Albrecht Dürer (1471–2021)

Zum 550. Geburtstag des Künstlergenies aus Nürnberg

Der erste Künstler

Seine „Betenden Hände“ sind heute eines der weltweit beliebtesten Tattoo-Motive, aber auch in vielen Stuben hängt eine Reproduktion der Zeichnung. Diese ungewöhnliche Ikone entstand 1508 als Teil der Studie eines Apostels auf dem sog. Heller-Altar (Himmelfahrt und Krönung Mariens) – ein eher unscheinbares Detail, dem Albrecht Dürer aber große Aufmerksamkeit widmete. Der im Mai vor 550 Jahren in Nürnberg geborene Künstler ist Kult – und das seit Jahrhunderten.

Ob nun in Druckgraphik, Malerei oder Zeichnung – an der Schwelle zur Neuzeit hob Dürer die Kunst nördlich der Alpen fast schon im Alleingang auf ein ganz neues Niveau. Sein einsichtiger Vater ließ den Fünfzehnjährigen vom Goldschmiedehandwerk der Familie zur Ausbildung in Malerei wechseln. Schon mit Anfang Zwanzig schuf Dürer dann auf seiner ersten Italienreise wie nebenbei das Landschaftsaquarell als eigenständiges Genre. Bald tauchten auch beeindruckend lebensnahe Wiedergaben von Tieren aller Art auf: Man denke nur an den berühmten ruhenden Hasen in Aquarell und das Große Rasenstück aus dem Jahr 1503. Der neue Blick auf das Unscheinbare zeigt sich fast in jedem Werk wie auch bei den Hausschweinen im Verlorenen Sohn (1496). Dank dieses Kupferstiches können Kulturhistoriker nun recht genau sagen, welche Art von Vieh damals in deutschen Ställen stand.

Dürer begründete auch das in Kupfer gestochene Portrait. Mit viel Einfühlungsvermögen stellte er zum Beispiel Philipp Melanchthon dar. Der Künstler kannte Luthers Freund und Mitstreiter wohl seit 1518. Seine Darstellung prägte die Vorstellung des Aussehens des Reformators nachhaltig. Welche Brillanz Dürer erreichte, wird im Bildnis von Erasmus von Rotterdam (ebenfalls 1526 entstanden) erkennbar. Der Kupferstich in Größe einer Buchseite zeigt in einem seither kaum wieder erreichten Detailreichtum, dass hier ein früherer Lehrling eines Handwerkes der feinsten Handarbeit gearbeitet hat.

Ein Vergleich mit Werken anderer Künstler der Epoche lässt auf den ersten Blick erkennen, welche Virtuosität Dürer auch in der Technik des Holzschnitts erlangte. Aus der „Apokalypse“ von 1498 sind bis heute die alles niedertrampelnden vier apokalyptischen Reiter allseits bekannt. In fünfzehn Holzschnitten hatte Dürer Szenen aus teilweise auseinanderliegenden Textstellen der Offenbarung zusammengestellt. Es gelang dem noch jungen Künstler die Illustration eines außerordentlich schwierig darzustellenden Textes. Dürer gestaltete, komponierte und finanzierte dieses große Projekt in Eigenregie; es war also, anders als damals üblich, kein Auftragswerk. Die heimlich offenbarung iohannis ist das erste große Kunstwerk der Neuzeit, das in Herstellung und Vertrieb allein vom Künstler betreut wurde.

Neben der Apokalypse entstanden in späteren Jahren vier weitere Illustrationsserien: das Marienleben, die Große und Kleine Passion (Holzstich) und die Kupferstichpassion. Johann Konrad Eberlein schreibt in seinem Buch Albrecht Dürerohne zu übertreiben: „Dürer erweist sich als ein Meister von unerschöpflicher Phantasie und Darstellungskraft. Ein Mann allein schuf eine ganze Ikonologie der christlichen Bilderwelt.“

Den Geist eines neuen Zeitalters symbolisieren natürlich auch Dürers Selbstbildnisse. Das Gemälde aus dem Jahr 1493 zeigt den jungen Mann, der den Betrachter direkt anblickt. Das heute im Louvre hängende Werk ist eines der ersten vollwertigen Selbstportraits eines Künstlers überhaupt (erst etwa zehn Jahre später malte Raffael in Italien sein Konterfei; wie Dürer zeichnete sich auch dieser schon als Jugendlicher selbst). „Meine Lebensschicksale ruhen in Gottes Hand“, so in Hochdeutsch ganz oben als eine Art Bildüberschrift. Es folgten nur noch zwei Gemälde: ein weiteres im Halbportrait 1498 und schließlich das Selbstbildnis im Pelzrock aus dem Jahr 1500.

Darin schaut der kaum Dreißigjährige den Betrachter frontal an. Solch eine Darstellung war bisher eigentlich Christus vorbehalten. Es wundert daher nicht, dass die Interpretation des berühmten Werkes, das 1805 aus Nürnberg nach München gelangte, bis heute vieldiskutiert ist. Ein narzisstisches oder gar gotteslästerliches Motiv ist aber als Deutung gewiss auszuschließen. Möglicherweise ging es Dürer in erster Linie um die Annahme der Malerei unter die sieben freien Künsten an der neuen Universität Wittenberg, also um die Etablierung der Malerei als universitär lehrbarer Disziplin. Jedenfalls kann gesagt werden, dass das Werk ikonographisch den ersten Abschluss einer langen Entwicklung ausdrückt, die Larry Siedentop vor einigen Jahren im gleichnamigen Werk „die Erfindung des Individuums“ nannte.

Mit Dürer wurde die Entwicklung vom anonymen Handwerkskünstler des Mittelalters zur individuellen Künstlerpersönlichkeit klar erkennbar abgeschlossen. Und wieder setzte der Nürnberger dabei ein neues Zeichen: sein persönliches Monogramm. Das A mit einem D unter dem Querstrich findet sich auf so gut wie allen Arbeiten Dürers und macht ihn damit auch zum Erfinder des Markenartikels. Der Künstler als Unternehmer begann sich um den Schutz seiner Werke zu kümmern, denn damals waren Plagiate nicht unüblich.

Der evangelische Christ

Jahrzehntelang war Dürer fest in das religiöse Leben seiner Zeit eingebunden. Themen seiner Kunst waren biblische Geschichten, antike Mythen sowie Personen und Überlieferungen der Kirchengeschichte. Am häufigsten stellte Dürer den Kirchenvater Hieronymus dar, den Schöpfer der lateinischen Vulgata-Bibel. 1511 illustrierte er in einem Schnitt die Gregorsmesse: Papst Gregor (6. Jhdt.) erscheint während der Messe auf dem Altar Jesus als Schmerzensmann; dies galt als Beweis der Lehre von der Transsubstantiation. Kaum zehn Jahre später sollte Dürer über das Abendmahl ganz anders denken.

Über Dürers persönlichen Glaubensweg wissen wir aus direkter Quelle nur wenig. Offensichtlich gehörte er aber zu den frühen Anhängern Luthers und der evangelischen Lehre. Dem Wittenberger Professor schickte er schon Anfang 1518 eine Druckgraphik zu. Im Herbst des Jahres trafen sich beide sogar in Nürnberg, als Luther sich auf der Rückreise vom Reichstag in Augsburg befand. Und 1520 schrieb Dürer an den kursächsischen Hofkaplan Georg Spalatin:

„Und hilf mir Gott, dass ich zu Doctor Martinus Luther komme, so will ich ihn mit Fleiß portraitieren und in Kupfer stechen zu einem langen Angedenken des christlichen Manns, der mir aus großen Ängsten geholfen hat.“

Im Brief bat er außerdem um die Zusendung aller neuen deutschsprachigen Lutherschriften. Zu einer Darstellung Luthers durch Dürer kam es aber nie.

„Es war damals also alles andere als ein Geheimnis, dass der berühmteste Künstler Deutschlands die kirchliche Reformbewegung mit Sympathie betrachtete.“
Der Nürnberger Ratsschreiber Lazarus Spengler, der, so Luther, „allein das Evangelium in Nürnberg eingeführt hat“, war einer der engsten Freunde Dürers. Er widmete Dürer seine Schrift Ermahnung und Unterweisung zu einem tugendhaften Leben (1520). Das gleiche tat im Herbst 1521 Andreas Bodenstein, genannt Karlstadt, damals noch in Wittenberg. Er stellte seinem Werk Von Anbetung und Ehrerbietung eine Widmung an Dürer voran. Es war damals also alles andere als ein Geheimnis, dass der berühmteste Künstler Deutschlands die kirchliche Reformbewegung mit Sympathie betrachtete.

Dürer-Experte Thomas Schauerte hat sicher recht: „Dürers Beziehungen zum neuen Glauben wurzeln […] im Humanismus.“ (Dürer. Das ferne Genie) Dies war damals nichts Ungewöhnliches. Dürer hatte keine höhere Schulbildung genossen, konnte kein Griechisch und kaum Latein, war jedoch mit Humanisten wie dem Nürnberger Willibald Pirckheimer befreundet, traf persönlich auch Erasmus von Rotterdam – beide hielten letztlich am katholischen Glauben fest.

Dass Dürer aber persönlich mit dem Anliegen der Reformation verbunden war, zeigt seine sog. „Lutherklage“ vom Mai 1521. Der Künstler war gerade auf einer Reise in den Niederlanden, als Luther nach dem Reichstag in Worms verschwand. Natürlich wusste damals auch Dürer noch nichts vom Aufenthalt des Mönchs auf der Wartburg. In sein Tagebuch schrieb er:

„Und lebt er [Luther] noch oder haben sie ihn ermordet, was ich nicht weiß, so hat er dies erlitten um der christlichen Wahrheit willen und weil er das unchristliche Papsttum gestraft hat, das da gegen die Befreiung durch Christus ankämpft.“

Fast resigniert beklagte Dürer, was „die Tyrannei der weltlichen Gewalt und die Macht der Finsternis vermag“. Und wenn Luther tot ist, „wer wird uns hinfort das heilige Evangelium so klar vortragen?“ Gott möge dann „einen anderen erleuchteten Mann senden“.

Dürers Hinwendung zur Reformation spiegelte sich auch in seinen Werken wider. Nachdem der Künstler in Jahrzehnten in insgesamt 18 Drucken und mehreren Gemälden Maria thematisiert hatte, tauchten nach 1520 auf einmal keine Madonnen-Darstellungen mehr auf. 1523 bemerkte er handschriftlich unter einer Darstellung einer Wallfahrt zu einem Marienbildnis in Bayern: „Dies Gespenst hat sich wider die Heilige Schrift erhoben zu Regensburg“; der Bischof fördere den Kult aus reiner Profitgier („zeitlich Nutz halben“). Auch ein Brief Dürers vom Ende des Jahres 1524 ist zu nennen, in dem er über die Evangelischen schreibt: „Wegen des christlichen Glaubens müssen wir in Gefahr und Schmach gelangen, denn man schmäht uns, nennt uns Ketzer.“ Schließlich ist auf eine Inschrift im kunstdidaktischen Werk Unterweisung der Messung (1525) hinzuweisen: „Das Wort Gottes bleibt ewig; dieses Wort ist Christus, das Heil aller Christgläubigen“ – in dieser Formulierung ein klares Bekenntnis zum evangelischen Glauben.

Übrigens traf Dürer im Jahr 1519 aller Wahrscheinlichkeit nach auch Huldrych Zwingli. Im Dezember 1523 ließ er in einem Brief Grüße an den Zürcher Reformator ausrichten. Es gibt Hinweise darauf, dass Dürer in seinem letzten Lebensjahrzehnt eher der oberdeutsch-schweizerischen als der lutherischen Abendmahlsauffassung zuneigte. Das endgültige Auseinandergehen des lutherischen und reformierten Zweiges nach dem Religionsgespräch in Marburg 1529 erlebte Dürer nicht mehr, denn er starb 1528.

Der lehrende Maler

Im neunzehnten Jahrhundert wurde Dürer national und konfessionell vereinnahmt. So schrieb der Theologe Christian Ernst Luthardt 1875, dieser sei „der deutscheste aller deutschen Künstler, und der evangelischste“. Dies führt jedoch an den Absichten Dürers vorbei. Der zweite Superlativ ist auch deswegen schon überzogen, weil der Nürnberger die Bilderstürmerei und die allgemeine Ablehnung der religiösen Kunst bei manchen Reformationsanhängern naturgemäß sehr kritisch betrachtete. Er bedauerte, „dass jetzt bei uns und zu unserer Zeit die Kunst der Malerei durch einige sehr verachtet wird“.

Dürer wollte nie künstlerisches Sprachrohr der Reformation werden. Er wurde nicht zum „Maler der Reformation“ wie Lucas Cranach d. Ä., illustrierte keine Flugblätter und Schriften der Reformatoren. Wiederum in den Spuren des Humanismus sah er sich eher selbst als Lehrer – als pictor doctus, als gelehrter und lehrender Maler oder Künstler. Dem entspricht der hohe Anspruch seiner didaktischen Werke: Ein Unterricht der Malerei, ein umfassendes und praktisches Handbuch für die Führung einer Malerwerkstatt, nahm Dürer in Angriff; es blieb jedoch nur Projekt. 1525 erschien aber Unterweisung der Messung mit dem Zirkel und Richtscheit. Dürer selbst, der Autodidakt in Mathematik, gibt darin Künstlern ein Lehrbuch in angewandter Geometrie an die Hand. 1527 folgte die Befestigungslehre, und im folgenden Jahr, schon nach Dürers Tod, kam die Proportionslehre aus dem Druck. Dieses dritte theoretische Werk führt den bildenden Künstler oder Kunsthandwerker u.a. in die Perspektive ein. Bis heute bekannt ist die Illustration des „Zeichnern der Laute“. Bedenkt man, dass Dürer keine Universität besucht hatte und auch diese Werke weitgehend allein konzipierte, wird die Größe seiner Leistung erkennbar.

Abschließend muss auf ein Meisterwerk Dürers eingegangen werden, das ebenfalls belehrenden Charakter hat: die „Vier Apostel“ aus dem Jahr 1526. In einem Handbuch der Malerei von 1837 heißt es geradezu feierlich zu dem großformatigen Zweitafelbild: „Das erste vollendete Kunstwerk, welches der Protestantismus hervorgebracht hat.“ Heute meinen Experten wie Schauerte, dass man bei den Aposteln „das eigentliche Schlachtfeld der Meinungen in der Auseinandersetzung um Dürers religiöse Überzeugung betritt“ (Dürer als Zeitzeuge der Reformation).

Die „Vier Apostel“ stellt Johannes, Petrus, Paulus und Markus dar. Der Evangelist Markus war zwar kein Apostel wie die drei anderen, doch der Titel des Bildes setzte sich schon früh durch. Auf der linken Tafel ist der jugendliche Johannes zu sehen, hinter ihm verdeckt steht Petrus, erkennbar an seinem Schlüssel. Beide blicken in eine biblische Schrift, das Johannesevangelium. In der rechten Tafel schaut Markus (mit einer Schriftrolle) Paulus an. Dieser dominiert mit seinem Gewand die rechte Bildhälfte, hält in der einen Hand ein Schwert, in der anderen ein geschlossenes Buch und blickt den Betrachter direkt an.

Die „Apostel“ befinden sich heute in der Alten Pinakothek in München. Während des Dreißigjährigen Kriegs gelangte das Werk in den Besitz der Wittelsbacher. Ursprünglich waren die beiden Tafeln aber ein Geschenk Dürers an den Rat seiner Heimatstadt Nürnberg. Die Reichsstadt hatte gerade erst die Reformation eingeführt. Mit dem Werk knüpfte der Künstler an der Tradition mittelalterlicher Rathausbilder an, die zur guten Regentschaft ermahnten.

Der Rat der Stadt wird in zwei Inschriften an der Sockelleiste der beiden Tafeln direkt angesprochen. Der Text besteht aus einer Überschrift und vier auf die Dargestellten bezogenen Bibelzitaten nach der damals neuen Übersetzung Luthers. Ganz evangelisch wird die Stadtregierung aufgefordert, das Bibelwort zu respektieren und durch die Dargestellten ermahnt, nicht religiösen Verführern, den „falschen Propheten“, zu folgen. Ins Hochdeutsche übertragen beginnt die Inschrift wie folgt:

„Alle weltlichen Regenten sollen in diesen gefährlichen Zeiten in entsprechender Weise darauf Acht haben, dass sie an Stelle des göttlichen Wortes nicht menschliche Verführungen annehmen. Denn Gott will nicht, dass etwas zu seinem Wort hinzu oder hinweg genommen wird. Deshalb soll die Warnung dieser vier vortrefflichen Männer – Petrus, Johannes, Paulus und Markus – gehört werden.“

Anschließend wird 2. Petrus 2,1–3 zitiert: eine strenge Warnung vor „falschen Propheten“ und „falschen Lehrern, die verderbliche Irrlehren einführen und verleugnen den Herrn“. Es folgen ähnliche Ermahnungen aus 1. Johannes 4,1–3 und 2. Timotheus 3,1–7. Schließlich zitiert Dürer Markus 12,38–40, die „Warnung vor den Schriftgelehrten“, die das Ansehen in der Gesellschaft genießen und nach Ehre streben, doch „sie fressen die Häuser der Witwen und verrichten zum Schein lange Gebete.“

Dass der Rat der Stadt vor allem mit Bibelzitaten ermahnt wird, ist natürlich kein Zufall. Dies entsprach ganz dem neuen evangelischen Glauben. Und die linke Tafel unterstreicht optisch: Die Bibel selbst muss gelesen und studiert werden. Nur wer die Botschaft der Bibel tatsächlich kennt, kann sie auch gegen die falschen Propheten verteidigen. Johannes und Petrus veranschaulichen diesen Aspekt durch ihr vertieftes Blicken in das Buch. Paulus auf der rechten Tafel stellt einen zweiten wichtigen Aspekt dar: die wachsame Verteidigung des biblischen Glaubens. Traditionell wird er mit einem Schwert abgebildet, das Instrument seines Martyriums, aber auch das „Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes“ (Eph 6,17). Die biblische Botschaft ist also zu studieren; dies wiederum ermöglicht ihre wirkungsvolle Verteidigung gegen die „Anschläge des Teufels“ (Eph 6,11) – konkret die Verführungen der Irrlehrer.

„Die zivile Gewalt in Stadt und Staat hat an der göttlichen Gerichtsbarkeit teil, wird aber wiederum von ihr gerichtet werden. Denn die Maßstäbe des Wortes Gottes gelten überall, auch für die zivile Obrigkeit.“
Dürers monumentale „Vier Apostel“ gelten als das künstlerische wie politische Vermächtnis des Nürnbergers. Kein Wunder, dass es auch zu diesem Werk zahlreiche Interpretationen gibt. Schauerte erkennt in den zwei Tafeln ein „gemaltes Plädoyer für den Wert der bedrohten Kunst und gegen Bilderverbot und Ikonoklasmus“. Andere sahen in den vier Gestalten symbolische Darstellungen der vier Temperamente der Antike. Doch man sollte nicht zu schnell an der wichtigsten Pointe der Gesamtkomposition vorbeigehen. Die „Apostel“ sind ein Lehrstück der politischen Ethik; und in die zu Belehrenden bezog sich Dürer gewiss auch selbst ein, war er doch seit 1509 Mitglied des Großen Rats der Stadt Nürnberg.

Die politische Grundaussage des Werks ist, so schon die Präambel der Inschrift, dass das Wort Gottes herrschen solle – nicht die Kirche (Petrus mit seinem Schlüssel als angeblich erster Stellvertreter Christi ist „unkatholisch“ nach hinten gerückt), auch nicht Menschen als oberste Instanz (keiner der vier Männer konfrontiert den Betrachter direkt, Paulus Körper ist abgewendet, er blickt nur aus dem Augenwinkel). Die zivile Gewalt in Stadt und Staat hat an der göttlichen Gerichtsbarkeit teil, wird aber wiederum von ihr gerichtet werden. Denn die Maßstäbe des Wortes Gottes gelten überall, auch für die zivile Obrigkeit.

Dürer wollte mit den „Aposteln“ der Stadt ein Werk zum „Gedächtnis“ hinterlassen, so mehrfach im die Schenkung begleitenden Schreiben. Bis heute kann dieses Hauptwerk als Markierungen in „gefährlichen Zeiten“ dienen, in denen selbst Verfassungen nicht mehr allzu viel gelten und der Staat außer Rand und Band zu geraten droht.
Holger Lahayne ist Missionar in Litauen. Er arbeitet als Zweitpastor der ev.-reformierten Gemeinde in Vilnius und unterrichtet an einer theologischen Ausbildungsstätte im Land. Außerdem leitet er den Vorstand der litauischen Studentenmission LKSB. Er bloggt unter lahayne.lt.
https://www.evangelium21.net/media/2809/albrecht-duerer-1471-2021

Augustinus: Gottesstaat und Menschenstaat

Aurelius Augustinus unterscheidet in seiner – allerdings noch nicht voll entwickelten – »Staatstheorie« zwischen einem vergänglichen Staat, in dem der Mensch mit Macht regiert und einem unvergänglichen Staat, zu dem diejenigen gehören, die sich von der himmlischen Liebe leiten lassen (De civitate Dei XIV,28):

Demnach wurden die zwei Staaten durch zweierlei Liebe begründet, der irdische durch Selbstliebe, die sich bis zur Gottesverachtung steigert, der himmlische durch Gottesliebe, die sich bis zur Selbstverachtung erhebt. Jener rühmt sich seiner selbst, dieser »rühmt sich des Herrn«. Denn jener sucht Ruhm von Menschen, dieser findet seinen höchsten Ruhm in Gott, dem Zeugen des Gewissens. Jener erhebt in Selbstruhm sein Haupt, dieser spricht zu seinem Gott: »Du bist mein Ruhm und hebst mein Haupt empor.« In jenem werden Fürsten und untertworfene Völker durch Herrschsucht beherrscht, in diesem leisten Vorgesetzte und Untergebene einander in Fürsorge und Gehorsam liebevollen Dienst. Jener liebt in seinen Machthabern die eigene Stärke, dieser spricht zu seinem Gott: »Ich will dich lieben, Herr, meine Stärke.«
https://theoblog.de/augustinus-gottesstaat-und-menschenstaat/11872/

Dürfen Christen einen Arzt aufsuchen?

Es gibt viele Menschen, die sich so sehr dem Willen Gottes hingeben wollen, dass sie darüber alle Ärzte und Medikamente verachten und sich selbst dadurch des Öfteren vernachlässigen.
Sie sagen nämlich: »Ich habe mich nun einmal Gott hingegeben, er muss mein Arzt sein, und ich will von keinem Menschen Rat oder Medikamente annehmen.« Diese Menschen handeln zwar nicht falsch, wenn sie sich Gott vertrauensvoll ergeben. Dass sie jedoch nicht erkennen, wie Gott an allen seinen Geschöpfen durch angemessene natürliche Mittel handelt, ist ein Fehler und Missverständnis. Wir reden hier aber nicht von Wundern und Zeichen, sondern vom üblichen Lauf der Natur, wie ihn Gott eingepflanzt und erschaffen hat. Gott könnte alle Welt auf wundersame Weise speisen, wie er im Evangelium fünftausend Mann mit fünf Broten und danach viertausend mit sieben Broten speiste (vgl. Mt 14,13–21; 15,32–39). Aber er hat den Ackerbau eingesetzt, um die Welt zu ernähren. Wer nun sagen wollte: »Ich habe mich Gott hingegeben, der wird mich wohl speisen, ich muss weder säen noch ernten«, der würde nicht nur der Ordnung Gottes widersprechen und ihr zuwiderhandeln, sondern Gott versuchen. Ebenso hätte Gott das Rote Meer in einem Augenblick ohne Mitwirkung anderer Naturgewalten zerteilen können. Er ließ aber die ganze Nacht hindurch einen starken Wind wehen, um seinem Volk den Weg zu bereiten (vgl. Ex 14,21). Genauso könnte Gott auch in einem Augenblick alle Krankheiten über den Menschen ausschütten und sie in einem anderen Augenblick wieder von den Menschen fortnehmen. Gott verwendet aber passende Mittel und schickt den Menschen die Krankheiten durch schlechte und verdorbene Luft, durch Speise und Trank sowie durch Magenbeschwerden. Entsprechend nimmt er die Krankheiten durch Arzneien auch auf angemessene und natürliche Weise hinweg. Denn es kann doch niemand leugnen, dass Gott den Wurzeln und Kräutern eine besondere Kraft und Wirkung verliehen hat. Mein Lieber, warum sollte also niemand mehr als Arzt tätig sein?
Gott wollte König Hiskia von den Geschwüren der Beulenpest heilen und befahl ihm, Arznei für den Körper zu nehmen (vgl. Jes 38,21). Und der heilige König war nicht so ungefügig und widerspenstig, dass er geredet hätte: »Will Gott mich heilen, so kann er es wohl, was sollten da die Feigen auf dem Geschwür nützen?« Denn es steht im zweiten Buch der Könige, Kapitel 20, geschrieben [2Kön 20,7]: »Und Jesaja sprach: Bringt ein Feigenpflaster her. Und als sie es brachten, legten sie es auf das Geschwür, und er wurde gesund.«
Heinrich Bullinger (Schriften I, 2004, S. 115–117)

Bullinger darf wieder zwitschern

Heinrich Bullinger darf wieder zwitschern. Twitter hat die Sperrung des Accounts nach zweimaligem Nachfragen aufgehoben und sich mit folgenden Worten entschuldigt: 

Hallo,

hiermit teilen wir dir mit, dass wir die Sperrung deines Accounts aufgehoben haben. Vielen Dank für deine Geduld.

Zum Hintergrund: Wir verfügen über Systeme zum Finden und Entfernen automatisierter Spam-Twitter-Accounts. Es sieht so aus, als sei dein Account versehentlich als Spam eingeordnet worden. Das kann vorkommen, wenn ein Account automatisierte Verhaltensweisen zeigt, die gegen unsere Regeln verstoßen.

Wir entschuldigen uns für das Versehen und hoffen, dich bald wieder bei Twitter zu sehen. 

Der Account ist erreichbar unter: twitter.com.
https://theoblog.de/bullinger-darf-wieder-zwitschern/36744/

Der Anspruch Sünden zu vergeben

Jesus tat außergewöhnliche Dinge, die seinen Anspruch, selbst Gott zu sein, bestätigten. „Ein Teil dieses Anspruchs rutscht oft unbemerkt an uns vorüber, weil wir ihn so oft gehört haben, dass wir uns seine Bedeutung nicht mehr klarmachen. Ich meine den Anspruch, Sünden zu vergeben: Sünden jeglicher Art. Käme dieser Anspruch von jemand anderem als Gott höchstpersönlich, wäre er so absurd, dass man nur lachen könnte. Dass einer ein Vergehen verzeiht, das gegen ihn selbst begangen wurde, ist uns nichts Unbegreifliches. Sie treten mir auf die Zehen; ich verzeihe ihnen. Sie stehlen mein Geld; ich verzeihe ihnen. Aber was würden wir von einem halten, den niemand überfallen und niemand auf den Fuß getreten hat, aber der ihnen verkündet, Ihnen vergeben zu haben, dass sie einem Dritten auf den Fuß getreten haben? Edelquatsch hoch drei wäre noch milde geurteilt. Doch genau das ist es, was Jesus tat. Er teilte Menschen mit, ihre Sünden seien vergeben, ohne erst jene um ihre Meinung zu fragen, die durch die jeweilige Sünde zu Schaden gekommen waren. Ohne zu zögern, trat er als der Hauptbetroffene auf, als derjenige also, gegen den sich sämtliche Vergehen gerichtet hatten. Dies lässt sich nur dadurch erklären, dass er in der Tat jener Gott war, dessen Gesetze gebrochen wurden und dessen Liebe einen Schlag ins Gesicht erhalten hatte. Aus dem Mund eines Sprechers, der nicht Gott wäre, würden diese Worte aber nur eine Torheit und eine Überheblichkeit bergen, die ihresgleichen in der Geschichte der Menschheit nicht leicht zu finden sein dürfte.”
C.S. Lewis (irischer Schriftsteller und Literaturwissenschaftler 1898-1963)

„Glückselig der Mann, der nicht wandelt im Rate der Bösen und auf dem Weg der Sünder nicht steht und nichts sitzt, wo die Spötter sitzen“ (Ps 1,1),

„Gottlosigkeit ist jene Grundorientierung, in welcher der Mensch entweder Gott leugnet oder lebt, als ob Gott nicht wäre. Der Gottlose rückt sich selbst als Individuum oder als Kollektiv in den Mittelpunkt, von wo aus er urteilt, was gut und schlecht, was schön und hässlich, was zu tun und zu lassen ist. Der Psalm spricht vom ‚Rat der Gottlosen‘, in dem der Unselige aus- und eingeht. Die Menschen mit der gottlosen Perspektive bilden einen ‚Rat‘, das heißt eine Verständigungsgemeinschaft. Zwar herrscht in dieser kein wirklicher Friede, denn wo Menschen sich selbst zum Mittelpunkt machen, wo sie einen babylonischen Turm bauen, da entsteht babylonische Verwirrung. Der Konflikt ist vorprogrammiert. Aber hinsichtlich der anthropozentrischen Perspektive sind sich die Gottlosen dennoch einig. Dass man keine ‚übernatürliche Hypothese‘ in die Beratung irdischer Dinge einführen dürfe, das bildet die gemeinsame Basis dieses ‚Rates‘. Wer den Weg der Seligkeit wählt, verkehrt nicht in diesem Rat, denn er kann sich mit jenen nicht verständigen, deren fundamentale Prämisse die Lüge ist.
Aus der Gottlosigkeit folgt die Sünde, das heißt das von Selbstsucht regierte Handeln, das bei aller Verschiedenheit in einem Punkt übereinstimmt: nicht mit der Ordnung Gottes übereinzustimmen. Die Sünder gehen einen ‚Weg‘. Dass der selige Mann ihn nicht geht, versteht sich von selbst. Aber so wie er im Rat der Gottlosen nicht beiläufig verkehrt, so ‚steht‘ er auch nicht am Weg der Sünder, das heißt, er hält sich gar nicht in diesem Umkreis auf, weil er nämlich gar nicht ‚steht‘, sondern selbst geht, aber einen anderen Weg.
Schließlich die Spötter. Sie sitzen. Sie sind Zuschauer – Zuschauer, die ihr Vergnügen daran haben, wenn das Gute ‚entlarvt‘ wird. Sie Hegen immer auf der Lauer, das Gute zu entlarven, weil sie seine Echtheit nämlich gar nicht wahrnehmen können. Sie lachen über die Tanzenden, weil sie die Musik nicht hören. Sie freuen sich, wenn der Gute der Dumme ist, denn für sie ist ein Leben aus göttlicher Perspektive ohnehin Dummheit.“

Robert Spaemann: Meditationen eines Christen: Über die Psalmen 1-51, Stuttgart: Klett-Cotta. 2014, ISBN: 978-3608948875, 409 S., 49,95 €

Was Ex-Christen Nicht Sagen

„Wenn Menschen weg vom christlichem Glauben wandern, werden einige Gründe dafür häufig zitiert. Sie kommen oft von der fehlenden Bereitschaft sich an der Autorität der Bibel trotz lauter Kritik von der zunehmend säkularen Welt zu halten. In manchen Fällen fehlt diese Bereitschaft wegen Fragen der Moralität, in anderen wegen Fragen der Naturwissenschaft, oder in anderen wegen dem Widerstand von institutioneller Autorität.  

Aber eins höre ich niemanden sagen, der vom Glauben abfällt. Und das soll uns aufmerksam machen. Sie sagen recht wenig über Jesus.  

Wir hören nicht, dass diese Menschen sagen:
– Jesus ist unehrenhaft gewesen
– Jesus ist untreu gewesen
– Jesus hat uns betrogen
– Jesus ist nicht gut gewesen
– Jesus hat nicht selbstaufopfernd gedient
– Jesus hat’s nicht gegeben
– Jesus hat unsere Vorstellungskraft nicht gefesselt
– Jesus hat uns im Stich gelassen
– Jesus ist nicht das gewesen, wonach wir uns zutiefst gesehnt haben.  

Um ehrlich zu sein, Menschen, die vom Glauben abwandern, sprechen danach selten über Jesus. Er wird weder angeklagt, noch als Enttäuschung enthüllt. Vielleicht reden sie über die Kirche. Oder sie zucken bei der Lehre der Bibel zusammen. Oder vielleicht sprechen sie über ihre persönliche Reise. Aber Jesus? 

Jesus bleibt so wie Er vor Pilatus gewesen ist. Obwohl Jesus zentral zu der ganzen Diskussion ist, schauen die Menschen anscheinend an ihn vorbei. Wie Pilatus waschen sie sich die Hände, und durch ihr Schweigen über ihn, fügen hinzu, „Ich finde keine Schuld an diesem Menschen!“ (Luk 23:4). 

Diese Bemerkungen sind gar nicht übel gemeint. Ich empfinde tiefes Mitgefühl für die, die abgewandert sind. Christ zu sein ist ja schwer genug. Das Christsein vorzutäuschen muss unerträglich qualvoll sein. Sondern ich schreibe das hier als Warnung für bekennende Christen, dass wir „Jesus betrachten“ (Heb 3:1). 

Nach mehreren geistlichen Autopsien von Menschen, die von Christus weggegangen sind, ist mir eine Gemeinsamkeit aufgefallen. Der Weg zum Glaubensabfall ist mit Gleichgültigkeit gegenüber Christi Herrlichkeit gepflastert. Alle Christen sollen sich gegen diesen Abfall wehren, indem sie Christi Herrlichkeit sorgfältig studieren…“  Erik Raymond
http://mehrerekanonen.blogspot.com/2019/09/was-ex-christen-nicht-sagen.html

Jedes Mal

„Sonntag 26 Dezember 1830. … Ich stelle jetzt fest, dass mein Herz keinen Gewinn davon bekommt, wenn ich auf längere Zeit auf mich und meine Leistungen schaue. Doch, jedes Mal wo ich auf Christi Liebe schaue, ist mein Herz voller Leben.“ Andrew Bonar, Tagebuch, s. 14.

Christi Himmelfahrt

′′Christus hat eine lokale Abkehr von seinen Jüngern genommen. Mit seinem verherrlichten Körper hob er sich wahrlich immer höher und höher, soweit die Augen seiner Jünger reichen konnten. Aber das sollte ihnen nur die Wahrheit über die große Veränderung versichern, die jetzt im Zustand des Menschen Jesus stattgefunden hat. Wir wagen nicht zu glauben, dass er, wenn die Wolken Jesus wie einen Triumphal-Streitwagen empfingen und ihn vor dem Anblick seiner Jünger versteckten, nun immer weiter und weiter von der Erde aufstieg und sich über den Sternenhimmel erhoben hat. Nein, sobald sich die Wolken hinter Ihm geschlossen haben, erschien Er in diesem Augenblick auch in den Zustand der göttlichen Majestät, erschien im Himmel voller Herrlichkeit vor allen Engeln und Heiligen, und auch als ein Mann begann, an der allmächtigen und allgegenwärtigen Herrschaft teilzunehmen über Himmel und Erde und alle Kreaturen.“-C.F.W. Walther
Christi Himmelfahrt (altgriechisch ἡ Ἀνάληψις τοῦ Κυρίου „Análēpsis tou kyríou“ ‚die Aufnahme des Herrn‘, lateinisch Ascensio Domini ‚Aufstieg des Herrn‘)

Gott nötig zu haben

Gott nötig zu haben ist nichts, dessen man sich schämen müsste, sondern es ist die höchste Vollkommenheit, und es ist am traurigsten, wenn etwa ein Mensch durchs Leben ginge, ohne zu entdecken, dass er Gott nötig hat.(Søren Kierkegaard)