Wider die Vernachlässigung der Ethik

Der anglikanische Pfarrer und Theologe John Stott (1921–2011) über Ethik in seinem Kommentar zu den Thessalonicherbriefen (The Gospel & the End of Time – The Message of 1&2 Thessalonians; IVP, 1991):
„Wir haben euch gelehrt, wie ihr leben sollt, um Gott zu gefallen, und ihr handelt auch danach. Doch nun bitten wir euch im Namen des Herrn Jesus mit allem Nachdruck: Macht darin auch weiterhin Fortschritte! Ihr kennt ja die Anweisungen, die wir euch im Auftrag des Herrn Jesus gegeben haben. Gott will, dass ihr ein geheiligtes Leben führt…“ 1 Thess 4,1–3a
Eine der größten Schwächen der heutigen evangelikalen Christenheit ist unsere relative Vernachlässigung der christlichen Ethik – sowohl in unserer Lehre als auch in der Praxis. Als Folge davon sind wir besser bekannt als solche, die das Evangelium predigen, und weniger als die, die es leben und verehren. Es fällt Außenstehenden zu selten auf, dass wir eine Gemeinschaft sind, die sich der Heiligkeit des menschlichen Lebens verschrieben hat, die soziale Gerechtigkeit anstrebt, die persönliche Ehrlichkeit und Integrität im Geschäftsleben betont, die einen einfachen Lebensstil praktiziert – im Gegensatz zur Gier in unserer Konsumgesellschaft, und deren Heime von Stabilität gekennzeichnet sind, wo Untreue und Scheidung praktisch unbekannt sind und Kinder in der sicheren und liebenden Obhut ihrer Eltern aufwachsen. Zumindest in der Ehe- und Familienstatistik schneiden die Juden besser ab als die Christen!
Einer der Hauptgründe für all dies ist, dass unsere Kirchen im Großen und Ganzen zu wenig Ethik lehren. Wir sind so sehr damit beschäftigt, das Evangelium zu verkündigen, dass wir nur selten das Gesetz lehren. Wir haben Angst davor, uns den Vorwurf der „Gesetzlichkeit“ einzuhandeln. „Wir leben nicht unter dem Gesetz“, sagen wir fromm – als ob wir frei wären, es zu ignorieren oder ihm gar ungehorsam zu sein. Dagegen meinte Paulus doch, dass unsere Annahme bei Gott nicht von unserer Beachtung des Gesetzes abhängt. Christen sind jedoch immer noch verpflichtet, das moralische Gesetz und die Gebote zu halten. Tatsächlich war der Zweck von Christi Tod, dass „die Gerechtigkeit, vom Gesetz gefordert, in uns erfüllt würde“ (Röm 8,4), und der Heilige Geist, der in unseren Herzen wohnt, schreibt Gottes Gesetz in diese (s. Jer 31,33; Hes 36,27; 2 Kor 3,3–8). Weiterlesen

Frankreich: Ein verstörendes Verbot

Das oberste französische Verwaltungsgericht hat die Ausstrahlung eines TV-Werbespots verboten, der glückliche Jugendliche mit Downsyndrom zeigt. Begründung: Der Clip könne auf Frauen, die abgetrieben haben, verstörend wirken.

PRO schreibt:

Das Video „Dear Future Mom“ (Liebe zukünftige Mutter) darf im französischen Fernsehen nicht gezeigt werden. Das hat das oberste Verwaltungsgericht im Land entschieden. Der zweieinhalbminütige Clip, den ursprünglich die italienische Organisation „CoorDown“ 2014 veröffentlicht hat, zeigt glückliche Kinder und Jugendliche mit Downsyndrom. Sie wollen Mütter, die ein Kind mit Trisomie 21 erwarten, ermutigen und sprechen in die Kamera: „Habe keine Angst.“

Dann erklären sie der potentiellen Mutter, dass ihr ungeborenes Kind später viele Dinge werde tun können, wie etwa sprechen und ihr sagen, dass es sie lieb hat. Auch glücklich sein, in die Schule gehen und schreiben lernen, sei mit Downsyndrom möglich, ebenso wie reisen, arbeiten und Geld verdienen. Gleichzeitig werde der Alltag aber auch manchmal „schwer, sehr schwer, fast unmöglich“ sein. Dann ist die Frage eines Jugendlichen ergänzt: „Aber ist das nicht so für alle Mütter?“ Schließlich zeigt das Video, wie sich die betroffenen Kinder und die Mütter umarmen und vor Freude strahlen.

Dass dieses Video im französischen Fernsehen nicht gezeigt werden darf, hat das oberste Verwaltungsgericht in zweiter Instanz bestätigt und damit ein schon früher ausgesprochenes Urteil in der Revision bekräftigt. Unter anderem hieß es in der Urteilsbegründung, dass die Bilder auf Frauen, die abgetrieben haben, möglicherweise „verstörend“ wirken könnten, berichten französische Medien.

Mehr: www.pro-medienmagazin.de.

„Wir weigern den Gehorsam“

Wir weigern den Gehorsam und stehn in deinem Heer, wir singen dir Gesänge, doch unser Herz bleibt leer.
Wir nennen dich den Richter und brechen frech das Recht, wir künden die Erlösung und sind so oft noch Knecht.
Lös‘ du uns von uns selber und mach für dich uns frei, dass Leben und Bekenntnis zu deiner Ehre sei. Fritz Woike (1890-1962)

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Konservativ

Wer das Alte, das er für wertig erkannt hat, erhalten will, darf nicht konservativ, sondern muss progressiv sein. Zum Erhalt braucht es immer wieder eine Revolution. Wer seinen weißen Gartenzaun erhalten will, darf ihn nicht sich selbst überlassen, sondern muss ihn regelmäßig neu streichen, sonst wird er schwarz. Bewahren geschieht durch regelmäßige Erneuerung. Erneuert man es nicht, wird man von dem, was man zu bewahren versucht, letztendlich tyrannisiert. G. K. Chesterton

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Donald Trump

Hillary Clinton hat in den wichtigsten Direktdebatten gegen Donald Trump gesiegt – und trotzdem verloren. Trump hat sich mit verbalen Aussetzern diskreditiert – und trotzdem gewonnen. Was ist da passiert? Clinton sei mit einer „grösseren Macht“ konfrontiert gewesen, analysiert der Historiker Allan J. Lichtman. Er hat Trumps Wahl vorausgesagt. Sein Prognosemodell basierte auf Analysen der in den vergangenen Wahlen jeweils unterlegenen Partei. Lichtman sagt, Clinton habe nichts falsch gemacht. Trump habe nicht wegen sich und seiner Kampagne gewonnen, sondern trotz allem.
Viele Amerikaner sehen sich als Verlierer von Globalisierung und Welthandel. Mit Trumps Wahl verpassten sie dem politisch-medialen Establishment einen Denkzettel. Die NZZ bezeichnete seine Wahl als „gewaltigen Weckruf“. Menschen suchten Politiker und Parteien, die ihnen Sicherheit und Vertrauen vermitteln.
Viele Christen wählten Trump, weil sie ihre Anliegen von den Republikanern besser vertreten sehen. Sie vergleichen Trump mit Figuren wie Kyros oder Nebukadnezar. Dazu nehmen sie aber eine Verkürzung des Evangeliums in Kauf: Abtreibung ist durchaus Sünde, aber Rassismus und Frauenfeindlichkeit sind es eben auch! Geht es um Gemeindeleiter, um Bischöfe, dann fordert die Bibel nicht zuerst Fachkenntnis, sondern Integrität: von gutem Ruf, in der Beziehung treu, besonnen, verantwortungsbewusst, freundlich, rücksichtsvoll. Sollten wir von einem Staatspräsidenten viel weniger erwarten?
Was war das jetzt? Ist dem Allmächtigen mit Trumps Wahl in einem entscheidenden Moment der Weltgeschichte ein Unfall passiert? Im alttestamentlichen Israel wollte das Volk Könige. Es bekam sie. Doch über allem stand und steht Gott. „Er bestimmt den Wechsel der Zeiten, er setzt Könige ab und setzt Könige ein“, steht im Buch Daniel. Und er wird die Weltgeschichte zu Ende schreiben. Wir sollen uns auf Gott, nicht auf Menschen verlassen. Psalm 146 ist wegweisend. Ja, wir wollen uns die Erkenntnisse der Reformatoren neu verinnerlichen – allein Gnade, allein Glaube, allein Christus, allein die Schrift und alles zur Ehre Gottes. Um dann zu verstehen, dass es unser Auftrag ist, die Hoffnung und Kraft des Evangeliums zu verkündigen und jesusgemäss zu handeln: Arme, Gefangene, Blinde und Zerschlagene in die Freiheit zu entlassen. Trump hin oder her. Rolf Hoeneisen
https://www.facebook.com/rolf.hoeneisen?fref=nf&pnref=story

Der Professor und sein Knochen

86 Jahre nach der Niederschrift so aktuell wie eh und je:
Es ist noch kaum jemand aufgefallen, wie hilflos die Wissenschaft in bezug auf die prähistorischen Tatsachen herumtappt. Hier hinkt die Wissenschaft, deren moderne Wunder wir alle anstaunen, nach und sammelt nur unablässig neue und immer neue Daten. Bei allen praktischen Erfindungen, bei den meisten naturwissenschaftlichen Entdeckungen lässt sich die Wahrheinlichkeit stets durch Experimente bekräftigen, aber die Wissenschaft ist unfähig, experimentell einen Menschen herzustellen, ja, sie kann nicht einmal beobachten, was die ersten Menschen taten. Ein Erfinder vermag Schritt um Schritt die Konstruktion eines Aeroplans zu fördern, und wenn er auch nur mit Stöcken und Metallabfällen auf seinem Hinterhof herumprobiert. Sollte ihm bei seinen Berechnungen ein Irrtum unterlaufen sein, so wird das Flugzeug diesen Fehler dadurch berichtigen, dass es auf dem Boden zerschellt. Aber der Forscher hat keine Möglichkeit, zu beobachten, wie das ‚Missing Link‘ sich auf seinem eigenen Hofe entwickelt. Und wenn ihm ein Irrtum in bezug auf die Baumlebensweise seiner Ahnen unterlaufen ist, dann sieht er nicht, ob seine auf Bäumen lebenden Vorfahren von dem Baum herunterplumpsen. Er kann auch einen Höhlenmenschen nicht einer Katze gleich auf dem Hofe halten und durch Beobachtung feststellen, ob dieser tatsächlich Menschenfresserei treibt, oder sich seine Eheliebste durch Raub erobert. Er kann nicht einen Stamm primitiver Menschen wie eine Hundemeute im Zwinger halten, um festzustellen, inwieweit sie von Herdeninstinnkten beeinflusst werden. Wenn er bemerkt, dass sich ein spezieller Vogl auf eine ganz spezielle Art benimmt, kann er sich andere Vögel beschaffen und beobachten, ob diese sich in gleicher Weise verhalten; doch wenn er in einer Berghöhle einen Schädel oder den Bruchteil eines Schädels entdeckt, so kann er dieses Stück nicht zu einer Vision des Tales der Gebeine vervielfältigen. Beim Studium einer Vergangenheit, die fast gänzlich ausgetilgt ist, kann der Forscher sich nur vom Augenschein und nicht vom Experimente leiten lassen, und das Beweismaterial ist schwerlich ausreichend, um beweiskräftig zu sein. Während die meisten Wissenschaften sich in einer Art Kurve bewegen, die ständig durch neues Beweismaterial korrigiert wird, entflieht diese Wissenschaft in grader Linie unkorrigiert durch die Erfahrung ins Leere. Aber die Gewohnheit, Schlüsse zu ziehen, wie sich solche tatsächlich auf fruchtbareren Betätigungsfeldern ziehen lassen, ist dem wissenschaftlichen Denken so tief eingewurzelt, dass er auch hier nicht widerstehen kann, ins Blaue hinein zu reden. Der Wissenschaftler spricht über die durch ein Bruchstück eines Knochens angeregte Idee, als handle es sich um ein Flugzeug, das doch zum wenigsten aus einem ganzen Haufen von Metallabfall gebaut worden ist. Das Schlimme bei dem Professor  der Prähistorie ist, dass er es nicht über sich bringt, seinen Abfall zum Abfall zu werfen. Das wunderbare, triumphierende Flugzeug ist aus hundert Irrtümern entstanden. Wer dem Ursprung der Dinge nachforscht, kann nur einen Irrtum begehen und bleibt an diesem dann haften. … Manchmal wird ein Professor mit seinem Knochen fast so bösartig wie ein Hund mit seinem Knochen. Aber der Hund leitet wenigstens von seinem Knochen keine Theorie ab und will nicht beweisen, dass sich das Menschtum auf die Hunde vererbte – oder von ihnen herstammte.
G. K. Chesterton. Der unsterbliche Mensch. Carl Schünemann: Bremen, 1930. (47-49)

Zitat der Woche: Der Professor und sein Knochen

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Trump for president!?

„Jedes Land bekommt die Regierung, die es verdient“, heißt es. Was bedeutet das wohl jetzt für die USA? Nun haben die Amerikaner einen weitgehend unberechenbaren Selbstdarsteller als Regierungschef am Hals. Wie bei den meisten Wahlen wurde Trump vor allem von den zahlreichen Unzufriedenen ins Amt gebracht, denjenigen, denen die USA militärisch zu zurückhaltend auftritt, denjenigen, die in den vergangenen Jahren ihren Job verloren haben, denjenigen, die gerne alle Ausländer loswerden und nur noch amerikanische Produkte kaufen wollen, denjenigen, die allem was aus anderen Ländern kommt grundsätzlich misstrauen usw.
In Demokratien ist es häufig so, dass nach einer längeren Regierungszeit einer politischen Partei zur Abwechslung eine andere gewählt wird. Man hat eben genug von immer demselben. Und man lastet alles was einem nicht gefällt den gerade Regierenden an.
Auch wenn niemand wirklich weiß, was von einer Regierung Trump zu erwarten ist, höchstwahrscheinlich wird die Welt auch jetzt nicht untergehen. Denn selbst der politische Spielraum eines amerikanischen Regierungschefs ist begrenzt. Im Augenblick aber ist nicht absehbar, wie Trump die USA voranbringen will und wie sich Amerika unter der neuen Führung international verhalten wird.
Äußerst bedenklich ist die fast zwanghafte Festlegung amerikanischer Evangelikaler auf den republikanischen Kandidaten. Umfragen zufolge sollen 81% der Evangelikalen für Trump gestimmt haben. Viele evangelikale Prediger haben sogar auf der Kanzel Wahlwerbung für den Republikaner gemacht. Klug taktierend hatte er sich in einigen sexualethischen Fragen, wie Homosexualität, Gender und Abtreibung, in ihrem Sinne geäußert. Dabei machen diese Fragen m politischen Alltagsgeschäft nur etwa 5% der Entscheidungen aus. Leider lassen sich evangelikale Amerikaner so einfach berechnen. Politiker brauchen nur zwei oder drei Schlüsselbegriffe fallenlassen und schon haben sie die Sympathie der Christen.
Das sehr einseitige Abonnement der meisten amerikanischen Evangelikalen auf die Republikaner ist durchaus problematisch. Auf diese Weise verliert auch ihre christliche Botschaft mit jeder falschen Entscheidung der Regierung massiv an Glaubwürdigkeit. Viele Junge und Gebildete verlassen deshalb jedes Jahr in den USA die Gemeinden. Für die amerikanischen und auch die deutschen Evangelikalen wäre es weit besser, mehr zu beten und mutiger vom Evangelium zu reden, als sich an unsauberen, politischen Intrigen zu beteiligen. In einzelnen Sachfragen sollten sie dann durchaus auch öffentlich ihre Stimme erheben, aber nicht immer im Interesse einer politischen Partei.
Die deutschen Medien reagieren bei jeder US-Wahl sehr voraussehbar: Immer sind sie für den Kandidaten der Demokraten, ganz gleich wer es ist. Immer malen die die Katastrophe für den Fall an die Wand, wenn der Republikaner gewinnen sollte. Das ist zwar eine durchaus effektive Wahlhilfe, wird mit der Zeit aber langweilig und zeigt eine beängstigende Unfähigkeit, objektiv und ausgewogen zu berichten.
Frau Clinton war aus meiner Sicht auch keine gute Alternative. Wahrscheinlich hätte ich als amerikanischer Christ intensiv gebetet und einen ungültigen Wahlschein angegeben. – Im Nachhinein können Gläubige natürlich für eine echte Bekehrung Trumps beten, dann würde aus einem konservativen Präsidenten vielleicht noch ein an christlichen Werten orientierter.
Wahrscheinlich werden wir uns auch in Europa auf Jahre einrichten, in denen die politischen „Klartext-Redner“ den Ton angeben, Leute, die heftig vom Leder ziehen können, die starke Feindbilder haben, einfache Lösungen propagieren, die den Nationalismus fördern und grundsätzliche Skepsis allem ausländischen gegenüber.
Doch wie schon in den vergangenen 2000 Jahren gilt auch heute für Christen: „So ermahne ich euch nun, daß man vor allen Dingen zuerst tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen, für die Könige und alle Obrigkeit, auf daß wir ein ruhiges und stilles Leben führen mögen in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit. Denn solches ist gut und angenehm vor Gott, unserm Heiland, welcher will, daß allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.“ (1Tim 2, 1-4) Michael Kotsch https://www.facebook.com/michael.kotsch.9/posts/852794174860362

Heiligkeit ist auch Motivation, Benehmen und Charakter

Es gibt viele Christen, die nie gelernt haben, freundlich ‚Danke‘ zu sagen, und die ihren besten Freunden durch ihre offensichtliche Gedankenlosigkeit und ihre Undankbarkeit viel Not bereiten, wenn sie kostbare Liebe und Freundschaft (…) als selbstverständlich (…) hinnehmen. Es gibt nichts derart Absichtliches, das Schwierigkeiten bereitet (…) als dabei zu verharren, sich in unrealistischer Weise zu hoch einzuschätzen. (…) Natürlich ist das sehr oft der schonungslose Trieb eines Minderwertigkeitskomplexes, der sich in hohen und erhabenen Vorstellungen ausdrückt und das in keinem Verhältnis zur Wirklichkeit. Minderwertigkeitskomplexe sind enger verbunden mit Selbstsucht als manche von uns glauben möchten (…) Wir müssen die Wurzel des Problems als solches erkennen. Deshalb ist letztlich das Evangelium die einzig wahre Psychologie, denn keine geringere Kraft kann die Tyrannei des Ichs im Herzen des Menschen zu Fall bringen. (zit. James Philip)
(Es scheint also, dass) die christliche Heiligkeit aus einer Reihe von verschiedenen Dingen besteht. Sie hat sowohl äußere wie auch innere Aspekte. Heiligkeit ist sowohl eine Angelegenheit von Aktion als auch von Motivation, Benehmen und Charakter, göttlicher Gnade und menschlicher Anstrengung, Gehorsam als Kreativität, Unterwerfung und Initiative, Hingabe an Gott und Engagement für Menschen, Selbstdisziplin und Sich-selbst-geben, Gerechtigkeit und Liebe. Es ist eine Angelegenheit von Gesetzestreue geleitet durch den Heiligen Geist, ein Leben im Geist, selbstverständlich auf das Leben bezogen, das die Frucht des Geistes (Christusähnlichkeit in der Haltung und Neigung) erkennen lässt. Es ist eine Angelegenheit, danach zu streben, die Art Jesu im Verhalten nachzuahmen, indem von Jesus und seiner Befreiung vom fleischlichen Sich-mit-sich-selbst-beschäftigen abhängig ist und zu seiner Sicht für geistliche Notwendigkeiten und Möglichkeiten gelangt.
Es ist eine Angelegenheit von geduldiger und beständiger Rechtschaffenheit; davon, sich auf die Seite Gottes gegen die Sünde in unserem eigenen Leben zu stellen im im Leben von anderen; davon, Gott im Geist anzubeten, während man ihm in der Welt dient; und von zielstrebiger, aufrichtiger, freier und froher Konzentration auf die Aufgabe, Gott zu gefallen. Es ist die charakteristische Form und sozusagen die Würze eines Lebens, das für Gott ausgesondert und nun durch seine Kraft von innern heraus erneuert wird.
Heiligkeit ist damit der Beweis des Glaubens, der durch die Liebe tätig wird. Sie ist vollkommen übernatürlich in dem Sinn, dass sie Gottes gnädiges Werk in uns ist, und vollkommen natürlich in dem Sinn, dass sie unser eigenes wahres Menschsein ist, das durch Sünde verloren gegangen ist, durch Unwissenheit und ein zu intensives Hören auf die gegenwärtige Kultur falsch verstanden wurde, das sich aber nun in einem Prozess der Wiederherstellung befindet durch die Energie der neuen Schöpfung in Christus, die uns eine neue Richtung verleiht und uns wiederherstellt, was durch den Heiligen Geist geschieht.
J. I. Packer. Heiligkeit. One Way: Wuppertal/Wittenberg, 1992, S. 39-40.

Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?

Wie in angekündigt, wollen wir mit der Ausstellung Weltreligionen in Unterschleißheim zu einem toleranteren Umgang der Menschen verschiedener Religionen in unserem Umfeld beitragen. In diesem Rahmen wollen wir auch unseren Glauben an Jesus Christus begründen.

In meinem Umfeld kenne ich Personen, denen sich die Nackenhaare aufstellen, wenn sie lesen, dass hier eine „religiöse Sondergruppe“ Toleranz in einem Zug mit Religion und dem Glauben an Jesus Christus nennt. Diese Christen, die sich hier so tolerant geben, können eigentlich nichts anderes wollen, als auf listige Weise, quasi durch die Hintertür, ihre angebliche Frohbotschaft einführen und ihren Absolutheitsanspruch durchsetzen. Mir fiel der Titel eines Buchs ein, das ich vor langer Zeit las: Toleranz und Wahrheit – wie Hund und Katze? Ich höre es schon fauchen und bellen.

Wahrheit und Toleranz. Haben wir eine Vorstellung, was diese Begriffe bedeuten? Wenn ich mir vergegenwärtige wie in den heutigen Medien damit umgegangen wird, traue ich mich fast gar nicht, diese großen Worte in den Mund zu nehmen. Bevor wir zu der Gretchenfrage kommen, stellen wir doch zuerst die Pilatusfrage: Was ist Wahrheit? Und was meinen wir überhaupt, wenn wir von Toleranz reden?

Stellen Sie sich folgende Situation vor:
Das Ergebnis des Schülers in der Mathematikaufgabe 2+2=5 bewertet der Lehrer als falsch und korrigiert es zu 4. Daraufhin urteilt der Schüler: Dieser Lehrer ist doch intolerant! 4 oder 5, was spielt das für eine Rolle? Die Differenz ist so klein! Es kann doch nicht auf diese einzelne Eins ankommen. Hauptsache ich habe das Plus richtig angewendet. Plus sagt doch, dass unter dem Strich mehr rauskommen muss, als oben drüber reingekommen ist. Und darauf kommt es doch an!

Man kann den Begriff Toleranz überstrapazieren. Das habe ich hier getan. Im Grunde ist es ein triviales Beispiel und hat mit Toleranz nichts zu tun. Für viele andere Fragen und Probleme, mit denen der Mensch konfrontiert ist, sehen die Lösungswege und die Beweise ganz anders aus. Dazu zählen beispielsweise auch naturwissenschaftliche und geschichtswissenschaftliche Fragestellungen: Wann hat Alexander der Große gelebt? Wie kam es zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges? Wie entstand das Universum? Gibt es Leben auf anderen Planeten? In diesen Bereichen würde auch keiner auf die Idee kommen und behaupten, dass es hier kein Richtig oder Falsch gibt, oder dass es nicht wichtig ist, ob man überhaupt eine Antwort bekommt und man aufhören soll, Fragen zu stellen. Das Gegenteil ist der Fall.
Dasselbe gilt für ethische oder moralische Fragen. Soll ich meine Eltern belügen? Soll ich am Bau der Atombombe mitarbeiten? Ist Gewalt in der Ehe zulässig? Soll die Sklaverei abgeschafft werden? Darf ein Staat Folter anwenden?
Dasselbe gilt auch für religiöse Fragen. Gibt es einen Gott? Was geschieht nach dem Tod? Ist Jesus Christus Gott oder war er nur ein Mensch?

Ich erkläre hier nicht Meinungsfragen zu Wissensfragen, deren Antworten man ausrechnen, mit bloßem Auge sehen, oder in einem Lehrbuch oder Lexikon nachschlagen kann. Aber Moment mal. An dieser Stelle kam mir in Erinnerung, dass es in der Sowjetunion, wo ich aufgewachsen bin, eine Zeit gab, wo Lehrbücher an die Staatsdoktrin angepasst wurden. Die Geschichte wurde in gewisser Weise neu erfunden und neu geschrieben. Fotografien wurden nachträglich bearbeitet, um bestimmte Personen daraus zu tilgen. Nicht jedes Foto bildet die Realität ab. Nicht jedem Lehrbuch kann man in jeder Aussage Glauben schenken. Im Dritten Reich gab es eine Deutsche Physik. Jüdische Wissenschaftler waren nicht mehr geduldet. In der Sowjetunion hatte man sich kreative Wege einfallen lassen, um die Zahl jüdischer Studenten an Universitäten sehr gering zu halten. Solcherlei Beispiele gibt es viele. Jahrhundertelang hielt man am geozentrischen Weltbild fest, weil es mit der vorherrschenden religiösen Lehre verwoben war. Man findet beides in der Menschheitsgeschichte: Den Versuch, Wahrheit mit Gewalt zu verbreiten und den Versuch, sie gewaltsam zu unterdrücken. Auch Wissenschaftler, nicht nur Politiker oder Kleriker, können sich irren und sind manipulierbar und korrumpierbar. Und es gibt Wahrheiten, die mit wissenschaftlichen Methoden nicht erfasst werden können. Ich würde von keinem Physiker erwarten, dass er mit Hilfe seiner Disziplin eine wissenschaftliche Erklärung dafür liefern kann, wie es möglich war, dass Petrus auf dem Wasser gehen konnte, oder von einem Mediziner eine wissenschaftliche Erklärung für die Jungfrauengeburt, oder von einem Chemiker, wie Jesus Wasser zu Wein machen konnte. (Früher hatte man wohl versucht aus Pech Gold zu machen. Heute nennt man das Alchemie und es hat wenig mit der Wissenschaft Chemie wie sie heute verstanden und ausgeübt wird zu tun.) Wissenschaftliche Methoden sind ein Weg, die Wahrheit in bestimmten Fragen heraus zu finden. Wir wollen aber auch in anderen Bereichen die Wahrheit herausfinden.

Wenden wir uns der religiösen Frage zu, stehen wir vor der Annahme (oder vielleicht ist es eine Unterstellung? und manchmal ist es ein Vorwurf), dass die drei großen monotheistischen Religionen einen absoluten Wahrheitsanspruch haben. Auch viele Atheisten, atheistische Gruppierungen und Vereinigungen haben ihn. Sie alle beanspruchen für sich, wahre Überzeugungen zu vertreten. Die einen werfen „es gibt einen Gott“ in die Waagschale, die anderen „es gibt keinen Gott“. Die Waage scheint ausgeglichen, das Spiel ist unentschieden, belassen wir es doch dabei. Lasst uns essen und trinken, denn morgen sterben wir! Was soll das ganze Theater? Ist das überhaupt eine wichtige Frage? Darum soll es hier gehen.

Wie ich andeutete, war es vielleicht schon falsch, überhaupt von einem „Anspruch“ zu reden. Ich bin Christ und erhebe keinen Anspruch irgendeine Wahrheit in der Hand zu halten, zu besitzen, für mich gepachtet zu haben, oder dergleichen. Ich glaube dennoch, dass ich in der Frage nach Gott zu wahren Überzeugungen gelangt bin. Ich glaube, Jesus Christus ist Gott. Ich glaube nicht nur, dass das ein sinnvoller Satz ist, sondern, dass er wahr ist. Was hat das mit Wahrheit zu tun, wenn man es nicht ausdrücken kann, ohne das Wort „glauben“ zu verwenden? Als Kind haben wir in der Schule immer gehört, glauben heißt nichts wissen, und nicht wissen heißt ein Esel sein. Ich habe soeben aus einem Dialog unter Wissenschaftlern zitiert, die dieser Frage auf den Grund gegangen sind. Pinchas Lapide sagt: Das Verhängnis ist, dass im Deutschen dem Wort „Glauben“ der schlechte Beigeschmack von Nicht-Wissen anhaftet. Wenn ich sage, ich glaube, dass Gott ist, so schwingt da immer mit: Ich weiß es aber nicht.
Darauf antwortet Viktor Frankl: Glaube wurde als eine Minus-Variante von einem geistigen Akt hingestellt. Ich glaube, gerade das Gegenteil ist richtig. Ich glaube nicht, dass der Glaube ein Denken vermindert um die Realität des Gedachten ist, sondern im Gegenteil, Glaube ist ein Denken vermehrt um die Existenzialität des Denkenden. Das bedeutet in Wirklichkeit, dass der Akt des Glaubens auf einem existenziellen Akt beruht.
In meinen eigenen Worten ausgedrückt, zu sagen, ich glaube an etwas heißt, ich denke an etwas, dem in der Realität nichts entspricht – das ist falsch. Glaube an Gott hat mit einer existentiellen Wahrheit zu tun, die sich in meinem Leben verwirklicht. Jesus Christus sagt, ich bin die Wahrheit, er sagt nicht, ich sage die Wahrheit. Wahrheit und Person sind nicht voneinander zu trennen. Jesus Christus ist die existenzielle Wahrheit, in die mein ganzes Sein mit hinein gezogen wird. Wir haben das Gefühl dafür, was eine existenzielle Frage ist, verloren. Es geht nicht darum, wie ich meinen Sonntagvormittag gestalte oder ob ich bei meiner Steuererklärung schummeln soll. Mit meiner Behauptung Jesus ist Herr, werfe ich meine ganze Existenz, mein Leben, in die Waagschale und lasse mein Dasein sprechen. Jesus Christus sagt in einem Atemzug, ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Er ist mein Weg zu Gott. Er ist mein Leben. Das ist mein Glaube und nicht bloß ein Für-Wahr-Halten irgendwelcher Aussagen oder das Befolgen irgendwelcher Lehren.
Um dem Einwand zu begegnen, das sei eine seltsame Vorstellung von Wahrheit und ich würde die Begriffe verbiegen bis sie in meine Weltsicht passen, nach dem MottoIch mach‘ mir die Welt / Widdewidde wie sie mir gefällt. Nein. Die Aussage, dass Jesus Christus Gott ist, ist für mich genauso schlicht wahr und gewiss wie die Aussagen, dass Napoleon tatsächlich gelebt hat, die Erde um die eigene Achse rotiert, oder dass 2+2=4 ist.
Wenn ich hier „mein“ sage, relativiere ich nichts oder gebe Raum für ein alternatives ebenso wahres „dein“, etwa: mein Weg ist Jesus und dein Weg ist der edle achtfache Pfad, oder meine Mama ist für mich die beste Mama auf der Welt und deine Mama ist für dich die beste Mama auf der Welt. Die Betonung liegt nicht auf meinem individuellen „mein“, sondern auf dem göttlichen universellen „Ich bin“. Wir reden nicht über Geschmacksfragen oder persönliche Empfindungen, sondern Fragen von existenzieller Bedeutung und Antworten, die einander ausschließen. Hier gibt es keine Neutralität, es wird je behauptet, eine allgemein-gültige Weltsicht zu vertreten. In dieser ungeheuerlichen Anmaßung liegt ja gerade der Stein des Anstoßes und man kann fragen, wo hier Toleranz ihren Raum hat.

Bei uns Deutschen hat die Toleranz schon eine sehr lange Tradition. Hier sind wir zwar in Bayern, erlauben Sie mir dennoch einen preußischen König als Vorbild zu zitieren, der seiner Toleranz wegen gerühmt wird. Von Friedrich dem Großen ist der Ausspruch bekannt:
Katholiken, Lutheraner, Reformierte, Juden und zahlreiche andere Sekten wohnen in Preußen und leben friedlich beieinander!

(Man beachte: Alle sind Sekten.)
Das ist ja hocherfreulich, dass man sich auf deinem Territorium nicht die Köpfe einschlägt. Worauf führst du das denn zurück? Dazu erklärt Friedrich der Große in seinem politischen Testament:
Geht man allen Religionen auf den Grund, so beruhen sie auf einem mehr oder minder widersinnigen System von Fabeln. Ein Mensch von gesundem Verstand, der diese Dinge kritisch untersucht, muß unfehlbar ihre Verkehrtheit erkennen. Allein diese Vorurteile, Irrtümer und Wundergeschichten sind für die Menschen gemacht, und man muß auf die große Masse soweit Rücksicht nehmen, daß man ihre religiösen Gefühle nicht verletzt, einerlei, welchem Glauben sie angehören.

Friedrichs Haltung drückt ziemlich gut aus, wie viele Menschen in unserer Gesellschaft über Religion denken. Die Religiösen (manchmal auch religiösen Fanatiker oder Fundamentalisten genannt) sind nur eine große einfältige Masse, im Grunde nichts als Narren. Und was muss man Narren gewähren? Narrenfreiheit natürlich!
Genau diese Gesinnung steht hinter Friedrichs berühmtem Satz: Hier muss ein jeder nach seiner Fasson selig werden.
Wobei er der Meinung ist, dass jede „Fasson“ nur eine Variante von Dummheit ist. Da steht also der Große Friedrich von Sanssouci und schaut leicht amüsiert und leicht angewidert von oben herab auf die große Masse mit ihren seltsamen religiösen Vorstellungen und sagt: Lassen wir sie! Narren sind sie allesamt!
Genau diese Haltung ist nicht, was wir unter Toleranz verstehen. Friedrich der Große bringt den Gläubigen aller Religionen Verachtung entgegen. Das ist etwas anderes als Toleranz.

Vielleicht kommen wir der Sache mit dem Zitat eines anderen näher, dessen Name und Gedächtnis der deutschen Nation auf dem ganzen Erdkreis Ruhm und Schmuck verleiht. Goethe notiert in Maximen und Reflexionen: Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein; sie muss zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen.

Anerkennung kann es in Fragen, in denen man gegensätzlicher Meinung ist, nur gegenüber der Person geben. Ich anerkenne, dass mein Gegenüber eine andere Meinung vertritt. Ich bejahe und respektiere den anderen als Person mit einem Recht auf eigene Meinung – ich lehne seine Meinung in der Sache aber ab. Das ist ein Dulden ohne zu beleidigen, das ist Toleranz der ursprünglichen Wortbedeutung nach als tragen oder ertragen. Ein Anerkennen und Ernst-Nehmen der Person, ohne die Wahrheit in der Sache über Bord zu werfen. Ein Aushalten der offensichtlichen Differenzen und der Andersartigkeit der konkurrierenden Glaubensbekenntnisse, ohne die eigene Identität zu verwischen. Das Gegenteil wäre weder authentisch noch höflich, noch politisch korrekt oder intellektuell redlich. Und schließlich heißt Toleranz nicht: „Du hast recht, ich habe recht, wir alle haben recht. Es bestätigt, was wir schon immer gewusst haben: Alles viel zu schwierig. Man kann die Wahrheit überhaupt nicht erkennen!“

In der Begegnung mit Gläubigen anderer Religionen oder mit Menschen anderer Weltanschauung ist genau das dornige Feld der Toleranz (Kettling) abgesteckt, auf den wir uns mit dieser Ausstellung begeben wollen. Wir laden Sie auf diese Reise mit uns zusammen ein. Lernen Sie verschiedene Religionen kennen und gehen Sie den „letzten Fragen“ auf den Grund.

Quellenangaben:
Siegried Kettling,
Toleranz und Wahrheit, wie Hund und Katze? (Der Vergleich Friedrich der Große, Der Verächter ist nicht tolerant, stammt aus diesem wunderbaren Buch.)
Viktor E. Frankl und Pinchas Lapide, Gottessuche und Sinnfrage
Friedrich II. von Preußen,
Schriften über Religion
https://brink4u.com/2016/11/04/nun-sag-wie-hast-dus-mit-der-religion/