„I used to think that my life was a tragedy but now I realize
it’s a comedy.“
Joker
Dieser Film ist brutal1
Das Setting ist Gotham City im Jahre 1981 während eines Müllstreikes.
Der Protagonist heißt Arthur Fleck (gespielt von Joaquin Phoenix), ist
Anfang dreißig, wohnt bei seiner kranken Mutter (die er pflegt) und
arbeitet als Aushilfsclown, wobei er von einer Karriere als Standup
Comedian träumt. Arthur Fleck ist ein Außenseiter, der aufgrund seines
zwanghaften Lachens Verwirrung auslöst, verachtet und verhöhnt wird. Der
Bruch in Flecks Biographie summiert sich aus Missbrauch in der
Kindheit, mentaler Krankheit, Mobbing, Armut, Einsamkeit,
Arbeitslosigkeit, Vaterlosigkeit, Gewalt, Abweisung, sexueller
Frustration und Verhöhnung. „Als die Demütigungen zu viel werden,
reagiert er mit Gewalt und wird zum berüchtigten „Joker“. Der Film
zeichnet die Charakterstudie eines Mannes, der eigentlich eine tragische
Figur ist, aber zum Täter wird und damit obendrein zu einem dunklen
Massenidol.“2
Nachdem der Hauptdarsteller auf dem nach Hause Weg in der U-Bahn, noch
in Arbeitskleidung (Clownskostüm) drei Yuppies erschießt, wird er zum
Auslöser einer gesellschaftlichen Protestbewegung, deren Symbol die
Clownsmaske ist. Der sozialpolitische Protest entzündet sich hierbei
zwischen Arm und Reich. Menschen aus den unteren Schichten werden in
einer Szene von dem Milliardär Thomas Wayne (Batmans Vater) als „Clowns“
bezeichnet, was möglicherweise eine Anspielung an Hillary Clintons
„basket of deplorables“ ist. Überhaupt ist der Joker als Vorbild einer
sozialen Bewegung eine Referenz zu unserer Zeit. Ein Clown als
Führungsfigur ist die maximale Kritik an den politischen Verhältnissen.
Es ist als würde der Populismus dem Establishment zurufen: „Seht her,
selbst der Kasper kann es besser als ihr.“3 Jedoch entzieht sich der Joker in typisch postmoderner Manier einer gesellschaftspolitischen Eindeutigkeit:
„Konservative Kritiker warfen dem Film vor, eine linke
Agenda zu verfolgen. Was nicht von der Hand zu weisen ist: Eine
Nebenhandlung ist eine vom „Joker“ inspirierte Protestbewegung, welche
gewalttätig gegen die soziale Ungleichheit in Gotham City demonstriert.
Die Reichen sind das Feindbild. Linke Kritiker wiederum werfen dem Film
„toxische Maskulinität“ vor. Er legitimiere zudem genau die Agenda, die
Trump ins Amt brachte.“4
Für den Charakter des Jokers gibt es bisher keine definitive Ursprungsgeschichte5, somit ist dieser Film vom Regisseur Todd Phillips als Versuch der Kanonisierung der Gründungserzählung zu verstehen.6
Joker zeigt die Metamorphose eines Mannes zum Mephisto von Gotham. Mit jedem Mord den Arthur Fleck/Joker begeht (es sind mindestens sechs) steigert sich seine Amoralität. Die Verwandlung von Mensch zum Mythos erlebt ihren Höhepunkt, als der Protagonist in die Live Comedy Show seines Vorbildes Murray Franklin (Robert DeNiro) eingeladen wird. Dort lässt er sich bereits als Joker vorstellen, propagiert Subjektivismus („comedy is subjective“) und moralischen Relativismus, bekennt sich zu den U-Bahn Morden und erschießt schließlich sein (Ex-)Vorbild vor laufender Kamera. Der Joker ist eine fluide Persönlichkeit; ein Trickster und ein Nihilist. „Der Trickster ist eine stark ambivalente Figur. Er verkörpert das Prinzip der Vereinigung von Gegensätzen […]“7 Gegen Ende des Films sagt der Joker: „I don’t believe in anything“ und „I have nothing left to lose.“ Dies sind typische nihilistische Glaubenssätze. Er akzeptiert keine Moral, die über sein eigenes Selbst hinausgeht. Daher überrascht es nicht, dass der Joker als ein Beispiel für Nietzsches Übermenschen beschrieben wird.8
Ein Unterschied besteht darin, dass der Joker weniger vom Willen zur Macht als vom Willen zum Chaos getrieben wird. Macht und Gewalt sind Mittel zum Chaos, wobei er Chaos als Zustand der Erlösung begreift. In der Anti-Philosophie des Jokers ist diese Selbstermächtigung durch Gewalt nur durch die Verneinung der Transzendenz möglich. Die Selbstverwirklichung des Jokers vollzieht sich ausschließlich im Kontext der Immanenz: Er ist ein säkularer Satan. Das Lachen des Jokers entpuppt sich als die vertonte Fratze des souveränen Selbst. Die Leistung des Films besteht darin, diesen Sachverhält durch einen tanzenden und tötenden Clown ästhetisch düster zu veranschaulichen und somit unserer Kultur den Spiegel vorzuhalten. 9 Der Joker ist ein extremes Beispiel für die spätmoderne Tendenz der westlichen Gesellschaften keine objektiven moralischen Maßstäbe anzuerkennen. Absolute sind out! In der letzten Comedy Show Szene konfrontiert der Joker Gothams Meinungsführer mit genau diesem Sachverhalt. Als er sich zu den U-Bahn Morden bekennt wird er verurteilt; seine Rechtfertigung besteht im Verweis auf einen radikalen Subjektivismus, dem sich die Bürger Gothams längst unterworfen haben. Dadurch wird die Gesellschaft der moralischen Heuchelei überführt. Ein Unterschied zwischen der Mehrheitsgesellschaft und dem Joker besteht jedoch möglicherweise darin, dass sich erstere auf einen Konsens des Gruppenrelativismus geeinigt hat, dem sich der Joker nicht mehr anschließt. Moral ist in Gotham letztlich nur noch eine Frage der Mehrheitsverhältnisse. Die Kritik weiterer Charaktere an dem Joker lässt sich mit einem Satz zusammenfassen: „Du liegst falsch, weil wir es sagen.“ Das ist eine sehr dünne Begründung für Ethik. Genau hier liegt die Krux: Die Verneinung der Transzendenz führt in ihrer Konsequenz zum Joker. Er ist der personifizierte Nihilismus, der Über-Mensch; ein wahrer Nihilist. Für den Joker ist dieser Weg der Pfad der Erlösung. Die Absolutsetzung des Ichs befreit ihn von gesellschaftlichen Zwängen, sie befreit ihn von der herabwürdigenden Außenwahrnehmung seiner Mitmenschen und letztendlich befreit sie ihn davor sich selbst zu problematisieren. Die Ursünde, totale Autonomie, wird zur Erlösung verklärt. 10 Das ist das Anti-Evangelium des Jokers. Dieser Film ist auf drei Ebenen zutiefst antichristlich: Erstens in der Verneinung der Transzendenz. Joker widerspricht dem biblischen Weltbild; die 122 Minuten Spielzeit sind durchtränkt von einer tiefen Gottlosigkeit.
Zweitens predigt der Film Selbsterlösung. Joker verkennt, dass Erlösung von Schuld und Pein nicht im Selbst, sondern in Jesus Christus liegt. Nicht Selbstermächtigung durch radikalen Subjektivismus ist der Weg, sondern Selbstkreuzigung als Folge des rettenden Glaubens an den Sohn Gottes. Wie gut, dass der Arm Gottes nicht zu kurz ist, um selbst einen Joker (und dessen Nachfolger) zu erreichen. Drittens in Bezug auf die Zukunftsperspektive. Die filmische Erzählung ist von einer starken Hoffnungslosigkeit geprägt.11 Das Narrativ lässt es am Ende zumindest offen, ob der Joker in der Lage sein wird das Evangelium der Selbsterlösung durch einen konstanten performativen Akt aufrechtzuerhalten. Das Christentum hingegen bietet eine bessere Zukunftsperspektive. Die christliche Offenbarung kommuniziert das Metanarrativ der Hoffnung, denn der, welcher ein gutes Werk in den Christen begonnen hat, wird es auch vollenden bis auf den Tag Jesu Christi (Phil. 1,6).
Lars Reeh
https://theoblog.de/joker-das-lachen-der-postmoderne/34074/