem Amt, nutzte die 20 Minuten für eine handfeste Überraschung. Aus der Perspektive eines Juristen warf er ein Licht auf die Coronamaßnahmen, deren weltanschaulichen und ethischen Zusammenhang sowie die Folgen. Ein mutiges und offenes Wort, das so in den vielen Monaten der Pandemie im Land noch nicht zu hören war.
Gleich eingangs legt Vėgėlė seinen Finger in eine offene Wunde und beklagt, dass den Nationalstaaten bestimmte Vorgehensweisen in der Pandemie mehr oder weniger vorgeschrieben werden. Es fällt sogar die Begriffe des „Weltgesundheitsministeriums“ und einer „entstehenden neuen [weltweiten] Ordnung“ von Big Pharma und Co. Für solche Sätze würde ihnen manche gerne in die Ecke der Verschwörungstheoretiker abdrängen, doch der Experte für Europarecht, der schon Fälle vor internationalen Gerichten vertreten hat, weiß, wovon er redet.
Vėgėlė kritisiert, dass die Rechtsprechung nun vermehrt der Kosten-Nutzen-Analyse unterworfen wird. Menschenrechte und Freiheiten werden nur respektiert, wenn es das Nützlichkeitsprinzip erlaubt. Rechtmäßig sei dann, was in der Situation nötig erscheint und hilft. Der 46-Jährige geht dabei auch auf den Faktor Angst ein. Die Angst um Leben und Gesundheit erschüttert nun sogar bisher unantastbare Grundrechte wie die Freiheit der Person, das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Dies habe zu einer kaum vorstellbaren Spaltung der Gesellschaft und Vorschlägen der Aussonderung von ganzen Menschengruppen geführt.
Dass nun staatlicher Zwang gerechtfertigt wird, um die Überlastung der Krankenhäuser zu verhindern, es also nicht um Herdenimmunität oder gar um die Ausrottung des Virus geht, ist laut Vėgėlė unhaltbar. Er hält fest: „Jeder Mensch muss selbstständig über einen Eingriff in seinen Körper entscheiden. Und eine solche Entscheidung muss auf Grundlage klarer Informationen gefällt werden. Das sagt das Völkerrecht, das sagt das EU-Recht, das sagt das nationale Recht.“
Dem Juristen macht besonders Sorge, dass nun manche der wichtigsten Gesetze des Landes mit Füßen getreten werden. Er nannte auch ein Beispiel: „Unter Missachtung des Bürgerlichen Gesetzbuches wurden [im Sommer] minderjährige Jugendliche dazu aufgefordert, sich ohne Zustimmung der Eltern impfen zu lassen.“ Die westliche Gesellschaft, so Vėgėlė, „basiert auf individuellen Rechten und Grundfreiheiten und wird von Anwälten und Juristen geschützt wird“. Diese Rechte und Freiheiten des Einzelnen „werden nun von der Staatsgewalt überschattet“. Die „Errungenschaften der westlichen Zivilisation“ wie die „Grundprinzipien der Rechtsstaatlichkeit“ sind aber nun in Gefahr, da sie von einer „utilitaristischen Weltanschauung“ (vereinfacht gesagt: gut ist das, was den meisten Nutzen bringt) bedroht werden.
Der Präsident der Antwaltskammer ruft seine Kollegen auf, gerade nun „die Selbstbestimmung jedes Einzelnen, die Achtung vor jedem Menschen, seine Rechte und Freiheiten“ zu verteidigen. „Dies wird in europäischen Rechtsdokumenten gelehrt und in der Verfassung der Republik Litauen verankert.“ Vėgėlė warnt vor der Aufteilung der Menschen in Gebildete und Rückständige, in Wissenschaftsgläubige und Skeptiker, in Zugewanderte und Bürger, und betont: „Wir sind alle Menschen und wir alle haben Glaubens- und Meinungsfreiheit sowie weitere Rechte und Freiheiten, die durch das Völkerrecht und die Verfassung garantiert sind.“
Schließlich geht er auf die Spaltung der Bevölkerung durch die Impfzertifkate wie in Litauen den „Paß der Möglichkeiten“ (Galimybių pasas, GP) ein. „Heute werden die einen ausgegrenzt, morgen die anderen“, so seine Warnung. Er wagt auch eine direkte Kritik der aktuellen Regierungspolitik: „Unter Verletzung des Grundprinzips der Nichtdiskriminierung und der Gleichheit vor dem Gesetz verbreitet der GP die fälschliche Nachricht über angeblich zusätzlich gewährte Rechte, die doch in einer demokratischen Gesellschaft allen seinen Mitgliedern gelten und grundlegend sind.“
Vėgėlė war auch bisher schon kein Unbekannter, aber diese Rede von zwanzig Minuten wurde rasend schnell im Internet verbreitet und machte die Aussagen des Juristen für Wochen zum Gesprächsstoff. Nun ist der immer sachlich auftretende Advokat, der aber auch keine klaren Worte scheut, fast jeden Tag in verschiedenen TV-Formaten, Interviews oder Podcasts zu Gast. Durch schmähende Kritik und Unterstellung von politischen Ambitionen läßt er sich ebenfalls nicht aus der Ruhe bringen. Vor etwa fünfzehn Jahren war er bei Christdemokraten aktiv und nahm auch höhere Posten in der Partei ein, weshalb ihm das Politgeschäft nicht fremd ist (die Christemokraten sind vor dreizehn Jahren in der heute regierenden „Vaterlandsunion“ aufgegangen).
Nicht zuletzt durch Vėgėlės Rede ist in Litauen im Herbst endlich ein breiterer Diskurs über die Coronamaßnahmen in Gang gekommen. Vor einigen Tagen nahm schließlich auch das Verfassungsgericht die Klage von zahlreichen Parlamentariern an und wird nun über die Rechtmäßigkeit des „Paßes der Möglichkeiten“ entscheiden müssen. Man darf gespannt sein, welche Achtung gegenüber der Verfassung dieses höchste Gericht zeigen wird – oder ob man doch der Politik das Wort redet. Holger Lahayne
http://lahayne.lt/2021/11/29/die-rede-des-jahres/